Im Zuge unserer Recherche für das große Special über die Zukunft der Videospiele in der neuen GEE-Ausgabe, die am kommenden Montag erscheint, sprachen wir mit Michael Iwoleit. Als Autor von Romanen und Mitherausgeber des Science-Fiction-Magazins „Nova" ist er ein ausgewiesener Experte in Zukunftsfragen. „Nova" veröffentlicht hauptsächlich Storys zeitgenössischer, deutschsprachiger SF-Autoren, daneben Übersetzungen ausländischer Texte, gelegentliche Klassiker-Nachdrucke und Artikel zu artverwandten Themen. Zur Zeit arbeitet Iwoleit an seinem Roman „Toplevel".
In gewisser Weise hat die von der Science Fiction prognostizierte Zukunft längst begonnen. Ist das nicht ein Dilemma für einen Science-Fiction-Autoren?
In der Tat. Den heutigen Science Fiction Schaffenden fällt es immer schwerer, auf Ideen zu kommen, die überhaupt noch wie Science Fiction wirken. Damit meine ich Ideen, die den spezifischen Überraschungs- und Verfremdungseffekt haben, ohne den es Science Fiction nicht geben kann. Die technische Entwicklung hat sich ungemein beschleunigt. Die immer raschere Aufeinanderfolge technologischer Neuerungen, die gestern noch unmöglich waren, ist heute eine Alltagserfahrung. Szenarien, die vor zwanzig Jahren noch wie pure Science Fiction wirkten wie Gentechnik oder Klimawandel, sind Wirklichkeit geworden. Deshalb ist der erfolgreichste Trend in der Science Fiction-Literatur der letzten 15 Jahre die Renaissance eines eigentlich veralteten Subgenres, nämlich der Space Opera, also des großformatigen Weltraumabenteuers.
Warum ist es denn so schwierig, in der Science Fiction noch neue, glaubwürdige Geschichten zu erfinden?
Nehmen wir das Konzept des Cyberspace, eines der großen Themen in der Science Fiction der letzten 25 Jahre. Was mich an Büchern wie etwa Gibsons „Neuromancer"-Trilogie immer gestört hat, ist der Umstand, dass solche Ideen in einer Erzählung leicht in etwas ausarten, was ich als „Anything-Goes"-Szenario bezeichnen möchte: wenn alle Wendungen der Handlung durch technische Gimmicks erklärt werden können, wenn der Autor in entscheidenden Szenen immer ein überraschendes Cyberspace-Kaninchen aus dem Hut ziehen kann, dann gibt es auch keine echte Geschichte, keine überzeugenden Konflikte mehr.
Was also tun, wenn nicht ein Gimmick aus der Zukunft aus dem Hut zaubern?
Wesentlich interessanter finde ich die Technik, die in der Forschung unter dem Stichwort „Augmented Reality" firmiert und in der Science Fiction noch stiefmütterlich behandelt wird. Unter „Augmented Reality" verstehen Wissenschaftler die Überlagerung der Wirklichkeit durch computergenerierte Bilder. Im einfachsten Fall könnte das so aussehen, dass ein User, wenn er ein entsprechendes Sichtgerät aufgesetzt hat, Informationen zu Gegenständen seiner Umgebung, etwa Gebrauchsanleitungen, eingeblendet bekommt. Bei komplexeren Anwendungen, zum Beispiel für Videospiele, könnten Teile seiner Umgebung durch detailgetreue, animierte Grafiken ersetzt werden. Diese Verschränkung von realen und künstlichen Bildern ist in allen möglichen Abstufungen denkbar.
Welche Rolle spielt „Augmented Reality“ in Deinen Werken?
In dem Roman „Wachablösung", an dem ich seit mehreren Jahren arbeite, spielt dieses Konzept eine zentrale Rolle. In diesem Buch werden Spieler, die sich in einen entsprechenden Server einloggen, in die virtuelle Welt eines Spiels versetzt, indem Teile ihrer Umgebung durch Kulissen des Spiels überlagert werden. Ihre Bewegungen und Handlungen, sogar ihre sprachlichen Äußerungen, werden von dem „Augmented Reality"-System zu Elementen des Spiels. Mit jedem Level des Games werden größere Teile der Realität überblendet, bis hin zur Ersetzung der gesamten Alltagsrealität des Spielers.
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