Umsonst ist der Tod

Umsonst ist der Tod

Tauschbörsen und Raubkopien lassen das Videospiel sterben +++ Unterhaltungsbranche feiert Verurteilung der Pirate-Bay-Betreiber als Sieg +++ Experten fordern Internet-Flatrate für Kultur +++ Ein GEE-Feature über den Kampf gegen Selbstgebranntes Raubkopien von Computerspielen sind illegal. Das sagt schon der Name. Und das weiß auch Ulrich Ruschig (Name von der Redaktion geändert). Der 26-jährige Architekturstudent saugt sich aus Tauschbörsen im Internet jedes Spiel herunter, das ihm viel versprechend erscheint. Mehr als 1000 Games zählt seine Sammlung bereits - nur 20 davon hat er bezahlt. "Die meisten Spiele sind Schrott", sagt Ruschig, "trotzdem lade ich so viele wie möglich herunter, um sie zumindest auszuprobieren. Das geht schnell, ist praktisch, und hin und wieder ist sogar eine echte Perle dabei." Begegnet Ruschig einem solchen Schmuckstück, bekommt er manchmal ein schlechtes Gewissen: "Das letzte Spiel, das mich begeistert hat, war 'World Of Goo'. Da überkamen mich Skrupel. Ich wusste ja, dass das Spiel nur von zwei Typen und ihrer Garagenfirma entwickelt wurde. Daher habe ich es mir gekauft. So ein kleines, kreatives Team wollte ich unterstützen." Große Firmen wie Microsoft, Sony oder Electronic Arts sehen von ihm hingegen keinen Cent. Welchen Schaden Raubkopierer wie Ulrich Ruschig auf dem Computerspielmarkt anrichten, ist selbst innerhalb der Branche umstritten. Nach einer aktuellen Studie der Business Software Alliance (BSA), dem Interessenverband der Softwareindustrie, handelte es sich bei 41 Prozent der weltweit im vergangenen Jahr installierten Computerprogramme um illegale Kopien. Das entspräche einem Gegenwert von knapp 39 Milliarden Euro. In Deutschland, so die Studie, liege der Anteil verwendeter Raubkopien bei 27 Prozent, was einem Umsatzverlust von 1,55 Milliarden Euro gleichkomme. Wie groß der Anteil an Unterhaltungssoftware - also vor allem Computerspielen - unter den Raubkopien ist, geht aus der Studie nicht hervor. Man braucht jedoch nur einen Blick in die Top-Ten-Listen diverser Internet-tauschbörsen zu werfen, um zu erkennen, dass neben Musik und Filmen vor allem Computerspiele hoch im Download-Kurs stehen. Titel wie "Fallout 3", "Grand Theft Auto IV" oder "Spore", die sich an der Spitze der internationalen Verkaufscharts wiederfinden, belegen auch hier die obersten Ränge und werden tausendfach heruntergeladen. Kein Wunder also, dass Martin Lorber, PR Director bei Electronic Arts (EA), dem zweitgrößten Entwickler und Verleger von Videospielen weltweit, wütend ist: "Natürlich ist es nicht so, dass jedes illegal heruntergeladene Spiel einem nicht verkauften Spiel entspricht", räumt er zwar ein, "und vielleicht gibt es sogar Menschen, die ein neues Videospiel auf diese Weise testen und es sich kaufen, wenn es ihnen gefällt. Unsere Erfahrung lehrt uns aber, dass Raubkopieren im großen Stil stattfindet. Viele Games werden gespielt, ohne dass dafür bezahlt wird - und das ist ein Zustand, den wir nicht hinnehmen können."

Kaputtgeschützt

Folglich setzen die Hersteller auf Gegenmaßnahmen. Neben Aufklärungskampagnen und einigen Prozessen gegen ertappte Raubkopierer soll vor allem ein Kopierschutz das illegale Vervielfältigen von Videospielen verhindern. Am weitesten verbreitet ist dabei ein individueller Lizenzcode, eine Folge aus Ziffern und Buchstaben, die sich in der Verpackung oder auf dem Handbuch eines Spiels befindet und während der Installation eingegeben werden muss. Auch ein Software-Prüfmechanismus, der sicher stellt, dass sich die Original-DVD im Laufwerk befindet, ist gang und gäbe. In der jüngsten Zeit sind - dank des Internets - neue Verfahren hinzugekommen: Spiele wie "Half-Life 2" oder "GTA IV" zwingen ihre Spieler zu einer Onlineaktivierung. Nur wer sich über das Netz mit einem Computer des Herstellers verbindet und sich auf den Erwerb einer rechtmäßigen Kopie überprüfen lässt, darf spielen. Andere Firmen wiederum setzen auf das Konzept des "Digital Rights Managements", das ein PC-Spiel mit der Hardware und dem Betriebssystem des Rechners verknüpft, auf dem es installiert wurde. Diese Verknüpfung, die ebenfalls regelmäßig über das Internet kontrolliert wird, soll sicherstellen, dass die legale Kopie eines Games nicht auf beliebig vielen Computern benutzt werden kann. Schutzverfahren wie diese haben jedoch im vergangenen Jahr großen Unmut ausgerechnet unter den ehrlichen Spielekäufern hervorgerufen: Unter anderem wurden die PC-Games "Spore" und "Mass Effect" von EA mit dem umstrittenen Kopierschutzprogramm Securom ausgeliefert. Dieses sollte gewährleisten, dass die Titel nur auf maximal drei Rechnern installieren werden. Schnell verbreitete sich die Sorge, dass ein auf Langlebigkeit ausgelegtes Spiel wie "Spore" nach Aufrüsten der Hardware oder der Anschaffung eines neuen Rechners in Zukunft nicht mehr aktiviert werden könne. Kunden hinterließen daraufhin haufenweise negative Bewertungen beim Einkaufspor-tal Amazon - das Resultat: negative Presse. Zur Schadensbegrenzung veröffentlichte Electronic Arts einen Patch, der die Anzahl möglicher Installationen heraufsetzte. Doch das Kind war bereits in den Brunnen gefallen: "Unsere Erkenntnis aus 'Spore' und 'Mass Effect' lautet, dass der Bereich Kopierschutz ein schwieriges und sensibles Thema ist", sagt Martin Lorber: "Wir haben gelernt, dass ein Kopierschutz nur gut ist, wenn er illegale Kopien verhindert oder erschwert, vom Spieler aber nicht wahrgenommen wird. Schlecht ist ein Schutz, der den Spieler auf die Nerven geht." Angesichts solcher Probleme und in Anbetracht der Tatsache, dass bisher noch jedes Spiel - unabhängig von seinem Kopierschutz - eher früher als später als illegale Kopie im Internet aufgetaucht ist, stellt sich die Frage, ob ein komplizierter Kopierschutz überhaupt notwendig ist. Electronic Arts hat bereits angekündigt, den Bioware-Titel "Dragon Age: Origins" ohne Securom und Onlineaktivierung veröffentlichen zu wollen. 2D Boy, die Entwickler von "World Of Goo", dem Lieblingsspiel von Raubkopierer Ruschig, verzichteten sogar gänzlich auf Kopierschutzmaßnahmen. Und auch "Edna bricht aus", ein Adventure des Hamburger Entwicklerstudios Daedalic Entertainment, wurde ohne Kopierschutz zum Erfolg. "Ich glaube nicht, dass unser Spiel weniger oft kopiert worden wäre, wenn wir einen Kopierschutz eingebaut hätten", sagt Jan Müller-Michaelis, Creative Director bei Daedalic: "Gerade bei Adventure-Games ist es sinnlos, dem Spieler eine Internetaktivierung aufzuzwingen, da es noch viele Fans gibt, die ihren PC nicht mit dem Netz verbunden haben oder auf einem Laptop spielen." Und obwohl sich nach Schätzung des Studios zehn von elf "Edna"-Spielern kein Original gekauft, sondern mit einer illegalen Kopie vergnügt haben, ist Müller-Michaelis nicht enttäuscht. "Ich bin zunächst einmal sehr froh darüber, dass sich so viele Leute für mein Spiel interessieren", sagt er, "wenn ich es mir leisten könnte, würde ich meine Spiele sogar verschenken. Doch ein Spiel zu entwickeln kostet Geld. Für 'The Whispered World', unser neues Adventure, haben wir mehr als zwanzig Stunden Dialoge aufgenommen. Wenn kein Budget da ist, weil zu wenige Menschen Games kaufen, wäre so etwas nicht möglich." Führen Raubkopien also zu weniger guten Spielen und vielleicht irgendwann zu gar keinen Spielen mehr? Oder anders gefragt: Wenn es so leicht ist, Spiele illegal zu bekommen, die sich keinen Deut vom teuren Original unterscheiden, worin könnte der Anreiz bestehen, dennoch ein Original zu kaufen? Eine Lösung: Im Fall von "The Whispered World" wird Daedalic nicht auf einen Kopierschutz verzichten - er soll jedoch bei den Spielern eher Freude hervorrufen als Frust. Die Hamburger werden dem Spiel nämlich das Brettspiel "Droggel" beilegen. Das Besondere: Die drei dazugehörigen Würfel sind exklusiv mit "The Whispered World" erhältlich. Und nur aus den auf ihnen ablesbaren Runen lässt sich der richtige Code für die Kopierschutzabfrage des Spiels zusammensetzen. Das Vorbild: die klassischen "Monkey Island"-Adventures von Lucas Arts. Auch die kamen mit einer bunten Pappdrehscheibe daher, anhand derer man für den Kopierschutz das richtige Lösungswort herleiten musste. "Es geht darum, Spielern einen Mehrwert zu bieten", sagt PR Manager Claas Paletta - "es ist ein sehr überzeugendes Argument für den Kauf einer Originalsoftware, wenn wir der Verpackung etwas beilegen, das sich nicht digital kopieren lässt."

Kultur per Flatrate

Das Prinzip Mehrwert hat man auch an anderer Stelle erkannt. Denn während sich Daedalic auf Tradition besinnt und dem Spieler im Zeitalter des Virtuellen etwas Handfestes mitgibt, setzen andere Studios augerechnet auf den Totengräber Internet. So soll der Spieler immer häufiger durch regelmäßig zum Download bereitgestellte Erweiterungen wie neue Level, neue Ausrüstung und Multiplayer-Maps motiviert werden, sich längerfristig an ein Spiel und einen Anbieter zu binden. Voraussetzung für ein solches Verhältnis ist natürlich die Registrierung des Spielers und der Austausch von Geld gegen weitere Online-Inhalte. Nicht umsonst hat ein Online-Rollenspiel wie "World Of Warcraft", das sich in erster Linie über Mitgliedsbeiträge und nicht über den Verkauf des Spiels finanziert, kaum unter Verlusten durch Raubkopierer zu leiden. Auch Martin Lorber von EA bestätigt diese Entwicklung: "Wir werden immer mehr zu einem Service-unternehmen, das neben Spielen auch Online-Angebote im Programm hat. Multiplayer-Modi und Downloadable Content gewinnen immer mehr an Bedeutung. Natürlich ist das auch eine Form von Kopierschutz, denn eine Dienst-leistung kann man nicht raubkopieren. Ein Friseur hat auch kein Problem mit illegalen Haarschnitten." Nicht jedes Spiel jedoch lässt sich sinnvoll um Online-Elemente erweitern. Und auch mit einer Armada von Anwälten wird sich der illegale Datenfluss über das Internet nicht stoppen lassen. Auch die Verurteilung der Betreiber der Internettauschbörse Pirate Bay im April hat nicht dazu geführt, dass Filesharing-Angebote unpopulärer wurden. "Studien haben ergeben, dass etwa die Hälfte der Internetuser Tauschbörsen nutzt", sagt der Informatiker und Medienforscher Volker Grassmuck von der Humboldt Universität Berlin: "Das ist oft illegal, wird aber trotzdem gemacht. Tauschbörsennutzung hat sich als Kulturtechnik fest etabliert." Markus Beckedahl, bloggender Unternehmensberater und Internetaktivist (netzpolitik.org) stimmt ihm zu: "Es wurde schon immer kopiert, sobald die Möglichkeit zum Kopieren bestand. Die Kopie eines Musikalbums, die man früher einem Freund auf dem Schulhof geschenkt hat, war legal und durch das Recht auf Privatkopie gedeckt - doch wenn man heute etwas über eine Internetbörse tauschen will, soll das auf einmal nicht mehr legal sein. Diesen Kulturwandel kann man niemandem erklären." Die Lösung sehen beide in einer so genannten Kulturflatrate. Jeder Netzzugangsanbieter soll ermitteln, welche Musikstücke, Filme, Fernsehserien und eben auch Computerspiele wie oft heruntergeladen werden. Jeder Internetnutzer wiederum soll abhängig von der Geschwindigkeit seiner Netzverbindung eine monatliche Pauschale zahlen: die Kulturflatrate. Die Summe der Einzahlungen wird dann entsprechend der Häufigkeit der Downloads an die Urheber der heruntergeladenen Kulturgüter verteilt. Das klingt nach Zukunftsmusik, wird aber bereits in der Kulturbranche und auf politischer Ebene, zum Beispiel von den Grünen, diskutiert. "In meinen Gesprächen mit Industrievertretern habe ich festgestellt, dass es in den Bereichen Musik, Film und Text viele Leute gibt, die sich eine Kulturflatrate vorstellen können oder sie gar als die einzige Lösung ansehen", sagt Volker Grassmuck. "Die Computerspiel-Industrie jedoch steht dem bisher eher ablehnend gegenüber." Und in der Tat: "Es ist zu begrüßen, dass darüber nachgedacht wird, wie Schöpfer geistigen Eigentums für ihre Tätigkeit angemessen entlohnt werden sollen", sagt Martin Lorber von Electronic Arts. "Aber die technische Umsetzung, die garantiert, dass alle Urheber gerecht bezahlt werden, dürfte große Schwierigkeiten bereiten." Vielleicht sollte die Computerspiel-Industrie ihre Skepsis dennoch überwinden und auf Ulrich Ruschig hören. "Wenn es eine Kulturflatrate gäbe", sagt der bekennende Raubkopierer, "dann wäre ich sofort dabei. 50 Euro im Monat wäre mir das wert." Und das wäre doch für die Industrie allemal attraktiver als gar nichts.
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von Volker Hansch / Juni 10th, 2009 / 2 Kommentare

2 Kommentare

  1. Rabauke sagt:

    50€, aha. Nun, das ist ein frei erfundener Wert, daher lasse ich den einfach mal mit einem Kopfschütteln so stehen.

    Ich wäre für eine Kulturflatrate. Nur: Wie bei Allem das mich an den Kommunismus erinnert, haben wir auch hier ein Problem bei der fairen Güterverteilung. „Nur der User entscheidet wer wieviel bekommt!“ sagen die einen; „29€ von 30€ die ich für Edna bricht aus bzahlt habe würden an EA gehen“ sage ich. Somit verstehe ich ich auch nicht Ulrich Ruschigs´ Zustimmung – oder er hat erst gesprochen und dann gedacht – solche Gedanken sind derartig neu, sie liegen ja nciht vorgespeichert im Hinterkopf. Wie auch immer.

    Da sich der ganze Spaß sowieso nicht bei meinen 3 Spielen im Jahr lohnen würde, isses mir auch schnuppe.

  2. Olaf sagt:

    Ich glaube das Thema Raubkopie ist überschätzt! Jedes Jahr erzielt die Spielbranche Rekordumsätze.

    Ein runtergeladenes Spiel ist nicht gleich ein potentiell gekauftes spiel