Fallout 3
Zehn Jahre haben wir auf eine Fortsetzung der legendären "Fallout"-Reihe gewartet – jetzt haben wir sie endlich anspielen können. Freut euch drauf: "Fallout 3" ist eine Bombe
Das Spiel beginnt mit einem Schrei: Gleißendes Licht blendet uns, Blut spritzt uns ins Auge. Wir sind Zeuge einer Geburt. Unserer eigenen. Das Baby, dass da schreit, sind wir. Zwischen den Beinen unserer Mutter liegend blicken wir ins freudige Gesicht unseres Vaters, der uns in der Welt willkommen heißt.
Wären wir mal lieber drin geblieben. Denn wie "Fallout", der zehn Jahre alte Rollenspielklassiker von Interplay, spielt auch "Fallout 3" in einer finsteren Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2277, die Erde ist eine nukleare Wüste. Die wenigen Menschen, die den Atomkrieg überlebt haben, hausen seit Generationen in unterirdischen Bunkern oder schlagen sich auf der radioktiv verseuchten Oberfläche durch. Was sollen wir hier? Was ist unsere Aufgabe? Um das heraus zu bekommen, lässt uns das Spiel zunächst die prägenden Momente unserer Kindheit im Atombunker Vault 101 durchleben. Voller Tatendrang brechen wir schon als Einjähriger aus unserem Laufstall aus und entscheiden uns beim Durchblättern eines Bilderbuchs für Fähigkeiten wie Stärke, Ausdauer und Intelligenz. Zum zehnten Geburtstag bekommen wir von Papa einen Pip-Boy 3000 geschenkt. Diese überdimensionale Armbanduhr informiert uns von nun an über unseren Aufenthaltsort, unseren Besitz und unseren Fortschritt im Spiel. Mit 16 Jahren schließlich müssen wir uns in der Schule einem Test unterziehen, der unser handwerkliches Geschick und unser Mitgefühl auf die Probe stellt und über unsere Berufslaufbahn entscheidet - ob wir ein Wissenschaftler werden zum Beispiel, der sich schnell in Computer hackt, oder doch eher ein Scharfschütze. Unsere Zukunft scheint also vorgezeichnet. Doch kaum haben wir das 19. Lebensjahr erreicht, kommt alles ganz anders: Unser Vater hat in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den Bunker verlassen und damit gegen das oberste Gebot der Vault-Aufsicht verstoßen. Da uns als vermeintlichem Komplizen ebenfalls Strafe droht, ergreifen auch wir die Flucht und machen uns auf die Suche nach ihm.
Der Kampf ums Überleben
Als wir zum ersten Mal in unserem Leben ans Tageslicht treten, ringen wir angesichts der ungekannten Weite nach Atem. Am Horizont sind die Trümmer Washingtons zu erkennen, rechter Hand verläuft eine zerstörte Autobahnbrücke im Nichts, links erstreckt sich eine zerklüftete Einöde. "Fallout 3" lässt uns nun von der Leine, und wir können diesen postnuklearen Albtraum auf eigene Faust und ohne Beschränkungen erkunden. Unsicher stolpern wir die Überreste einer Landstraße entlang und gelangen nach Springvale. Wo einst Menschen ihrem Tagesgeschäft nachgegangen sind, Kinder gespielt und Hunde den Briefträger angebellt haben, steht jetzt eine Geisterstadt. Aber Leben gibt es hier immer noch: Eine mutierte Riesenfliege nimmt uns mit ihrem ätzenden Sekret unter Beschuss. Wir greifen zum Gummiknüppel, den wir dem Wachpersonal des Bunkers abgeluchst haben, und schlagen zurück. Als wir aber unmittelbar darauf von zwei hungrigen Maulwurfsratten angefallen werden, denen wir uns nur mit Mühe erwehren können, wird klar: Um in dieser feindlichen Umwelt zu überleben, brauchen wir eine bessere Ausrüstung. Wir erinnern uns, dass wir vor unserer Flucht aus Vault 101 von einer Stadt namens Megaton gehört hatten, die ganz in der Nähe liegen soll - und marschieren los.
Es wird bereits dunkel, als wir unser Ziel erreichen. Ein alter Roboter der Marke "Metro Protectron" begrüßt uns am Stadttor und empfiehlt einen Besuch des örtlichen Restaurants. Wir jedoch gehen erst mal zum Arzt. Der will zu viele Kronkorken - die Währung des 23. Jahrhunderts - für revitalisierende "Stimpaks" haben, lässt sich aber dank unserer hohen Charismawerte erweichen. Als wir danach durch die aus Industrieschrott zusammengezimmerte Siedlung spazieren, müssen wir entsetzt feststellen, dass mitten auf dem Marktplatz von Megaton eine funktionstüchtige Atombombe herumliegt. Der örtliche Sheriff verspricht uns eine hohe Belohnung, wenn wir das Ding entschärfen - das jedoch wäre ein Sakrileg in den Augen der Kirchengemeinde von Megaton, die das Ungetüm als Gottheit verehrt. Vielleicht wäre das Angebot des zwielichtigen Mr. Burke eine Alternative? Der unterbreitet uns in einer heruntergekommenen Kneipe den Vorschlag, die Bombe aus sicherer Entfernung aus rein ästhetischen Gründen zu zünden. Angeekelt und doch ein wenig in Versuchung geführt, vertagen wir diese schwerwiegende Entscheidung.
Eine Hand wäscht die andere
Stattdessen kommen wir mit der sympathischen Mechanikerin Moira Brown ins Geschäft: In ihrem Auftrag führen wir Erkundungsmissionen im Ödland durch und erhalten dafür Zugang zu Erfindungen wie dem Rock-it-Launcher, der jeden Gegenstand - egal ob Aschenbecher oder Teddybär - in ein tödliches Wurfgeschoss verwandelt. In "Fallout 3" können wir nämlich nicht nur fast alles aufsammeln und gegen Munition oder Drogen eintauschen, sondern aus einigen Fundstücken sogar fantasievolle Waffen basteln.
Auf Moiras Wunsch suchen wir in der nahe gelegenen Ruine eines Super-Duper-Markts nach kostbaren Lebensmitteln und rennen dabei einer Gruppe von Raidern in die Arme, schießwütigen Straßenräubern, denen nichts heilig ist. Hier kommt das VAT-System (Vault-Tec Assisted Targeting System) des Spiels zum Einsatz. Zwar können wir uns genau wie in einem Egoshooter mit unseren Gegnern schnelle Schusswechsel liefern. Der VATS-Modus hingegen erlaubt es uns, die Zeit anzuhalten, und jedes Körperteil eines Angreifes einzeln aufs Korn zu nehmen. Auf dem Bildschirm eingeblendete Prozentzahlen verraten uns, wie wahrscheinlich ein Treffer an der anvisierten Stelle ist. Da jeder Schuss Actionpoints kostet, die nur gewonnen werden, wenn wir die Zeit normal weiterlaufen lassen, müssen wir nach einigen Schüssen immer wieder zur Echtzeit zurückschalten. Das zwingt zu einem ausgewogenen Spielstil zwischen Action und Strategie.
Ein weiterer Botendienst, diesmal für die ebenfalls in Megaton sesshafte Lucy West, führt uns nach Arefu, einer Siedlung nordöstlich von Megaton. Die dort lebenden Menschen haben in letzter Zeit unerklärliche Todesfälle zu beklagen. Und Lucys Bruder Ian, dem wir einen Brief überreichen sollen, ist spurlos verschwunden. Wir entschließen uns, ihn zu suchen und treffen wenig später in einem mit Fallen gespickten U-Bahn-Netz auf eine Bande von Möchtegern-Vampiren. Zu unserer Überraschung gibt sich einer von ihnen als Lucys Bruder zu erkennen. Sichtlich in Gewissensnot gesteht er uns, dass er seit seiner Kindheit von einem unstillbaren Blutdurst gequält wird. Nach gutem Zureden und einem Gespräch mit dem erstaunlich einsichtigen Anführer der Verrückten, gelingt es uns, Ian ohne Blutvergießen aus den Klauen der Sekte zu befreien. In solchen Momenten setzt "Fallout 3" ganz auf die Kraft des Wortes und glänzt mit wundervoll geschriebenen und auch auf Deutsch glaubhaft gesprochenen Dialogen.
Nachdem wir durch diese Abenteuer unser Waffenarsenal aufgestockt und unser Karma erhöht haben, fassen immer mehr Bewohner von Megaton Vertrauen und schanzen uns weitere Aufträge zu, die uns die zweifelhafte Bekanntschaft mit Drogenköchen, Sklavenhändlern, Kannibalen und haushohen Supermutanten machen lassen. Und letztendlich zahlen sich unsere Mühen auch aus: Wir erhalten den Hinweis, dass sich unser Vater zur Hauptstadt durchgeschlagen haben soll, die der Atomkrieg in ein Trümmerlabyrinth verwandelt hat. Wir kehren Megaton den Rücken, kommen noch einmal auf das lukrative Angebot von Mr. Burke zurück, und machen uns dann auf den Weg nach Washington D.C. Und wir ahnen: Die Suche nach unserem Vater hat gerade erst begonnen.
Das Spiel
Als im Juni 2004 bekannt wurde, dass Publisher Interplay aufgrund von Millionenschulden die Rechte an der "Fallout"-Serie an das Entwicklerstudio Bethesda verkauft hatte, spaltete das die Rollenspielergemeinde in zwei Lager. Die einen waren begeistert über die neue Perspektive, schließlich hatte das Team von Bethesda mit der "Elder Scrolls"-Reihe mehrfach bewiesen, dass es das Genre im Griff hat. Die anderen hatten Angst davor, dass der kompromisslose Charakter des Originals durch die Übernahme verwässert würde. Die letzte Gruppe darf aufatmen, denn ihre Befürchtungen haben sich als unbegründet erwiesen. All das, was den 1997 erschienenen ersten Teil und dessen Fortsetzung von 1998 auszeichnete, findet sich auch in Bethesdas Neuinterpretation. Die offene Spielwelt und die völlige Handlungsfreiheit in "Fallout 3" - seit jeher ein Markenzeichen der Reihe - erlauben es jedem, das Spiel so zu spielen, wie er will. Ob als strahlender Held, als zynischer Schurke oder als neutraler Einzelkämpfer. Wir können uns ganz auf die Suche nach unserem Vater konzentrieren oder uns in einem weit gespannten Netzwerk von Nebenmissionen verlieren. Auch der schwarze Humor und die Ironie des Originals findet sich hier an jeder Ecke. Am beeindruckendsten aber ist, mit welcher Stilsicherheit Bethesda den typischen, von alten Science-Fiction-Serien wie "Flash Gordon" und amerikanischer Heile-Welt-Propaganda der 50er Jahre inspirierten "Fallout"-Look in die Neuzeit des Videospiels übertragen hat.
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