Bioshock 2

Bioshock 2

Das erste „Bioshock“ entführte Spieler in eine versunkene Stadt und erfand damit das Genre des Egoshooters neu. Nun geht der Horror weiter – und jetzt spielen wir ausgerechnet den Gegner, vor dem wir uns damals am meisten gefürchtet haben
Getestet Xbox 360 | ps3 | pc | Entwickler 2K Marin | Publisher 2K | Termin 9. Februar | Preis 50-70 Euro | USK 18 | Spieler 1-10
Ein ungleiches Paar wandert durch die Straßen einer Stadt. Flackerndes Neonlicht wirft zwei Schatten an die Wände, einer ist groß, der andere klein. „Mr. Bubbles, du bist viel netter als die anderen Daddys“, flüstert das Mädchen in das Ohr des Riesen. Sie ist die einzige Stütze auf seiner Flucht aus einem Unterwasserparadies, das zur Hölle geworden ist. Willkommen zurück in Rapture. Willkommen zurück in einer Stadt in der Tiefe des Ozeans, die im ersten Teil von „Bioshock“ nach einem Flugzeugabsturz unsere Rettung war – und dann ein Albtraum. Willkommen in Rapture, das der Wirtschaftsmagnat Andrew Ryan nach dem Zweiten Weltkrieg als Zufluchtsort erschaffen hatte, in dem sich die Menschheit frei von den Fesseln der alten Welt auf eine neue Entwicklungsstufe erheben sollte – was jedoch dramatisch schief ging: Die Bewohner wandelten sich zu Bestien, furchterregende Kolosse durchstreiften die Gänge: Big Daddys, die Leibwächter der Little Sisters – die Beschützer von Kindern, die Leichen schändeten. Willkommen zurück in der Welt von „Bioshock“, einem Spiel, das vor drei Jahren das Genre des Egoshooters revolutioniert hat. Mit einer Geschichte, die Science-Fiction mit dem Art déco der vierziger Jahre verband und den Horror von „System Shock“ aus dem All in die Tiefsee brachte. Die Geschichte von „Bioshock 2“ ist im Kern eine moderne Version eines traditionellen Märchens – inklusive Dornröschenschlaf, böser Mutter und eingesperrter Prinzessin: Am Neujahrsmorgen 1970, genau zehn Jahre nach den Ereignissen des ersten Teils, erwacht Subject Delta aus dem Koma. Subject Delta ist der Prototyp aller Big Daddys. Subject Delta: Das sind wir. Sogleich schlüpfen wir in seinen Taucheranzug. Und schnell lernen wir durch Sprachaufzeichnungen der Bewohner, dass sich während unseres Tiefschlafs einiges geändert hat. Andrew Ryan ist Vergangenheit. Die neue Machthaberin Dr. Sophia Lamb träumt von einem religiösen Kollektiv, dessen oberste Direktive das Streben nach moralischer Vervollkommnung ist. Ihre Tochter Eleanor hält sie seit Jahren gefangen, um sie vor „schädlichen Einflüssen“ zu schützen. Mit schweren Schritten in metallischen Stiefeln ziehen wir los, um das Mädchen aus den Händen ihrer Mutter zu befreien. Denn Eleanor ist eine besondere Little Sister, die in unserem Unterbewusstsein um Hilfe schreit. Nur in ihrer Begleitung können wir aus Rapture entkommen, ohne zu sterben, sagt sie.

Zerbrochenes Idyll

Die vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen an den Eingeweiden Raptures. Wasser sickert durch Spalten herein, sprudelt aus Abflüssen hervor und tropft auf unseren Helm. Meerespflanzen und Muscheln überwuchern die Prunkbauten und leuchten in fluoreszierenden Farben. Verlassen wir das Labyrinth der Stadt für einen Ausflug auf den Meeresgrund, können wir das zerbrochene Idyll in vollkommener Stille bewundern, während Fischschwärme vorüberschwimmen. Rapture ist von einer kaputten Schönheit, wie wir sie in einem Spiel lang nicht mehr erlebt haben, ein Rausch aus Farben und Formen. Hinter den stählernen Wänden jedoch hallen unmenschliche Schreie durch die Gänge. Die Stimmen gehören Splicern – Menschen, die in den Ruinen nach „Adam“ suchen. Diese Substanz hat das Erbgut der Splicer verändert, sie entstellt und abhängig gemacht. Die Adam-Junkies greifen mit Klauen an, sie feuern mit Schusswaffen, sie bewerfen uns mit Feuerbällen. Dabei gehen sie bestechend klug vor, fallen uns in den Rücken oder kreisen uns ein. Werden Splicer zu lange mit Adam gemästet, wachsen sie zu Fettklößen heran, die brüllend auf uns zuspringen. Doch das ist alles nichts gegen den Horror, der den Big Sisters vorauseilt. Das sind gealterte Little Sisters, deren Panzerung hart ist wie die eines Big Daddys, ihre Reflexe sind die einer Katze. Ertönt ihr markdurchdringendes Kreischen, ziehen sich Schlieren über den Bildschirm. Jeder Kampf mit diesen Furien ist ein Albtraum.

Vertrautheit und Brutalität

Glücklicherweise haben die Entwickler das Waffenarsenal aufgestockt. Minenbohrer, Bolzenkanonen und Raketenwerfer können zu Höllenmaschinen aufgerüstet werden. Außerdem stehen uns wieder genetische Körperveränderungen – so genannte Plasmide – zur Verfügung, mit denen wir Splicer vereisen und in Stücke schlagen. Oder wir programmieren per Gedankenkraft Selbstschussautomaten um, damit sie auf unsere Gegner feuern. „Bioshock 2“ ist und bleibt ein Shooter, aber er bietet dem Spieler die Möglichkeit, mit Waffen- und Körpermodifikationen eigene Taktiken und Spielweisen zu entwickeln. Bei Standardgegnern bietet es sich beispielsweise an, die Umgebung zu nutzen und Wasser mit einem Plasmid unter Strom zu setzen. Denn Munition ist rar – und beim Kampf mit größeren Brocken deutlich sinnvoller eingesetzt. Um die Wirkung unserer Plasmide zu verbessern, brauchen wir Adam. Und das bekommen wir nur, indem wir andere Big Daddys ausschalten und ihre Little Sisters adoptieren. Hat das Mädchen auf unserem Rücken Platz genommen, führt es uns zu Leichen, deren Adam es ernten kann. Auch das eröffnet „Bioshock 2“ eine neue spielerische Dimension: Bevor wir die Kleine nämlich mit ihrer Spritze an die Arbeit lassen, müssen wir Vorbereitungen treffen. Die Ernte der Droge lockt Splicer an, die in Massen versuchen werden, unsere Little Sister zu überwältigen – und nur Fallen und Selbstschussanlagen können ihren Ansturm bremsen. An solchen Stellen weckt das Spiel unseren Beschützerinstinkt, schließlich wollen die Splicer „unserem Mädchen“ etwas antun. Das ist nicht nur Nervenkitzel, das ist Stress – bis unsere Little Sister ihre Nadel in den „saftigen Engel“ rammt und das Adam erntet. Bei diesem Anblick wird aus Fürsorge Abscheu und Trauer. So fühlt sie sich also an, diese verstörende Mischung aus Vertrautheit und Brutalität, die Daddys und Sisters umgibt. Im ersten „Bioshock“ konnten wir das Paar nur beobachten – nun stecken wir selbst in der Haut des Kolosses und müssen lernen, damit zu leben. Ist das komplette Adam eines Stadtteils eingesammelt, haben wir die Wahl: Erlösen wir die adoptierte Little Sister und geben ihr ihre Menschlichkeit wieder, oder töten wir sie, um ihr Adam zu erhalten? Solche ethischen Fragen hat bereits der erste Teil gestellt – „Bioshock 2“ geht auch hier einen Schritt weiter: Erstmals treffen wir auf Bewohner, die nicht dem Wahnsinn verfallen sind. Verschonen wir sie, können sie uns im Verlauf unserer Suche nach Eleanor behilflich sein. Vielleicht fallen sie uns aber auch in den Rücken. Wie wir uns auch entscheiden: Unsere Wahl wird sich – anders als in „Bioshock“ – wirklich auf den Ausgang der Story auswirken. Ob der Multiplayer-Modus, der vor den Ereignissen des ersten Teils angesiedelt ist, dem Erlebnis „Rapture“ noch mehr Tiefe verleiht, konnten wir noch nicht testen, sicher ist aber: „Bioshock 2“ wird die Grenzen des Genres nicht erweitern – statt auf Revolution haben 2K Marin auf Evolution gesetzt. Auf kleine Verbesserungen wie das zugänglichere Mini-Spiel beim Hacken einer Maschine und auf große Neuerungen wie die Zusammenarbeit mit Raptures Bewohnern. Alles in allem ist „Bioshock 2“ ein würdiger Nachfolger und vor allem ein emotional wuchtiges Abenteuer. Ein so intensives Erlebnis, dass wir uns im Verlauf nicht nur einmal die Frage stellen: Wollen wir aus diesem wunderbaren Albtraum wirklich aufwachen?

Fazit

„Bioshock 2“ ist eine spielerische Offenbarung für alle weltkriegsmüden Shooter-Freunde und ein Ausflug in eine bunt-bizarre Unterwasserwelt wie aus einem Jacques-Cousteau-Film. Für Freunde von „System Shock 2“, „Fallout“, „Half-Life 2“
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von Christian Neeb / Februar 8th, 2010 / 4 Kommentare

4 Kommentare

  1. OrR sagt:

    „Erfand das Genre des Egoshooters neu“ finde ich ziemlich übertrieben. Dazu ist das Spiel viel zu nah an System Shock 2. Die Präsentation ist tatsächlich auf einer anderen Ebene, als so ziemlich alles, was davor kam, aber das alleine ist noch keine Revolution. Es braucht auch nicht immer eine Revolution, um ein geniales Spiel zu machen.

  2. 2more sagt:

    Muss mich meinem Vorredner anschließen: Da hat Bioshock das Genre nicht neu erfunden, sondern höchstens saumäßig gut umgesetzt – mit netten Features, die jedoch nichts bahnbrechend neues implementiert haben. Bioshock gehört zu den durchdachten und abgerundeten Titeln seines Genre. An den Grundstein, System Shock (2), kommt es allerdings nicht heran.

  3. Kevin sagt:

    Ich fand ja, das Portal durch das Computersetting doch näher an System Shock war als Bioshock, das letzten Endes doch ein recht eigenes Ding ist.

    Wie auch immer, Bioshock 2 macht nicht besonders viel Neu, es ist eher ein Bioshock 1.5 aber selbst damit ist und bleibt noch ganz oben in der Shooterriege. Es gibt Atmosphäre, einen ordentlichen Plot und mit der Unterwasserwelt Rapture eine verdammt tolle Umwelt. Das Ego-Shooter Genre besitzt ja nur einige wenige Marken, bei denen man wirklich was anderes bekommt. Da zu nennen wäre Wolfenstein, Stalker und F.E.A.R., die aber dann teilweise durch Bugs, teilweise durch Schluderei nicht das Niveau erlangen, das man sich wünscht. Bioshock kriegt es allerdings hin. Es ist zwar immer noch ein kurzer Shooter, wie die meisten, doch noch immer einem Call of Duty Lichtjahre voraus.

    Die exklusive Amazon Special Edition puscht dabei das Spielerlebnis zusätzlich mit stilechter Vinylschallplatte, großartigem Soundtrack in Vinyloptik, gerollten Poster und einem Artbook an dem sich andere Spiele noch was abschauen dürfen. Das in der Hand und im Regal, unterstützt einfach noch die Freude, die man mit diesem Spiel hat.

    Einziges wirkliches Manko:
    Windows Live und die begrenzte Aktivierungszahl. Hier gehört derjenige, der sich das ausdachte doppelt, dreifach und vierfach gesteinigt. Soetwas ist absolut nicht zu tollerieren. Ganz ehrlich, für sowas gehört man ins Gefängnis. Ich bezahl doch für das Spiel und nicht etwa für Windows Live. Ich habe das Recht mein Spiel so oft zu installieren wie ich will.

  4. […] ein wenig im Onlineauftritt der GEE durch die Artikel – zum Beispiel den Test zu Bioshock 2 aus Heft 51 der wirklich sehr gut geschrieben ist und für mich in etwa die Art und Weise des […]