Forza Motorsport 3
400 Wagen, mehr als 100 Strecken und 100 Prozent Realismus: Microsoft will mit seiner „Forza“-Reihe endlich raus aus dem Windschatten von „Gran Turismo“ – und gleichzeitig auch Gelegenheitsspieler ansprechen. Wie, bitte, soll das gehen?
„Was für eine geile Karre!“ Dan Greenawalt ist begeistert. Mit dem Grinsen eines kleinen Jungen an Heiligabend schleicht der Chefdesigner von „Forza Motorsport 3“ um ein Auto herum, das auf einem Schotterparkplatz steht. Gut, es ist nicht irgendein Auto: Es ist der Supersportwagen Audi R8, und dann auch noch ein ganz besonderer. „Den Wagen gibt es noch nicht zu kaufen“, sagt Greenawalt, „der hat den V10-Motor aus dem Lamborghini Gallardo im Heck.“ Tatsächlich steht der exklusive Flitzer auch nicht irgendwo, sondern auf dem VIP-Parkplatz des Peugeot-Teams beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Und nicht nur der Audi steht im Motordome, sondern auch ein Lamborghini Murcielago, ein Ferrari F 430 und ein Porsche GT2. Das Ambiente hat sich Microsoft ausgesucht, um der Presse sein neues Rennspiel zu präsentieren. Die Absicht: Jeder angereiste Journalisten soll, wenn er nach Hause fährt, ein Gefühl dafür bekommen haben, wie nah „Forza Motorsport 3“ dran ist an der Wirklichkeit, am Rennsport.
Für Microsoft geht es um viel. Der Erscheinungstermin von „Gran Turismo 5“, Vorzeige-Rennspiel auf der Playstation 3 und härtester „Forza 3“-Konkurrent, ist auf unbestimmte Zeit verschoben. „Forza“ könnte also jetzt aus dessen Windschatten herausfahren und so manchem „GT5“-Anhänger die Wartezeit versüßen. Die „Forza“-Serie war schließlich von Anfang an als Microsofts Antwort auf Polyphonys Playstation-Raser gedacht, daraus macht auch der bekennende „Gran Turismo“-Fan Greenawalt keinen Hehl.
Dass „Forza 3“ zum ersten Mal in Schlagdistanz ist, liegt aber auch daran, dass Entwickler Turn 10 in vielen Bereichen Gas gegeben hat. So ist der bereits im Vorgänger nicht gerade kleine Fuhrpark auf mehr als 400 Fahrzeuge erweitert worden, wobei vom Allerweltsauto wie einem VW Golf bis zu Edelflitzern à la Ferrari alles vertreten ist. Dargestellt werden die Wagen nach Angaben von Turn 10 mit zehn Mal mehr Polygonen. Und während man im Vorgänger seine Runden auf mageren zehn Pisten abgespult hat, peilt Turn 10 für „Forza 3“ mehr als 100 Strecken an, eine bunte Mischung aus realen Rennstrecken, wie der Nordschleife, Suzuka, Sebring oder Le Mans, und fiktiven Rennkursen vor Berg-, Meer- oder Stadtpanoramen.
Fahrhilfen an Bord
Kein Wunder also, dass Greenawalt in Le Mans mit breiter Brust auftritt und keine 30 Meter von der Doppelschikane vor der Start-Zielgeraden entfernt stolz sein neues Spiel präsentiert. Doch was für ein Autonarr er wirklich ist, zeigt sich erst jetzt. Der Turn-10-Chef hat sich hinter das Steuer des Audi R8 geklemmt und gibt auf der Rückfahrt zum Hotel das „längste und detaillierteste Interview meiner Karriere“, wie er später erstaunt feststellen wird.
Erste Frage: Wie will „Forza 3“ einerseits realistisch den Motorsport abbilden und anderseits – wie von Microsoft immer wieder betont – Spieler von 9 bis 99 ansprechen? Kann Simulation casual sein, ohne Hardcore-Gamer zu enttäuschen? „Ich sehe da ganz und gar keinen Widerspruch“, schnaubt Greenawalt: „Viele Entwickler schrauben die Spielphysik in den Keller, um ihr Game zugänglicher zu machen. Wir nicht.“ Das Team von Turn 10 verfährt tatsächlich anders: Während das Physikmodell bei „Forza 3“ im Hintergrund stets dasselbe bleibt, kann der Spieler entscheiden, wie sehr er sich beim Fahren ins Lenkrad greifen lassen möchte. Neben allen möglichen real existierenden Fahrhilfen wie ABS, Traktionskontrolle oder ESP, die der Spieler an- oder abschalten kann, gibt es drei Features, die den Einstieg in die Welt von „Forza“ drastisch vereinfachen sollen: Die so genannte Racing Line markiert die Ideallinie und zeigt über eine Rotfärbung die richtigen Bremspunkte an. Das „Rewind“-Feature ermöglicht es, das Spielgeschehen zum Beispiel bei einem unrühmlichen Abflug von der Piste beliebig zurückzuspulen, um die vergeigte Kurve noch einmal in Angriff zu nehmen. Und beim „One-Button-Driving“ bremst das Game sogar für den Spieler, sodass der nur noch auf dem Gas bleiben und lenken muss. Bei mehreren Rennteilnehmern kann jeder einzelne seine persönlichen Einstellungen vornehmen. Das Ziel der Entwickler ist es, dass erfahrene Spieler gegen Einsteiger ein Rennen fahren können und alle ihren Spaß dabei haben.
Damit sich die Hardcore-Fraktion nicht um die Früchte ihres Trainings gebracht fühlt, werden fehler- und unterstützungsfreie Rennen vom Spiel belohnt: „Je weniger Assistenz-Systeme du für dich arbeiten lässt, desto mehr Geld bekommst du für deinen Sieg“, sagt Greenawalt. Zudem werden Rundenzeiten, die mithilfe des Rewind-Features erzielt wurden, in der Online-Bestenliste entsprechend markiert – und werden damit immer unterhalb der Zeiten stehen, die Spieler ohne Hilfe erfahren haben.
Die Realismusdiskussion sieht Dan Greenawalt sowieso differenziert. Denn bei Liebe zur Wirklichkeitstreue: Es werde immer ein Unterschied bleiben, ob man ein Gamepad in der Hand habe oder das Steuer eines echten Rennwagens. „Wenn ich diesen Audi mit einem Xbox-Controller steuern müsste, wären wir beide schnell tot“, sagt der Designer und zeigt, was er meint: Bereits eine kleine Bewegung des Steuers bei 150 Sachen schickt den Wagen gefährlich in Richtung Leitplanke. „Und nun überleg mal, wie die Leute ein Rennspiel spielen – da folgt ein heftiger Lenkausschlag mit dem Stick auf den nächsten.“ Die Herausforderung bestehe deshalb für die Entwickler von Rennspielen darin, gute und glaubwürdige Puffer über die realistische Physik ihres Spiels zu legen. Puffer, die eine Verbindung herstellen zwischen der realistischen Physik im Spiel und den unrealistischen Steuereingaben seines Spielers. „Diese Puffer müssen erahnen, was der Spieler mit den Bewegungen des Controllers eigentlich meint. Steuert er zum Beispiel mit hektischen Ausschlägen in eine Richtung, versucht er meistens, das Auto beim Übersteuern abzufangen. Diese Lenkbewegungen würden in der Realität zum Desaster führen. Wir müssen also eine Reaktion kreieren, die nicht der realen Physik entspricht, sich für den Spieler aber echt anfühlt.“
Aber sind nicht bereits solche Puffer ein Frevel? Ein Tribut an die Casual Gamer und ein Abweichen von der reinen Lehre des Realismus? „Quatsch“, sagt Greenawalt: „Wir wollen die Physik so perfekt haben, wie es geht. Wir können nur nicht alles ungefiltert zum Spieler durchlassen, auch nicht zu den Hardcore-Racingfans. Denn damit kann niemand umgehen, das führt nur zu Frust.“
Spielphysik hat Vorfahrt
Trotz aller Puffer steht für Turn 10 die Physik im Vordergrund. So hatten die Entwickler bereits im zweiten Teil eine Engine implementiert, die einzig und allein das Verhalten der Reifen simulierte. Für „Forza 3“ wurde sie mit neuen Daten gefüttert und soll deutlich realistischer sein. „Die Reifen besser hinzubekommen war die größte Herausforderung“, sagt Greenawalt, „denn kaum etwas beeinflusst das Fahrverhalten eines Autos mehr.“ Turn 10 kann mit seiner Engine nun alle wichtigen Parameter verschiedener Reifen nachbilden. Dafür haben die Entwickler eng mit Herstellern wie Michelin, Pirelli oder Toyo zusammengearbeitet, deren Ingenieure die Ergebnisse ihrer internen Tests direkt an Turn 10 weiterleiteten. Doch die Datenflut war für die Entwickler nicht nur Segen allein: Die Simulation wurde schnell so komplex, dass sie nicht mehr beherrschbar war. „Rennreifen mit flacher Flanke und hohem Luftdruck sind extrem zickig und verzeihen keine Fehler“, sagt Greenawalt – „eine Unachtsamkeit und du fliegst ab.“ Das Hauptproblem: Während die Fahrer in der Realität von ihren Wagen durch Bewegungen oder Geräusche vor einem möglichen Ausbrechen gewarnt werden, trifft das den Spieler eines Rennspiels völlig unvermittelt. Ihm fehlt das von Ex-Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher so treffend titulierte „Popometer“: das Gefühl für das Auto unter dem Hintern. Also mussten auch in diesem Fall Puffer eingreifen, damit die Wagen in „Forza 3“ fahrbar blieben und sich trotzdem richtig anfühlten.
Wie es sich wirklich richtig anfühlt, wissen natürlich am besten professionelle Rennfahrer. Deswegen hat Turn 10 einen festen Stamm von Fahrern bei der Entwicklung immer wieder um Rat gefragt. Einer von ihnen ist der Franzose Stéphane Sarrazin, der die „Forza“-Reihe sogar selbst zur Vorbereitung genutzt hat. „Als ich zum ersten Mal in Sebring an den Start gegangen bin, habe ich mich mit ‚Forza 2‘ auf das Rennen vorbereitet“, sagt er, „ich kannte den Kurs vorher nicht, und es war sehr hilfreich, ihn auf der Konsole fahren zu können – zumal meine realen Rundenzeiten und die auf der Spielkonsole am Ende beinahe identisch waren.“
Der ungehobene Schatz
Für Greenawalt ist das Feedback der Piloten von unschätzbarem Wert. Sie verraten seinem Team, an welchen Stellen die nüchterne Theorie der Physik-Engines am echten Fahrgefühl vorbeifährt, oder sie weisen auf Details hin, die nur Rennfahrer wissen können. „Einmal hat mich einer unserer Piloten darauf aufmerksam gemacht, dass unsere Racing-Line auf dem Sebring-Kurs völlig falsch war“, sagt Greenawalt: „Es war zwar theoretisch die Ideallinie, aber kein einziger Fahrer fuhr sie. ‚Dan‘, sagte mir der Fahrer, ‚an der Stelle sind zwei so heftige Bodenwellen, die rütteln dir die Zähne raus. Deswegen fahren wir da alle ganz außen.‘ Wir haben die beiden Hubbel reingemacht, die Racing-Line geändert, und ich war total glücklich.“
Selbst viele scheinbar banale Dinge erfährt das Team von den Profis. Von einem Zelt etwa, das jedes Jahr in Le Mans an der gleichen Stelle aufgebaut wird und im Spiel bislang gefehlt hat. Im echten Rennen ist es ein Referenzpunkt für die Piloten. „Ich lasse die Entwickler immer wissen, wenn etwas meiner Meinung nach nicht stimmt“, sagt Sarrazin, „beispielsweise eine kleine Erhebung in einer Kurve, die für uns Fahrer den Punkt markiert, an dem wir wieder voll beschleunigen können.“ Es sind Dinge, die Spieler vermutlich nicht wahrnehmen, die aber verdeutlichen, wie versessen Greenawalt auf Realismus ist – denn natürlich werden sie sofort ins Spiel eingebaut. Besonders genau nimmt der Designer es mit den Bodenwellen auf den Rennstrecken im Spiel. „Ich gestehe, ich habe einen Hubbel-Fetisch“, sagt er grinsend, während er die Stoßdämpfer des Audi per Knopfdruck auf den harten Sportmodus stellt. Er will alle Hubbel haben, alle. Und nein, das sei keinesfalls verrückt. „Diese Wellen sind die brutale Essenz des Sports. Schau dir die Bewegungen des Kopfes eines Piloten an und wie das Lenkrad in seinen Händen hin- und herschlägt, wenn er mit mehr als 300 Sachen über die Hunaudières-Gerade fliegt. Das ist faszinierend, weil es so sinnlich ist.“
Mit diesem Hang zum Perfektionismus gehen Greenawalt und sein Team bisweilen selbst den Automobilfirmen auf die Nerven. Denn eigentlich sollen die zwar Daten zu ihren Fahrzeugen liefern – aber das geschieht oft nicht. Vor einiger Zeit hat Turn 10 deswegen eine Tabelle an alle im Spiel vertretenen Hersteller geschickt. Darin sollten sie die Ergebnisse ihrer Testfahrten eintragen. „Bremsweg, Slalom-Speed und all so was“, sagt der Studiochef. Endlose Reihen waren das, ein Wert stand neben dem anderen. Doch niemand, selbst die kleinen Autohersteller wie Lotus, die laut Greenawalt „wirklich viel mit uns teilen“, hat die Tabelle vollständig ausgefüllt zurückgeschickt. Die meisten haben sogar nur das Nötigste eingetragen. Inzwischen versucht Turn 10 deshalb, die Werte bereits an der Quelle aufzutreiben, bei den Zulieferbetrieben. Es liegt also ein Datenschatz da draußen, mit dem Dan Greenawalt seine Simulation füttern könnte – nur heben kann er ihn nur allzu selten. Und man merkt, wie den „Forza 3“-Entwickler das wurmt, als er, vor dem Hotel angekommen, den Motor des Audi R8 noch einmal aufheulen lässt. „Tja“, seufzt er dann, während er die Tür des Wagens aufstößt, „vielleicht wollen wir einfach zu viel wissen.“
„Forza Motorsport 3“ erscheint am 23. Oktober für die Xbox 360.
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warum gibt es denn den kompletten artikel aus dem heft hier zu lesen? nett für leute die sich die gee net kaufen aber da habt ihr doch dann nichts von :)
Naja, wenn das ein älterer Bericht ist, wovon sich doch niemand das Heft nachbestellen würde, wenn er GEE nicht lesen würde, ist das doch eine nette Idee. Wir, die treuen Fans können mal eben einen Bericht suchen, und die Leute die Berichte über ein Spiel suchen, stoßen vielleichz zufällig auf GEE. Und wer weis, vielleicht wird aus einem schnellen Blick eine lang anhaltene Konversation ;D
FM 4 ist meiner Meinung nach schon eine echte Konkurrenz tu GT5.