Sex Pixels

Sex Pixels

Carsten Wieland macht erotische Computergames mit Titeln wie „Castle Knatterfels – Curse Of The Zombie Krauts“ oder „Dick Sucks – Terror In Titfield“: Wir waren scharf darauf, ihn kennen zu lernen und trafen ihn auf ein Date bei ihm zu Hause Nein, es liegen keine Pornoheftchen auf dem Couchtisch, und es hängen keine erotischen Pos-ter an den Wänden. Stattdessen stehen Bücher über Alfred Hitchcock und Billy Wilder im Regal hinter dem Schreibtisch, daneben die Fernsehserie „Sex And The City“. Eine grau gemusterte Katze tigert über die Dielen der Altbauwohnung im Hamburger Stadtteil Ottensen. Stünde da nicht diese Frau auf dem Flur, man könnte von einer ganz normalen Einrichtung sprechen. Ein Meter achtundsiebzig ist sie groß, und sie trägt kaum mehr als einen BH, der sich müht, ihre riesigen Brüste zu bändigen. Selbst Carsten Wieland gibt zu: „Ich finde sie nicht ganz gelungen. Das ist doch etwas zu doll.“ Es ist seine Wohnung, und es ist sein Geschöpf. Lula heißt die Plastikfigur. Die war einst heiß begehrt: „Von ihr haben wir an die 2000 Stück verkauft“, sagt Wieland stolz – „für einen Stückpreis von 1000 Mark.“ Für 672 Euro sei sie übriges immer noch erhältlich. Lula ist die Titelheldin des Spiels „Wet – The Sexy Empire“ von CDV Software, das 1997 die Spielecharts erklommen hatte und es in Deutschland sogar auf Platz 2 schaffte. Weltweit hat sich die erotische Wirtschaftssimulation, bei der es darum geht, in einem Wüstenkaff eine florierende Porno-Produktion aufzubauen, mehr als eine Million Mal verkauft. „Ich hatte damals schon länger im Sinn, dass man mal Erotik einfließen lassen müsste ins Spieleangebot“, sagt der heute 44-Jährige, „schließlich war das noch eine Marktlücke.“ Im selben Jahr erschien das Spiel „Bazooka Sue“, an dem er zuvor für einen anderen Hersteller drei Jahre lang gearbeitet hatte. In diesem Adventure versucht ein kurvenreiches Frau/Schwein-Mischwesen namens Sue, die Welt vor den finsteren Machenschaften eines verrückten Wissenschaftlers zu retten – ein klassischer Plot, mit ein wenig Sex gewürzt. Auch dieses Spiel wurde ein Erfolg. Carsten Wieland war plötzlich drin in der Gamesbranche – und der Experte für die Extraportion Sex. Darüber, das es so weit gekommen ist, wundert er sich heute noch ein bisschen: „Ich hatte mich zuvor nie mit Computerspielen befasst“, sagt Wieland. „Es sollte nur ein Ausflug werden, und auch von dem Thema Erotik wollte ich -eigentlich recht schnell wieder weg.“ Eigentlich kommt Carsten Wieland „von der Zeichnerei“. Nach einem Grafikdesign-Studium in den achtziger Jahren will er Comic-Künstler werden. Für die legendäre „Schwermetall“-Reihe zeichnet Wieland ein komplettes Album, das 1991 erscheint. „Mit Comics kann man in Deutschland jedoch kaum Geld verdienen“, sagt Wieland – „erst recht nicht, seitdem japanische Mangas die Comics europäischer Machart verdrängen.“ Vom Schwermetall wechselt er nahtlos zur leichten Familienunterhaltung und arbeitet zwei Jahre für die Produktionsfirma von Frank Elstner. Der versucht damals gerade, mit der Fernsehsendung „Nase vorn“ den Erfolg von „Wetten, dass...?“ zu wiederholen. Maskottchen der Samstagabendshow ist sinnigerweise ein Nashorn, dessen Abenteuer Carsten Wieland für die Zeitschrift „Freizeit Revue“ zeichnet. Außerdem animiert er das Tier für die Show. Wieland lässt es in kleinen Filmchen rennen und springen. Illustrationen für Computerspiele sind sein nächster großer Auftrag. Nun ist er endlich mit seinem zukünftigen Medium in Kontakt: „Ich war sofort Feuer und Flamme, weil man den Konsumenten so lange an eine Geschichte fesseln konnte“, schwärmt Wieland. „Beim Comic-Zeichnen ist das völlig anders: Du sitzt ein Jahr an der Geschichte, und nach 20 Minuten ist sie gelesen.“ Durch die Produktion der Videoclips für „Wet – The Sexy Empire“ lernt er die Macher der „Sexy Clips“ kennen, die nächtens in verschiedenen Privatkanälen zwischen Werbespots für Telefon-Sexhotlines laufen. Er beginnt, für die Firma zu arbeiten und gewinnt so Schnitt- und Kamera-Erfahrungen hinzu: „Zwei Jahre lang habe ich das gemacht“, erinnert sich Carsten Wieland: „Ich habe bis zu acht Damen am Tag gefilmt und das Material dann nachts geschnitten. Das war ein harter Job.“

Pin-up-Girls vs. Nazi-Zombies

Nun reichen die gesammelten Erfahrungen aus, um mit seinem Kompagnon Carsten Korte die Firma „Red Fire Software“ ins Leben zu rufen und sich auf Erotiktitel zu spezialisieren. Zehn Jahre ist das her, 25 verschiedene Spiele hat das Label inzwischen herausgebracht. Sie tragen Titel wie „Castle Knatterfels – Curse Of The Zombie Krauts“, „Curse Of The Caribbean Pirate Queen“, „Boobs4Brain“, „Dick Sucks – Terror In Titfield“ oder „Airline 69 II – Krasser’s Revenge“. Die Spieler müssen darin Pin-up-Girls vor Nazi-Zombies retten, als Super-Penis in einem Jump’n’Run machtgierige Monstertitten unter Kontrolle bringen oder ein Mädchen aus der Gewalt von drei „Killer Pussies“ befreien. Reich sind die beiden mit ihren Spielen nach eigenen Angaben nicht geworden: „Als kleines Label ist es schwierig, im Handel platziert zu werden“, sagt Wieland. Deshalb läuft viel über den Direktvertrieb via Website. Mit dem Spieleentwickler Michael Piepgras hat Wieland zudem vor ein paar Jahren die Firma „Grasland Production“ gegründet. Hier erschien die Wirtschaftssimulation „Die Erben von St. Pauli“, in der es darum geht, in einem halb fiktiven, halb realen Reeperbahn-Umfeld in den achtziger Jahren zum Kiezkönig zu werden. „Da lief beim Vertrieb anfangs leider einiges schief“, erinnert sich Wieland mit einem Schmunzeln: „In der ,Bild‘ erschien damals sogar eine ganze Seite über unser Spiel – aber es war noch nirgends erhältlich. Ich habe deshalb bestimmt 300 Exemplare an meiner Haustür verkauft. Schlecht war das aber nicht: Welcher Spielentwickler hat schon so einen engen Kontakt zu seinen Kunden?“ Eines der Lieblingsprojekte des Unternehmens, das Spiel „Lost In Hamburg – Das Hamburg Adventure“ (mit ordentlich bekleideten Hanseaten) liegt derzeit auf Eis, weil es an Sponsoren mangelt. „Aber wir haben auch noch ein Spiel rund um Robin Hood in Arbeit und arbeiten an einem Konzept für ein erotisches Browserspiel“, sagt Wieland. „Wir wollen kleine Spiele machen, die ein breites Publikum erschließen. Das ist spannender, als wenn man alles technisch Machbare aufbietet, spielerisch jedoch nichts anderes zu bieten hat als vor 15 Jahren.“ Darüber zu reden, womit er sein Geld verdient, ist Carsten Wieland längst nicht mehr peinlich. Seine Ex-Freundin konnte damit überhaupt nicht umgehen: „Sie hatte ein sehr großes Problem damit, Job und Privates auseinanderzuhalten“, sagt der Erotikspiele-Produzent – „aber nackte Körper gibt es doch auch in der Kunst. Das heißt doch nicht, dass man das alles auch in der Realität auslebt.“ Gegenüber seiner jetzigen Freundin, einer Texterin („Sie sorgt für das regelmäßige Einkommen“) habe er gleich beim Kennenlernen mit offenen Karten gespielt: „Ihr ist es schnell gelungen, das als normalen Job anzusehen. Sie hat gleich gemerkt, dass ich kein Sex-Nerd bin. Ich habe schließlich immer auch an anderen Projekten gearbeitet.“

Zu viel nacktes Fleisch

Auf Fragen, woher er die Inspiration für seine Spiele nimmt, antwortet Wieland aber doch eher ausweichend – oder zumindest nicht mit der Schilderung sexueller Fantasien oder der Nennung einschlägiger Internet-Adressen. Stattdessen sagt er: „Ich orientiere mich an klassischen Filmstoffen. Für das Erotik-Adventure ,Airline 69‘ war der Film ,Casablanca‘ das Vorbild. Lula hat ihren Namen von David Lynchs ,Wild At Heart – Die Geschichte von Sailor and Lula‘, und ,Castle Knatterfels‘ ist ganz klar von den Horrorfilmen der sechziger und siebziger Jahre inspiriert.“ Was angesichts seiner Computer-Kreationen nicht verwundert: Carsten Wieland findet den berühmten Erotik-Regisseur Russ Meyer großartig, „auch weil er ein genialer Kameramann und Cutter war. Und selbst wenn man viele seiner Filme heute nicht mehr ertragen kann: Seinen Film ,Faster, Pussy-cat! Kill! Kill!‘ habe ich bestimmt 50 Mal im Programmkino gesehen. Der Film ist in Schwarz-weiß gefilmt, und es kommen überhaupt keine nackten Brüste darin vor. Aber genau deswegen hat er so eine Bildgewalt – denn nichts ist uninteressanter, als in einem Film die ganze Zeit nur nacktes Fleisch zu sehen.“ Eines der anderen Projekte, mit denen Carsten Wieland sich beschäftigt, wird Ende Mai im Handel sein: Ein Buch über Horst Fascher, den Gründer des legendären Musikclubs Star-Club auf St. Pauli. Hier haben einst die Beatles ihre ersten Erfolge gefeiert. Zwei Jahre hat Wieland an dem Buch gearbeitet. Auch ein Film ist dabei entstanden. „Die Recherche dafür war groß-artig“, schwärmt er. „Einmal haben wir uns in Liverpool mit Musikern von Bands aus den Sechzigern getroffen. Mit Lee Curtis, den Undertakers oder den Dominoes, die seinerzeit im Star-Club mit den ganz Großen zusammengespielt haben, zum Beispiel mit Chuck Berry.“ Und so schließt diese Geschichte über erotische Computerspiele mit einem völlig anderen Höhepunkt, als man erwartet hätte.
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von Volker Hansch / April 23rd, 2010 /

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