Der verspielte Witz
Spiele können uns das Fürchten lehren, melancholisch machen oder das Gefühl geben, etwas eigentlich Unmögliches zu erreichen. Doch wenn sie versuchen, uns zum Lachen zu bringen, endet das meist als Trauerspiel. Woran liegt das? Und wird das immer so bleiben? Ein Erklärungsversuch
Wenn ein Mensch in digitalen Welten Dinge vollbringen kann, die in der Realität niemals möglich wären, fällt oft der Begriff Spielspaß. Dabei spielt es keine Rolle, ob er mit seiner Figur über Plattformen hüpft und dabei Ringe einsammelt oder ob er Aliens abknallt. Spielspaß kann bedeuten, dass der Spieler Angst hat, sein Puls bei einem schwierigen Level auf 180 schlägt oder dass er angesichts des Schicksals seines Helden weint. Was Spaß in Videospielen meist nicht bedeutet: dass er in Tränen ausbricht, weil ihn ein Stück Code zum Lachen gebracht hat.
Warum ist das so? Warum nehmen sich die erfolgreichsten Videospiele wie „Call Of Duty“ und „Halo“ so ernst, und warum spielt fast niemand virtuelle Brüller wie „Psychonauts“ oder „Brütal Legend“? Haben wir unser Lachen für Egoshooter und Sportspiele an die Industrie verkauft wie einst der junge Timm Thaler?
Wenn Ole Lehmann über Videospiele spricht, fällt oft das Wort „lustig“. Der 41-Jährige, der als Comedian durch Deutschland tourt und den „Quatsch Comedy Club“ moderiert, meint damit jedoch nicht Titel wie „Sam?&?Max“ oder „Day Of The Tentacle“, die den meisten in den Sinn kommen, die an Humor in Videospielen denken. Er redet über „Pac-Man“, er spricht von der Wii – und von „God Of War“. Seine ersten Erfahrungen mit Videospielen hat er in einem Kino der Kleinstadt Norderstedt gesammelt. Dort standen Mitte der Achtziger einige Automaten im Foyer, darunter „Marble Madness“ und „Pac-Man“. Vor ihnen traf sich Lehmann damals regelmäßig mit seiner Clique. „Wir haben die Maschinen mit Unmengen Geld gefüttert“, sagt er, „immer eine Mark nach der nächsten.“ Lachen schallt damals durch die Halle, denn die Games sind bunt und abgedreht. Der Spaß entsteht für Lehmann und seine Freunde durch die Unbefangenheit, mit der Spiele ihn in die absurdesten Situationen befördern. „Es war unglaublich komisch, als kleiner gelber Ball Kirschen und Gespenster zu essen oder als Männchen mit einem Hammer eine Prinzessin vor einem Affen zu retten“, erinnert er sich. Die Freunde haben auch Spaß daran, sich gegenseitig zu Höchstleistungen anzuspornen, sich über besonders gelungene Manöver zu freuen – und sich dabei gemeinsam über ihr ständiges Scheitern zu amüsieren. Auch noch heute müssen sie grinsen, wenn sie an die alten Games denken. „Wir mussten uns damals keine großen Gedanken über den Inhalt machen“, sagt Lehmann – die Spiele waren auf einer sinnlichen Ebene komisch.
Sprache als Basis
Dieser absurde, kindliche Humor, der völlig ohne Worte auskommt und an keiner kulturellen Grenze scheitert, ist auch heute noch Bestandteil vieler Jump’n’Run-Titel. In „New Super Mario Bros.“ mit einem Pinguinkostüm übers Eis zu schlittern oder in „Super Meat Boy“ mit einem Stück Fleisch durch Level zu hüpfen ist purer Slapstick. Den begreift jeder – sogar jemand, der nur beim Spielen zuschaut. Doch andere Genres tun sich trotz ihrer enormen interaktiven Möglichkeiten schwer mit dem Humor. „Das hat damit zu tun, dass Videospiele mit immer besserer Grafik und jeder neuen Konsole erwachsener geworden sind“, sagt der Comedian. Und „erwachsen“ scheint im heutigen Videospielkosmos stets gleichbedeutend zu sein mit ernsten Themen wie Krieg, Tod und Verlust.
Für die Bonner Medienwissenschaftlerin Cara Thimm hat die Humorlosigkeit vieler moderner Videospiele einen entscheidenden Grund: „Sie lassen ihre Nutzer nur äußerst eingeschränkt Einfluss auf Sprache nehmen“, sagt sie. „Witz funktioniert auf erwachsenem, intellektuellem Niveau aber immer über das gesprochene Wort.“ Das gelte für alle Bereiche, für das politische Kabarett genauso wie für Comedy-Serien à la „The Big Bang Theory“. Wenn Spiele lustig sein wollen, ist der Ort dafür meist eine Zwischensequenz, die den Wortwitz anderer Medienformen imitiert. Das bedeutet, dass der Spieler, wenn es lustig wird, keine Kontrolle mehr über das Geschehen hat und vom Agierenden zum Zuschauer degradiert wird.
Kein Wunder, dass vielen Computerspielern auch heute noch alte Adventures wie „Monkey Island“ oder „Simon The Sorcerer“ als Inbegriff des Humors in Videospielen gelten.
In ihnen hat der Spieler die Möglichkeit, zumindest mit einer beschränk-en Anzahl von Phrasen einen individuell witzigen Dialog zu führen. Selbst wenn seine Wortwahl dabei durch die Autoren vorgegeben ist: Viele Wortwechsel aus den Lucas-Arts-Spielen sind heute Teil des kollektiven Spielergedächtnisses.
Pointen mit Schuss
Cédric Royer, der Kreativdirektor von „Raving Rabbids: Durch die Zeit“, sieht die Abwesenheit von Videospiel-Humor außerhalb von Zwischensequenzen hauptsächlich in der Interaktivität des Mediums begründet. Denn anders als bei Filmen oder Fernsehserien bestimmen die Spieler über den Ablauf der Handlung. „Ein guter Gag erfordert eine erhöhte Aufmerksamkeit seitens des Empfängers und muss gut vorbereitet werden“, sagt Royer, „wenn am Anfang des Witzes etwas schief geht, ist die Chance gering, dass die Pointe richtig einschlägt.“ In einem Videospiel jedoch obliege es den Spielern, ob sie sich beispielsweise die Einleitung zu einem Gag anhören möchten oder nicht. Außerdem benötige ein guter Witz einen gewissen Abstand zwischen Spiel und Scherz: „Wenn ich gerade völlig mit Überleben beschäftigt bin, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass in meinem Kopf noch genug Platz ist, um die Pointe des Gags mitzubekommen“, sagt der Entwickler. Ob ein Spieler in „GTA IV“ einen witzigen Kommentar seines Charakters Niko Bellic hört, während von allen Seiten auf ihn geschossen wird, ist also reine Glückssache und für die Entwickler sehr schwer zu kalkulieren.
Wenn also Videospiele aus sich heraus nur komisch sein können, wenn sie mehr schlecht als recht auf Mechanismen anderer Medien zurückgreifen – könnten dann nicht wenigstens die Spieler selbst für Lacher sorgen? Für Comedian Lehmann ist das so. Er sieht gerade beim Trend zu Casual-Titeln wie „Raving Rabbids“ und dem gemeinsamen Spielen mit der Wii Parallelen zum Spaß von früher: „Wenn fünf Leute vor einer Konsole stehen, dann wollen sie kein dramatisches Game spielen“, sagt er, „dann muss das Spiel lustig sein, dann wollen sie lachen.“
Die Spieler selbst werden so zu Unerhaltern. Zum Beispiel, indem sie im neuen „Rabbids“-Spiel im Kreis ihrer Freunde auf einem Balanceboard herumhampeln, um ihre Hasen auf einem Gnu über eine Schneepiste ins Tal zu lenken. Selbst blutige Spiele wie „God Of War“ können dann unfreiwillig komisch sein: „Wenn ich als Kratos einem Gott den Kopf abreiße und sich das Spiel bei aller überspitzten Brutalität noch ernst nimmt, muss nicht nur ich kichern“, sagt Lehmann. Der Berufskomiker ist sich sicher, dass die soziale Komponente, die bereits die Frühzeit der Games prägte, auch eine entscheidende für die Zukunft des Humors im Spiel ist. „Zu zweit lacht es sich besser als alleine“, sagt Lehmann, und Spieldesigner Cédric Royer stimmt dem zu. „Wir lassen die Spieler dämliche Posen einnehmen, damit sie vor dem Fernseher Spaß zusammen haben.“ Sein Motto lautet: „Mehr Leute, mehr Spaß.“
Spiel mit Erwartungen
Medienforscherin Cara Thimm ist sich sogar sicher, dass in Zukunft Spieler nicht nur vor, sondern auch in der Spielwelt zu Komikern werden können. Durch die immer offeneren Spielwelten werde noch stärker die Beteiligung des Spielers ausschlaggebend sein für eine gute Pointe:
„Wenn das Game mir die Möglichkeiten gibt, mit meinen Erwartungen zu spielen, kann es witzig werden“, sagt Thimm. So können Spieler beispielsweise im Splattertitel „Dead Rising 2“ ihren männlichen Charakter in Frauen- oder Kinderkleidung auf Zombiejagd schicken. Das wirkt besonders in den Zwischensequenzen mit ihren dramatischen Dialogen urkomisch, denn auch dort erscheint der Held, je nach Geschmack des Spielers, im Girlie-Top oder im Elviskostüm – und das schafft einen Bruch, der Raum macht für Humor. „Auf diese Weise entstehen individuelle Formen von Witz, die so unterschiedlich sein können wie die Menschen, die Spiele spielen“, sagt Wissenschaftlerin Thimm.
Dass sich Spieler danach sehnen, in Games zu lachen, zeigt ein Blick auf die Videoplattform Youtube. Dort stellen Nutzer immer neue Kurzfilme ins Netz, in denen sie Spielwelten als Bühne für ihre eigenen virtuellen Sketche benutzen. Oft bedienen sie sich dabei Games wie „Grand Theft Auto“ oder „Saboteur“, denn diese Titel eignen sich durch ihre vielen verschiedenen Gameplay-Elemente besonders für selbst erzählte Witze. Das Angebot reicht von spektakulären Crashs bis zu Mods, in denen der Protagonist wie ein Gummiball durch die Stadt hüpft. Mancher Hersteller verführt mittlerweile seine Spieler sogar mit freischaltbaren Erfolgen zum humorvollen Experimentieren. Im Spiel „Bully“ etwa erhält der Spieler das Achievement „Over The Rainbow“, wenn er den Schulrowdy statt Mädchen zwanzig Jungs küssen lässt. „Half-Life 2: Episode Two“ belohnt Spieler sogar mit einer Auszeichnung, wenn sie mit der Gravity-Gun einen Gartenzwerg durch das komplette Spiel tragen.
Humor braucht Freiheit. Er kann Teil des Gameplays sein – oder sich ihm widersetzen. Vielleicht ist es das, was viele Spieleentwickler erst lernen müssen. Vielleicht ist das auch erst mit mehr Rechenkraft möglich. Sicher ist: Egal ob zynisch, trashig oder warmherzig – Videospiele können genau so witzig sein wie wir. Sie müssen uns nur aus dem virtuellen Zuschauerraum in das Rampenlicht ihrer Bühnen entlassen.
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