Video game on a white background, it is isolated.
Zum Jubiläum der legendären Konsole wachsen Rückblicke wie Pilze aus dem Presseboden. Jedes einzelne davon: Eine Heiligsprechung. Dabei hatte Sonys grauer Kasten auch ein paar Nachteile. Zeit, auch diese einmal nachzurufen.
Am 1. September 1995 änderte sich die Videospielwelt in den USA. 28 Tage später war Europa dran. Einige Nerds hatten sich acht Monate zuvor Sonys erste PlayStation als Import aus Japan bestellt. Jetzt ging es endlich hierzulande los. Eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die an dieser Stelle nicht wiederholt werden muss. Wir haben alle tausend Bilder
und Töne in unseren Köpfen, vom ersten Anwerfen des Motors bei Ridge Racer, das tatsächlich wie in der Spielhalle aussah, über das stille Foyer mit der Holztreppe und den Säulengängen im ersten Resident Evil bis zur Snowboard-Abfahrt in Final Fantasy VII, die man sich noch einmal und noch einmal gönnte, obwohl es in der scheinbar endlosen Welt wahrlich anderes zu tun gab. An der PlayStation gab es vieles zu lieben und zu loben. Es gab aber auch Aspekte, welche die Liebesheirat mit der ersten CD-basierten Konsole zur kompromissgefüllten Vernunftehe machten. Hier sind die fünf wichtigsten:
1.) Die Klapperverpackungen
Die Hüllen der Spiele für die PlayStation kamen direkt aus dem Fegefeuer. Die Frontklappe des dicken Jewel Cases brach noch schneller als bei konventionellen Musik-CDs. Fiel das Ding auf den Boden, sprangen die Gelenkstücke heiter durch den Raum. Die schlichte, einheitliche Gestaltung des Hüllenrückens ließ sich mit viel Wohlwollen noch als erwachsen nüchtern deuten. Eine Videospiel-Entsprechung zum Stil der philosophischen Bücher bei Suhrkamp. Dennoch: Gamer sind häufig auch Sammler. Und für diese war das alles ein Graus. Die dünnen Coverblättchen, eingeschoben in so schmale Halteschienchen, das sie schon beim Öffnen der Hülle rausfallen. Die miserable Haltbarkeit des Drumherums. Die lieblose Ästhetik. Quadratisch, praktisch, schlecht.
2.) Die Masse an Mittelmaß
Ohne Frage gab es Meisterwerke. Meilensteine. Zugleich hat keine Konsole so eine Menge an unerbittlichem Mittelmaß erlebt wie die erste PlayStation. Bildeten bei früheren Geräten Jump’n’Runs und klassische Shooter die Suppe zum Salz, waren es nun vor allem Rennspiele. Da es verpönt war, für die erste wirklich 3D-fähige Konsole in 2D zu programmieren und da die Zielgruppe damals zu einem Großteil aus adoleszenten Männern bestand, schusterten die Studios einen durchschnittlichen bis schwachen Racer nach dem anderen zusammen. Jedem Gran Turismo oder V-Rally standen mindestens zehn Monster Trucks oder Rally Cross entgegen, mit Texturen wie ausgekippte Putzeimer und Motorengeräuschen wie lungenkranke Rasenmäher. Ähnliches galt für Beat’em Ups oder Sportspiele. Für Jump’n’Runs allerdings nicht. Hier entwickelten manche Designer aus Trotz und Liebe zur Sache sogar hin und wieder in 2D (oder Pseudo-3D) und schufen verkannte Schätze wie Pandemonium.
3.) Die Vernichtung von Respekt
Mit der PlayStation kam in der Konsolenwelt erstmals ein neuer Zweig der Schattenwirtschaft auf: Der Umbau des Geräts, damit es fähig wurde, Raubkopien abzuspielen. Die Männer, welche diesen Service in ihren Jugendzimmern und Hinterhofklitschen anboten, taten das nur aus Gründen des steuerfreien Profits und der Selbstprofilierung. Genausogut hätten sie an Gebrauchtwagen die Tachos manipulieren können. Ihr Verhältnis zu Videospielen lässt sich mit einem Songtitel der Band Echt aus dem Jahre 1999 gut beschreiben: „Du trägst keine Liebe in dir.“ In den WGs und verqualmten Zimmern der Konsumenten wiederum stapelten sich wieder die Kopien wie zuletzt zu Zeiten des Commodore Amiga, dessen Spiele-Industrie die Jungs mit jahrelangem Diskettentausch auf dem Schulhof zu Grunde gerichtet hatten. Zwar hatte die PlayStation eine größere wirtschaftliche Potenz, um die Raubkopierschiene zu überstehen, doch förderte allein die Möglichkeit im Gegensatz zu den modulbasierten Konsolen wieder die Respektlosigkeit gegenüber Werken, an denen Dutzende oder Hunderte von Menschen monatelang mühselig gearbeitet hatten.
4.) Der Tod einer musikalischen Ästhetik
Mit der PlayStation wurde es erstmals möglich, Videospiele mit „echten“ Soundtracks zu versehen. Plötzlich rasten die Antigravitations-Flitzer in WipeOut zum Big Beat oder Progressive House von The Chemical Brothers oder Leftfield durch die Parcours und Skateboardtricks vollführte man zu Skatepunk-Liedern von Lagwagon und The Offspring. Unbestritten wunderschön und ein echter Schritt in höhere Sphären waren die Symphonien für Titel wie Final Fantasy VII. Ein Mann wie Nobuo Uematsu gehört übergreifend zu den besten Komponisten der Neuzeit. Dennoch bedeuteten die Klangfähigkeiten der modernen Konsolen ab der PlayStation aufwärts das praktische Ende der Chiptunes-Musik und jeder Form rein computergenerierter Kompositionen. Diese waren über die Jahrzehnte hinweg weit mehr als nur eine Notlösung gewesen. Gerade die Beschränkung, keine „echten“ Instrumente nutzen zu können, erzeugte eine einzigartige Ästhetik. Heute bauen Musiker aus dem Grenzbereich zwischen Indiepop und Elektronik gerne derlei Klänge in ihre Stücke ein … und wecken damit bei älteren Generationen ein Gefühl zwischen gerührter Gänsehaut und numinoser Nostalgie, das nicht einmal die beste Symphonie zu erzeugen vermag.
5.) Die Kastigkeit
Nicht nur Bernd, das Brot fühlt sich „kastig“. Die erste PlayStation ist designtechnisch sicherlich eine Ikone. Schön war sie nicht. Eher spröde. Was wiederum ihrem Image als „erwachsenes“ Spielgerät zu Gute kam. Und den Kerlen sowieso egal war. Wobei die Frage, welche Hardware überhaupt „schön“ ist, unterhaltsame Diskussionen erzeugt. Nintendo könnte man in Sachen Außengestaltung seit der ersten Wii sowie dem ersten DS ganz vorne sehen. Sony benötigte dazu eine Weile. Die PS2 war wie ihr Vorgänger ebenfalls ein Kasten. Erst ab der dritten Generation hielt eine Form von Noblesse in glänzendem Schwarz Einzug und verlieh dem Gerät eine Art Limousinen-Gefühl. Wobei der Konzern schon bei der PSOne als kleinem Nachfolger der PlayStation mit gleichem Innenleben gelernt hatte: Sie war zwar weiterhin grau, doch an allen Ecken sanft gerundet. Die durften die Kerle dann auch beim Umzug aus der WG in die gemeinsame Wohnung mit der Freundin mitnehmen.
Bildnachweis: Fotolia.de / Video game / Urheber: cs333