Nachwuchs
Mit neuen Technologien wollen Sony, Microsoft und Nintendo unsere Spielfreude auffrischen. Wir sollen uns mehr bewegen mit Playstation Move, den Gamecontroller dank Kinect gleich ganz vergessen und mit dem 3DS jederzeit in alle drei Dimensionen eintauchen. Ein GEE-Special zur Zukunft der Spiele-Hardware
Traumtiefe
3D tut weh. Räumliches Sehen am PC funktioniert nur mit unbequemen Brillen. Nintendos Virtual Boy war vor allem für Kopfschmerzen bekannt. Mit dem 3DS will die Firma nun zeigen, dass Stereoskopie im Videospiel doch funktioniert
Als Shigeru Miyamoto, der Vater von Super Mario und Link, gemeinsam mit Hideki Konno, dem Produzenten des 3DS, im Juni auf der Videospielmesse E3 in Los Angeles den Prototypen des 3D-Handhelds vorstellte, freuten sich die beiden wie Kinder. Sie kicherten über putzige Welpen und Kätzchen, die in der angekündigten Haustiersimulation „Nintendogs + Cats“ ihre Schnauzen am 3D-Display platt drückten. Und Miyamoto schwärmte von dem Gefühl, in der Neuauflage des N64-Klassikers „The Legend Of Zelda: Ocarina Of Time“ für den 3DS über die Wiesen des Königreichs Hyrule zu wandeln, als wären sie real. Das Patent auf diese kindliche Freude, dieses Staunen über sehr einfache Dinge im Zusammenhang mit Videospielen, das liegt seit Einführung des ersten DS im Jahre 2005 fest in der Hand von Nintendo. Unvergessen bleibt der erste Moment, als man mit dem Zeigefinger den Touchscreen des DS berührte und im selben Augenblick – an derselben Stelle, an der man ihn aufgesetzt hatte – eine visuelle Rückmeldung erhielt. Heutzutage gehört diese Einheit von Bild- und Bedienelement dank iPhone zum Alltag vieler, damals aber war das beinahe wie Zauberei. Auch die Möglichkeit, über das Mikrofon des DS den Spielfiguren Befehle zu geben, durch Hineinpfeifen etwa einen Hund herbeizurufen oder durch Pusten die Flamme einer Kerze auszulöschen, war zugleich neu und einfach – und gerade deshalb ungemein faszinierend.
Der 3DS, die fünfte Version des DS, der über höhere Rechenleistung, Grafik auf Gamecube-Niveau, Bewegungssensoren und erstmals über einen analogen Controller – den Slidepad – verfügt, setzt diese Tradition fort. Denn auch ihm liegt eine sehr einfache Idee zugrunde, die sogar all diese willkommenen Verbesserungen verblassen lässt und sich wie ein kleines Wunder anfühlt: räumliches Sehen ohne 3D-Brille. Während der untere Bildschirm des 3DS weiterhin als Touchscreen dient, zeigt der obere, mit einer Diagonale von neun Zentimetern deutlich breitere Bildschirm nun ein stereoskopisches Bild. Man kennt diesen Effekt aus dem Kino, jedoch funktioniert er dort ausschließlich mit einer Brille, die beide Augen ein räumlich leicht versetztes Bild sehen lässt und dadurch einen dreidimensionalen Eindruck erzeugt. Ein Verfahren, das ohne Brille auskommt, war lange Zeit Science-Fiction und kommt erst seit einigen Jahren in sehr wenigen und äußerst kostspieligen Anwendungen in Industrie und Forschung zum Einsatz.
Nun ist die Hürde zum Massenmarkt genommen. Ein feines Raster und ein spezielles Flüssigkristalldisplay sind dafür verantwortlich, dass räumliches Sehen nun auch in Spielen ohne Brille möglich ist – vorausgesetzt, man schaut im richtigen Winkel auf den Bildschirm. Der auf diese Weise hervorgerufene 3D-Effekt ist beeindruckend. Er erfasst den ganzen Körper: Man möchte in die Welt hinter dem Bildschirm hineingreifen, den Fuß auf den grünen Boden des Pilzkönigreichs setzen und in Marios Knubbelnase kneifen. Das wollten manche Spieler zwar schon immer – aber erstmals fühlt es sich so an, als könnte man das auch. Diese Erfahrung ist nicht nur verblüffend, sondern geradezu rührend. Der Stereoskopieeffekt verleiht den Spielen eine ungekannte Körperlichkeit, „einen Anschein von Existenz“, wie es Hideki Kamiya, der Schöpfer von Videospielen wie „Viewtiful Joe“ und „Bayonetta“, treffend beschreibt. 3DS-Spiele bergen somit das Versprechen, neben räumlicher auch über mehr spielerische und emotionale Tiefe zu verfügen.
Und mehr noch: Durch den 3DS wird Stereoskopie im Videospiel zur Normalität, zum Standard. Wer daran zweifelt, braucht während einer Partie „Mario Kart 3DS“ bloß den 3D-Regler an der rechten Seite der Konsole ganz nach unten zu ziehen. Dann sieht er, wie schrecklich flach das Pilzkönigreich ohne räumliche Tiefe wirkt: Das war „Super Mario Kart“ 2005, das war gestern, das will man nicht mehr. Und auch die 3D-Kamera, die mithilfe zweier an der Vorderseite des 3DS sitzender Fotolinsen dreidimensionale Schnappschüsse aufnimmt, könnte eine ähnliche Revolution auslösen. Denn mit ihr lässt sich jeder beliebige Augenblick – vom Weihnachtsbesuch bei der Oma bis zur Geburt des ersten Kindes – in Zeit und Raum für die Ewigkeit festhalten. Waren 3D-Kameras bisher ein Spielzeug für Optik-Nerds und James Cameron, könnten sie durch Nintendos 3DS zur Selbstverständlichkeit für jedermann werden. Anstelle von flachen Bildern nähmen wir dann künftig räumliche Eindrücke als Andenken mit – und die Art und Weise, wie wir unsere Vergangenheit konservieren, wäre nie wieder dieselbe.
Der Erscheinungstermin des 3DS steht noch aus. Sicher ist jedoch, dass er spätestens im Frühjahr 2011 auf den Markt kommen wird. Auch bezüglich des Preises hält sich Nintendo bedeckt. Aber es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn der 3DS mehr als 200 Euro kosten würde. Dann wäre die Handheldkonsole nämlich teurer als eine Wii.
Umschwung
Der Bewegungs-Controller Move für die PS3 vermengt Wii und „Eyetoy“ mit beeindruckender technischer Präzision, muss aber noch beweisen, dass das Ganze mehr wert ist als die Summe seiner Teile
Virtuelle Karateschläge mit den Armen, ohne einen Controller in der Hand zu halten. Fußbälle balancieren mit dem eigenen, abgefilmten Kopf im eigenen, auf den Bildschirm projizierten Wohnzimmer. All das … hatte Sony bereits vor sieben Jahren zu bieten. Zurückblickend betrachtet war „Eyetoy“ trotz seiner Limitationen eines der visionärsten Gaming-Produkte des vergangenen Jahrzehnts, und es ist unverständlich, wie sich die Firma auf dem Gebiet der Bewegungs-Controller so hat von Nintendo übertrumpfen lassen können. Mit dem im September erscheinenden Move will Sony nun wieder Bewegung in den Markt bringen.
Funktionierte „Eyetoy“ eigentlich bereits wie Microsofts Kinect allein durch Kamera-Erfassung, geht Sony dabei einen vermeintlichen Schritt zurück und gibt dem Spieler wieder einen Controller in die Hand. Und das aus gutem Grund: Der Konzern weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, Spiele für eine reine Körpersteuerung zu entwickeln, die über die Komplexität von virtuellem Scheibenwischen hinausgehen – und Sony hat mit Move ausdrücklich auch den Hardcore-Gamer im Visier. Der neue Controller ähnelt der Wiimote und liegt schwer, aber wertig in der Hand. Auffällig ist die leuchtende Kugel an der Spitze. Sie dient der Erfassung durch die „Playstation Eye“-Kamera. Ihr weiches Gummi verhindert Verletzungen und macht eine hässliche Hülle unnötig. Die Farbe der Kugel kann von Spielentwicklern frei gewählt und spielerisch genutzt werden, etwa indem sie bei kritischem Lebensenergiestand rot blinkt. Games mit komplexer Bewegung benötigen einen an Nintendos Nunchuk erinnernden „Navigationscontroller“. Beide sind angenehmerweise kabellos miteinander verbunden.
Im Gegensatz zur Wii erkennt „Move“ auch Bewegungen in der Tiefe des Raums, und zwar sowohl schnelle Aktionen als auch subtile Drehungen. Alles andere wäre fast vier Jahre nach Erscheinen der Nintendo-Konsole auch eine Enttäuschung. Während sich bei der Wii nur Anfänger körperlich verausgaben, weil sie nicht wissen, dass die Steuerung auch durch reines Bewegen der Hand funktioniert, wird „Move“ seinem Namen gerecht und animiert etwa beim Tischtennis in „Sports Champions“ zur echten Aktion. Für den Taktik-shooter „Socom“ gilt das hoffentlich nicht – aber auch dieses komplexere Game spielt sich intuitiv und könnte Spielern gefallen, die mit der normalen Steuerung von Konsolen-Shootern nicht zurechtkommen. Neben exklusiven Titeln bieten zukünftige Games wie „Little Big Planet 2“ oder „Killzone 3“ optionale „Move“-Features. Ältere Spiele wie „Flower“, „Resident Evil 5“ und „Heavy Rain“ werden nachträglich Updates erhalten.
Was verwundert und enttäuscht: Sony hat nicht „das Spiel“ im Angebot. Dabei sind die Hardwarehersteller zum Start eigentlich immer darauf erpicht, zu zeigen, was auf dem neuen System möglich ist. Nintendo hat seine innovativen Geräte in den vergangenen Jahren ausschließlich durch Software verkauft. Spiele wie „Nintendogs“ oder „Wii Fit“ sind ohne die neue Konsole nicht möglich – das hat jeder sofort verstanden, und viele woll-ten sie deswegen sofort haben. Solch ein Produkt fehlt „Move“. Dabei hätte man von Sony eine solch genial-einfache Idee eigentlich erwarten dürfen. Trotzdem beeindruckt „Move“. Vor allem, wenn man sich auf dem Bildschirm sieht, aber darauf statt des Controllers andere Gegenstände in der Hand hält, wie einen Tennisschläger bei „Start The Party!“ oder einen Föhn für das „Eyepet“. Das Gefühl, mit virtuellen Dingen zu hantieren, war noch nie so präsent in einem Videospiel. In solchen Momenten glaubt man wirklich, nicht nur einen neuen Controller, sondern etwas gänzlich Neues in der Hand zu halten.
Move erscheint am 15. September. Das Starterpack mit Controller, Kamera und einer Demo-Disc kostet 60 Euro. Der Controller ist einzeln für 40 Euro, die Navigationseinheit für 30 Euro erhältlich.
Fass mich nicht an
Auf Wiedersehen, Joystick und Controller? Ausgespielt, Tastatur und Maus? Microsofts Kinect nimmt dem Spieler alles aus der Hand und setzt auf Körpereinsatz. Doch noch darf das System nicht zeigen, was es kann
Schritt nach links, Händeklatschen, Drehung, hoch das Bein. Eins zu eins kopiert der Xbox-360-Avatar die Bewegungen des Spielers vor dem Fernseher. Zweifelsohne: Microsofts Kinect funktioniert tatsächlich, ohne irgendetwas anzufassen. Dabei klingt „kein Controller in der Hand und eine Kamera vor dem Bildschirm“ zwar nach Sonys „Eyetoy“-Technik, Microsoft ist aber mindestens drei Schritte weiter: In dem Gerät steckt eine Kombination aus Mikrofonen, Kamera und Sensoren, die den Spieler nicht nur als Silhouette, sondern als Figur im dreidimensionalen Raum erfasst. Bis zu 20 Körperpunkte scannt Kinect und bekommt so jegliche Bewegung auch in der Tiefe mit. Es erkennt dabei sogar einzelne Finger. Und irgendwie schafft es das System, dass das selbst in ungleichmäßig ausgeleuchteten Räumen und ohne kontrastreiche Wand im Hintergrund funktioniert. Kinect soll zudem laut Microsoft sogar in der Lage sein, die Emotionen des Spielers anhand seiner Mimik und seiner Stimme zu erkennen.
Die bisher gezeigten Spiele nutzen das Pozenzial des neuen Interfaces jedoch nur wenig. Im mitgelieferten „Kinect Adventures“ geht es darum, einer Figur durch Hindernis-Parcours zu helfen, indem sie durch Hinhocken, Springen und Zur-Seite-Gehen an Hindernissen vorbeigeschleust wird. Körperlich anstrengend und technisch einwandfrei umgesetzt ist das, spielerisch bleibt es eher mau. Die Autos in „Kinect Joy Ride“ wiederum reagieren auf Bewegungen, die vor dem Körper mit einem imaginären Lenkrad ausgeführt werden, und fangen an zu driften, wenn der Spieler sich zur Seite lehnt. Das ist kein Game für „Gran Turismo“-Perfektionisten, aber spaßig. Beim Bowling in „Kinect Sports“ tut man so, als würde man eine echte Bowlingkugel werfen, und schon rollt der Avatar sie exakt so auf die Bahn. Auch spaßig, aber man kommt sich ein wenig vor wie zu Besuch bei einem Unternehmen, das etwas ganz Tolles erfunden hat – und um ein guter Gast zu sein, sagt man nicht, dass es solcherart Spiele bereits zu kaufen gibt. Denn zweifellos bringt Microsoft mit Kinect eine äußerst spannende Technik heraus, und was wir bisher von den zum Start verfügbaren Games sehen durften, funktioniert gut. Der angestrebten Zielgruppe der Gelegenheitsspieler wird allerdings erst einmal das bekannte Repertoire an Wii-Party-, -Sport- und -Fitness-Games vorgekäut. Auch wenn diese durch das controllerlose Spiel leidlich innovativ erscheinen, fehlt auch Microsoft – wie Sony für sein Playstation Move – ein Game, das etwas wirklich Großes zeigt. Wie unglaublich würde sich Kinect wohl mit 3D-Technik ausnehmen, wenn man die aus den Fernseher ragenden Bilder quasi anfassen und manipulieren könnte? Oder wenn zumindest Peter Molyneux mehr von seinem „Milo“ gezeigt hätte? Die spannendste Ankündigung ist Tetsuya Mizuguchis Musikspiel „Child Of Eden“ (siehe Seite 43). Das allerdings kommt nicht von Micro-, sondern von Ubisoft.
Bald wird sich zeigen, ob der Konzern Gelegenheitsspieler überhaupt für sich begeistern kann. Dabei wird der Preis eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Immerhin kostet allein der Kinect-Sensor 150 Euro. Ein Bundle mit Xbox 360 und Kinect wird es für 300 Euro geben. Ein „Wii Sports Resort“-Bundle für 200 Euro geht da sicher leichter über den Ladentisch. Und werden sich Wii-Besitzer jetzt eine komplett neue Ausrüstung kaufen, um mit besserer Grafik und ohne Controller dieselben Games zu spielen? Immerhin: Wer bereits eine Xbox 360 hat, kann Kinect problemlos daran anschließen, Nur an der neuen, schlanken Variante (siehe Seite 16) gibt es allerdings einen Anschluss, der das Gerät mit Strom versorgt. Besitzer der herkömmlichen Xbox 360 müssen wohl oder übel das zugehörige Netzteil verwenden.
Mehr als die bisher bekannten Spiele zeigt derzeit das Xbox-Dashboard, was Kinect draufhat. Das erkennt Spieler am Gesicht, und auch einfache Sprachbefehle wie „Xbox: Start!“ wird das Interface in Zukunft verstehen. Bei manchen Games wird es reichen, ins Bild zu laufen, um als zweiter Spieler registriert zu werden. Das ist genial einfach. Das Kinect-System arbeitet außerdem so genau, dass auch kleinteilige Menüs mit bloßen Handbewegungen bedienbar sein werden. Schiebt man darin imaginäre Schalter zur Seite, meint man, sie beinahe spüren zu können. In diesen Momenten wirkt Microsofts neue Technik geradezu beflügelnd auf die Fantasie. Das Potenzial für völlig neue Spielerfahrungen ist also definitiv vorhanden. Bleibt nur abzuwarten, wann wir die ersten davon auch zu sehen bekommen.
Kinect erscheint Mitte November für 150 Euro. Ein Bundle mit Konsole und Kinect gibt es für 300 Euro.
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