Feier frei
Am 29. September wird die Playstation 15 Jahre alt. Das ist ein Grund zu gratulieren – und ein guter Anlass, den grauen Kasten wieder einmal herauszukramen und in die Spiele einer Ära abzutauchen, die vielen sehr nah und doch unglaublich fern erscheint
Ich stehe in einem langen Flur und habe Blut an den Händen. Oder besser gesagt: Jill Valentine hat Blut an den Händen. Es sind Köpfe geplatzt, Köpfe von Zombies und Hunden. Ich spiele „Resident Evil“, den ersten Teil, das erste Mal seit neun Jahren. Es hat seinen Grusel nicht verloren. Ich lasse Jill die Noten für Beethovens „Mondscheinsonate“ aus dem Schrank holen, betrete mit ihr eine braun getäfelte Bar, setze sie an einen Flügel und beobachte, wie sie spielt. Ich sehe sie durch eine Kamera zwischen den Blättern der Zimmerpalme. Ich sehe sie so, wie ein dort versteckter Feind sie sehen würde. Diese Kameratricks sind ein Grund dafür, dass sich der Horror des Spiels bis heute nicht abnutzt. Allerdings hatte ich verdrängt, wie lange ich bei den Ladezeiten für den nächsten Raum auf die sich öffnende Tür starren muss. Und wie oft ich stumpf Flur um Flur zurück zu der Kammer mit der Inventarkiste laufe, da ich nicht alles bei mir tragen kann und das Wichtigste immer wieder vergesse.
Nichts gegen Mario oder Sonic. Aber seien wir ehrlich: Die Playstation war die erste wirklich coole Konsole. Die Playstation war Rock’n’Roll. Auf ihr schlich das erste Mal der Eliteagent Solid Snake durch feindliche Bauten und zeigte neben allerlei Emotionen sogar menschliche Bedürfnisse. Pinkeln, schwitzen, zittern, niesen: „Metal Gear Solid“ war der Anfang einer Entwicklung, während der Videospielfiguren zu echteren Menschen werden sollten. Das Genre der Stealth-Action entstand auf der Playstation, in „Tenchu“, dem legendären Ninja-Spiel, in welchem sich die Spieler das erste Mal mit angehaltenem Atem an Gegner heranpirschten. Zu einer geheimnisvollen, sanften Musik verwandelten sie sich in einen tödlichen Schatten, der über die Mauern japanischer Dörfer kroch, sich in Papier- und Bambushäuser schlich und selbst dann kein Mitleid zeigte, wenn der böse Kaufmann vor seiner Hinrichtung um Gnade bettelte. „Tenchu“ war ästhetisch und brutal zugleich – und schnell auf dem Index, wie zahlreiche Spiele für die neue Konsole. Auch so etwas ist gut für ein verwegenes Image.
Die Strecke ist einmalig. Bergmassive, die Skyline einer Großstadt mit Hochhäusern, Brücken und Unterführungen. Und jetzt dieser Strand mit Palmen und flachen, kleinen Häusern am Straßenrand, die an Los Angeles erinnern. Alle Themen, die eine Rennspielkulisse haben kann, finden sich auf einem einzigen Kurs. Und das ist kein Wunder, schließlich besteht das erste „Ridge Racer“ nur aus dieser einzigen Strecke. Heute wieder gespielt, sieht sie aus wie eine Ausstellung über den Lifestyle der neunziger Jahre: die knalligen Farben, der Schrifttyp der Zeitanzeige, all das Offensive, Unsubtile, Kirmeshafte. Sogar Rotterdam-Sound ballert im Soundtrack des Spiels, knüppelnder Hardcore-Techno, der damals einen Höhenflug hatte.
„Ridge Racer“ war das erste Spiel für die europäische Playstation, und es steht für alles, was die Konsole damals so besonders gemacht hat: Echtzeit-3D-Grafik mit texturierten Polygonen statt glatten Flächen auf Gitternetzen. Derbe Soundtracks. Überwältigung. „Ridge Racer“ hatte zuvor als Automat in den Spielhallen gestanden und war das erste Rennspiel, das so gut aussah. Und wo stand die Playstation? Sie stand in Männer-WGs, Studentenwohnheimen und Junggesellenbuden. Wo die wilden Kerle wohnten. Viele, die beim Amiga ausgestiegen waren, stiegen bei der ersten maskulinen Spielkonsole wieder ein. Man(n) konnte endlich richtig rasen. Und bolzen. Und prügeln. Und raubkopieren, natürlich. „Ist deine Pläse umgebaut?“ Eine häufige Frage war das damals. Man wollte mehr, aber bezahlen wollten nicht alle. Auch ein Grund für den Erfolg der Konsole, selbst wenn Sony das natürlich nicht gerne hört – und niemals zugeben würde.
„Sexy Luder“, kommentiert mein Mitspieler und peitscht mich in der „Battle Arena Toshinden“ mit einer Domina namens Sofia gnadenlos aus. Bei „Tekken 2“ läuft es für mich auch nicht besser. Ich wirke zwar einschüchternd mit meinem Tigerkopf, aber meine Gegner kennen die Combos. Ich weiß noch, wie modern diese Beat’em-up-Reihen damals waren. Heute muss ich zugeben, dass an den 3D-Figuren der Zahn der Zeit genagt hat. Wenn der Kern eines Spiels die Performance der Kämpfer ist, ist der visuelle Rausch wichtiger als anderswo. Natürlich sieht heute alles viel flüssiger, dynamischer und detaillierter aus als vor einem Jahrzehnt. Die Spiele sind aber auch komplexer geworden. „Fifa 99“ zum Beispiel fühlt sich im Vergleich zu den heutigen Versionen an wie ein Arcade-Automat, so schnell ist das Feld hin zum Torschuss überbrückt. Gegen Mitternacht spielen wir endlich „Wipe Out“. Das pfeilschnelle Gleiterrennen wurde damals sogar in Nachtclubs beworben. Der Soundtrack stammt von Underworld, Leftfield, Orbital, von der ganzen Riege damaliger Techno-Größen. Red Bull ruft darin dazu auf, mittels Taurin seine Reaktionszeit zu verbessern. Ich hänge die anderen ab, da sie keine Übung haben und bereits zum Stehen kommen, wenn sie die Wand nur berühren. „Dann lieber ‚Gran Turismo‘“, sagt mein Mitspieler und wirft frustriert seinen Controller weg. Er ist kein Kind der Rave-Generation. „Wipe Out“ schon.
Viele der mehr als 3500 Spiele für die erste Playstation – für keine Konsole gibt es ein größeres Programm – liegen heute für ein paar Euro auf den Tischen der Trödelmärkte, jeder Relevanz enthoben. Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens haben sie eine ganze Armee neuer Arbeitskräfte in der Spielebranche auf Trab gehalten. Nicht Programmierer und Designer, sondern Marketingbeauftragte, die noch für das schwächste Trendsport- oder Rennspiel ein Dutzend „Deals“ einfädelten und immer noch einen Song für den Soundtrack lizenzierten. Gelungen und sinnvoll war diese bis dahin weitgehend unbekannte Symbiose aus Pop-, Marken- und Spielkultur zum Beispiel bei Titeln wie „Tony Hawk’s Pro Skater“, in dem es sich zu Punkrock und HipHop gleich doppelt so gut fuhr. Oft jedoch waren die Spiele für die neue Konsole jedoch nur Mogelpackungen mit den immer gleichen Zutaten: einem reißerischen Filmvorspann und Video-sequenzen statt Screenshots auf einer Verpackung, in der sich dann ein Spiel mit miserabler Grafik und einer hakeligen Steuerung befand. Beispiele? „Tokyo Highway Battle“ hatte einen Drift-Racing-Vorspann wie bei „Top Gear“ im Kino, war aber ein mürbes Spiel ohne jeden Geschwindigkeitsrausch. „WWF Smackdown 2“ zeigte zwar tolle Wrestling-Videos, bot im Ring aber ein Spielgefühl, das sich kaum von C64-Kloppereien unterschied. Dasselbe bei „Monster Trucks“: großartiges Rock’n’Roll-Intro, danach folgte strunzbiedere Fahrerei mit einem Motorengeräusch wie das eines kaputten Rasenmähers.
„Hello!“ Wenn der hagere, tapsige Abe einem seiner Artgenossen auf die Schulter tippt, um ihn zum Mitkommen zu bewegen, klingt das unschuldig heiter. Dabei teilen die Mudokons ein hartes Schicksal: Sie sind nicht länger nur Arbeiter für ihren Fleischkonzern, sondern dessen Schlachtvieh. Dem Chef geht nämlich der Rohstoff aus. Schritt für Schritt rette ich also die armen Würstchen in dem klugen, langsamen Jump’n’Rätsel-Adventure „Oddworld: Abe’s Odyssee“, das so sehr Kunstwerk und Gleichnis war, dass es bis heute keinen Staub angesetzt hat. Auch in „Final Fantasy VII“ kämpfe ich gegen einen Konzern. Gegen Shinra, ein Konsortium, das dem Planeten Gaia die Lebensenergie raubt. Das spielt sich heute ambivalent, denn auf Schritt und Tritt begegnen meine Gefährten und ich gegnerischen Monstern. Dann zischt es, die Musik hebt an, und ein Rundenkampf beginnt. Immer wieder. Und wieder. Es ist auch heute ein faszinierendes Spiel, aber repetitiv und langsam. Oder positiv gesprochen: Es entschleunigt. Wie „Discworld 2“, bei dem ich auch jetzt wieder lachen muss, weil ich mit einem Gestank, der vor einer schummrigen Bar über einem Bettler schwebt, sprechen kann. Auch toll: Meine Spielfigur Rincewind wird von Andreas Elsholz gesprochen, der deutschen Stimme von Tom Hanks. Weniger toll: Rincewind schiebt sich stellenweise so langsam durch die Kulisse, dass ich denke, die Konsole sei heißgelaufen.
Sony hat bei der Playstation vieles richtig gemacht. Hat einen Controller entworfen, er sich in seiner Grundform bis in die dritte Generation gehalten hat. Hat die Memory Card, die zuvor nur die Nischenkonsole Neo Geo kannte, zum Massenmedium gemacht. Hat zur Jahrtausendwende die PSone nachgeschoben, eine Miniaturvariante der Playstation, die bis heute in Kinder- und Geschäftsleutekoffern durch die Welt reist. Hat das neue Medium CD sinnvoll genutzt, für Synchronsprecher, mitreißende Soundtracks und organisch eingebaute Filmsequenzen. Aber Sony hat bei der Playstation auch einiges falsch gemacht. Der Konzern hat das Medium CD oft sinnlos genutzt, für Masse statt Klasse. Und: Sony hat Verpackungen entworfen, deren Hüllen schnell brechen, aus denen die Cover herausrutschen und die Anleitungen ohne Halt einliegen. Das ist keine Nebensache, nein. Ärgerliche Verpackungen sind das. Spieler zur Weißglut bringende Verpackungen. Verpackungen aus der Hölle.
Unten in der Höhle liegt das klare Wasserbecken still da. Ohnehin ist es gespenstisch ruhig in diesen Katakomben. Mittendrin sehe ich: Lara Croft. Von hinten. Yeah! Doch so pfiffig der Einfall immer noch ist, der Spielfigur von „Tomb Raider“ die ganze Zeit auf den Knackarsch zu schauen, so ermüdend ist es heute, die entscheidende Steinkante zu finden, an der sich Lara hochziehen kann. Denn ich sehe den Vorsprung einfach nicht. Drehe ich mich um mich selbst, schiebt sich die Kamera in die Wand. Immer wieder. Und wieder. Frust. Dreidimensionenfrust. Ich wechsele die CD, um ein paar Pseudo-3D-Games mit anderen Playstation-Maskottchen zu spielen. Die gro-ßen Füße von „Crash Bandicoot“ rascheln auf seinem Jump’n’Run-Weg in die Tiefe des Dschungels. Ein Jingle trommelt, wenn er seine afrikanische Maske aufsammelt, Gürteltiere gehen auf dem verregneten Pfad stoisch ihrem Alltag nach. Bei „Pandemonium“ hüpft meine Narrenfigur durch die märchenhafte Farbenpracht von Burgzinnen-, Rutschen- und Turmkulissen. Sie drehen sich, während ich auf einer zweidimensionalen Laufstrecke fixiert bleibe. Das ist unglaublich angenehm. Und griffig.
Griffig. Ein Wort, das man nicht auf viele Konsolen anwenden kann. Die Playstation war unglaublich griffig. Sie war kein halbgares Multimedia-Modell wie die gescheiterte CD-Konkurrenz ihrer Zeit. Keine eierlegende Wollmilchsau, sondern eine reine Spielkonsole. Eine Play-Station eben. Ein Welterfolg. Der Nintendo-Besieger. Mit der nächsten Playstation hat Sony das Erfolgskonzept behutsam und erfolgreich verfeinert und erweitert, aber mit der Playstation 3 ist die Firma dann nach vielen Jahren der Marktdominanz weit hinter ein Gerät zurückgefallen, das sich wieder einfach nur aufs Spielen konzentriert – hinter Nintendos Wii. Die lockt aufgrund ihres intuitiven Spielprinzips auch Gelegenheitsspieler vor die Fernseher, befriedigt aber vor allem das Bedürfnis vieler Spieler nach Überschaubarkeit und Einfachheit eines Geräts. Nintendo hat im Grunde eine Playstation gebaut. Das scheint bis heute der beste aller Wege zu sein. Nicht nur deshalb verneigen wir uns heute vor dem grauen Kasten … oder nein, besser wir klopfen ihm einmal rustikal auf die Schulter. Das passt viel besser zu dem alten Jungen.
Unser Dank für die Unterstützung bei der Wiederbelebung alter Zeiten gilt Winnie Forster von GAMEplan. In langen Gesprächen haben er und weitere Experten jede Menge interessanter historischer Fragen zur ersten Playstation beantwortetet. Diese Interviews veröffentlichen wir zum Geburtstag ab dem 29. September als Serie „15 Jahre Playstation“ auf
www.geemag.de.
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