Denk mal
Über wenig können sich Spieler mehr aufregen als über eine schlechte Künstliche Intelligenz. Doch was hindert Games daran, schlauer zu werden? Wir haben die "Siedler"-Entwickler in Oberhausen gefragt
Eine unsichtbare Hand setzt eine Jagdhütte aufs Spielfeld, daneben baut sie einen Holzfällerschuppen. Sie zieht Straßen durchs Grün, Figuren laufen hin und her. Eine typische "Siedler"-Szene ist das, idyllisch, niedlich und wuselig. Doch Peter Sprys ist trotzdem nicht zufrieden: "Jetzt müsste es doch passieren, jetzt sollte sie es begriffen haben", sagt er. Sie, das ist die Künstliche Intelligenz (KI) des Spiels. Sie sollte jetzt Fahnen setzen auf der Straße, die Jagdhütte und Marktplatz verbindet. Die Fahnen sorgen nämlich dafür, dass die Siedler kürzere Wege gehen. Stattdessen baut die KI andere Häuser und legt weitere Straßen an. "Manchmal ist sie ein wenig langsam", sagt Sprys fast entschuldigend, um gleich darauf zu rufen: "Da, jetzt hat sie es gemacht!" Die Fahnen wehen, die ersten Figuren legen ihre Brezeln dort ab, die nächsten nehmen sie auf, der Weg für jeden Siedler ist kürzer geworden.
Und Vorurteile werden bestätigt: Künstliche Intelligenz in Spielen ist träge im Denken und oft auch ein wenig dumm. Sie lässt Figuren an Felsen hängen bleiben, Gegner trotz Dauerbeschusses nicht in Deckung gehen oder Autos geheime Turbos zünden, kaum dass man endlich einmal in Führung liegt. KI ist immer wieder ein Reizthema für Spieler: Sie nervt, bringt zum Lachen und frustriert. Und sie ist nur dann wirklich gut, wenn man sie nicht bemerkt.
"Künstliche Intelligenz hat nur ein Ziel: Sie soll die Spieler unterhalten", sagt Peter Sprys, "sie soll Spaß machen und herausfordern." Er ist dafür verantwortlich, dass sie dieses Ziel erreicht. Sprys programmiert im Oberhausener Funatics-Studio die KI für den nächsten Teil der "Siedler"-Reihe, der "Aufbruch der Kulturen" heißen wird und in Gemeinschaftsarbeit mit den "Siedler"-Erfindern von Blue Byte entsteht. Doch im Moment sitzt er im Konferenzraum von Funatics vor einer Leinwand. Und auf dieser Leinwand wuseln seine Siedler. Neben ihm sitzt Kathleen Kunze, die Game-designerin des Spiels. Sie stellt die Regeln auf, nach -denen das Spiel zu funktionieren hat. "Künstliche Intelligenz", sagt sie, "muss zweckmäßig sein. Sie ist ein Element von vielen, die zusammen das komplette Spiel ergeben" - zusammen mit Grafik, Sound oder Physik.
"Lange Zeit war Künstliche Intelligenz unwichtig", erklärt Peter Sprys. Erst kurz vor Schluss haben sich viele Entwickler überlegt, dass sie noch eine KI brauchen. Doch dann war es meistens zu spät. Wer jetzt noch ein gut funktionierendes "Hirn" einbauen wollte, musste den Programmcode umbauen, die KI an sämtliche anderen Teile des Spieles anpassen - und das mit kaum noch vorhandenen Prozessorkapazitäten. "Inzwischen ist das besser geworden, an die KI wird bereits bei der -Planung des Spiels gedacht", sagt Sprys, "aber es ist immer noch so, dass die Intelligenz nicht der wichtigste Teil eines Spieles ist - das ist die Grafik." Also das, was man sieht und womit man punktet auf Screenshots und Videos. Womit man ein Spiel verkauft. Die KI muss sich hinten anstellen. "Vielleicht ändert sich das in ein paar Jahren", mutmaßt er, wenn Multicore-Prozessoren Standard geworden sind und ein Kern sich ganz der KI widmen kann.
Pfadfinder
Bei den Siedlern auf der Leinwand hat ein neues Spiel begonnen. Gerade hoppelt ein Hase umher, springt ein Reh ins Bild. "Hier sehen wir bereits zwei Beispiele für Künstliche Intelligenz", sagt Sprys und schaltet die Ansicht um. Verschwunden sind jetzt die sattgrüne Wiese und die hohen Bäume der Siedlerwelt. Stattdessen zeigen sich Gitterlinien, Rauten und schemenhaft angedeutetes Gestrüpp. "Das sind die Pfade, auf denen sich bei den Siedlern alles bewegt." Nach dem Zufallsprinzip bekommen der Hase und das Reh mitgeteilt, wohin sie sich begeben sollen - den Weg dorthin müssen sie selbst finden. Und dabei müssen sie sich fragen: Können wir auf den nächsten Schnittpunkt gehen, oder ist der besetzt? Wenn er besetzt ist, wo können wir dann hin? Pfadfindung ist eine wichtige Aufgabe für künstliche -Intelligenzen. Auch wenn uns das erst mal ganz einfach erscheint. "Wir Menschen sehen ja sofort, wo wir unsere Figuren hinziehen können", sagt Sprys, "das kann die Maschine nicht. Sie hat keine Augen." Und deshalb muss sie jeden Punkt auf dem Gitternetz betrachten, bewerten und dann den besten auswählen. Das ist sehr zeitaufwendig und kostet einiges an Rechenleistung. Je aufwendiger das Zielsuchsystem, desto mehr Chip-Power braucht es. Während der Hase noch von Gitterpunkt zu Gitterpunkt springt, schaltet Sprys zurück auf die Spielansicht und beschleunigt das Geschehen im Game. "Es gibt in Sachen KI einen großen Unterschied zwischen dem Hasen und den Siedlern", sagt Kathleen Kunze. Dem Hasen steht es frei, wo er rumhoppelt, die Siedler müssen genau das tun, was von ihnen verlangt wird. Sie sind Teil der Spielregeln, der Hase dagegen gehört zur Umgebung. Er hat kein Ziel, die Siedler jedoch erfüllen kleine Aufgaben, die sich ständig wiederholen und die abgearbeitet werden müssen. Wenn Siedler beispielsweise einen Steinbruch abbauen, sagt ihnen das Spiel: "Gehe hin, hole Steine, bringe sie zur Verarbeitung." So lange, bis die Steine vollständig abgebaut sind. Ähnlich beim Holzfäller. Der geht so lange in den Wald, bis der letzte Baum abgeholzt ist. Immer wieder wird er das machen, ohne Variation, ohne Nachzudenken. -Kleine Programmschleifen sind das, die sich unter bestimmten Umständen wiederholen, immer wieder. Programmschleifen, die der Spieler selbst in Gang setzt - oder die Künstliche Intelligenz.
Problemlöser
Im Grunde gehen Spieler und KI ähnlich vor: Sie erkennen ein Problem und suchen nach Lösungen. Menschen können mit einen Blick eine große Anzahl von Eindrücken verarbeiten. Sie sehen auf dem Bildschirm, wie ihre Stadt aussieht, wissen sofort, ob noch genug Holz da ist und ob der Vorrat im Steinbruch reicht. Sie sehen, ob die Mühle produziert oder auf Weizennachschub vom Bauern wartet. Die Maschine kann das nicht. Sie sieht nicht. Sie fragt Zustände ab. Immer wieder, in einer großen Schleife.
Und auch wenn es komisch klingt: Bei einem Egoshooter funktioniert das ganz ähnlich. Sobald ein Gegner unter Beschuss gerät, fragt er seine Umgebung ab: Ist der Beschuss heftig? Woher kommt er? Gibt es in der Nähe ausreichende Deckung? Habe ich einen Vorteil auf höherem Gelände? Was machen die künstlichen Kameraden? "Squad-Intelligenz" nennt Peter Sprys das, wenn der Computergegner nicht allein ist, sondern mit mehreren Figuren agieren und deren "Wissen" abfragen kann. Je öfter er diese Abfragen macht, desto intelligenter erscheint der Widersacher.
"Im Grunde muss man sich die Künstliche Intelligenz in einem Spiel ganz einfach vorstellen," sagt Sprys: "Es gibt eine Aufgabe, und die Maschine berechnet anhand vorgegebener Lösungen, welche davon die -beste ist." Sie fragt Verhaltensweisen ab, die von dem Programmierer und den Spielregeln vorgegeben werden. Und das gilt auch für Spiele -anderer Genres: Wenn in der 90. Minute ein Konter läuft, dann hol den Stürmer von den Beinen. Falls ein Fahrer dir zu nahe kommt, versuch ihn abzudrängen und zünde ein Extra. Wenn der Gegner dich frontal -unter Feuer nimmt, versuche ihm in den Rücken zu fallen. KI ist nicht intelligent. Sie lernt nicht. Sie hat nur einen Berg voller Spickzettel mit möglichen Optionen.
Wie in einer Abi-Klausur ist es jedoch nicht das Schlaueste, sich allein aufs Spicken zu verlassen und das Gehirn auszuschalten. Das wird sich auch gleich auf der Leinwand zeigen. So weiß der Computer, dass es auf der Karte zwei Steinbrüche gibt. Einen, den auch der Spieler sieht. Und einen, der im Nebel verborgen ist. Der Sichtbare ist schwierig zu erreichen, er wird von einem Wald abgeschirmt. Der Spieler begreift schnell, dass er einen Weg finden muss, den Wald begehbar zu machen, die KI aber stellt fest, dass ihr der Weg versperrt ist, und zieht erst mal in Richtung des anderen Steinbruchs - obwohl der viel weiter entfernt ist. Sie legt Wege, baut Wachtürme und baut Rohstoffe ab, um Soldaten zu versorgen. Immer wieder aber wird sie überprüfen, ob der Weg zum ersten Steinbruch nicht doch frei geworden ist. Weil vielleicht Holzfäller am Werk waren und den Weg frei gemacht haben. Ist das der Fall, wird sie umlenken und auf den frei gewordenen Steinbruch hinarbeiten.
"So funktioniert die Wirtschafts-Intelligenz", erklärt Sprys, "ein Bedarf wird festgestellt, und die KI versucht ihn zu decken." Es gibt verschiedene KIs bei den Siedlern: eine für die Umgebung, eine für die Wirtschaft und eine fürs Militär. Wenn es nötig ist, arbeiten sie zusammen. Dann, wenn zum Beispiel das Reich vergrößert werden soll. Dann schaut die militärische KI, wo der Gegner steckt und fordert bei einer anderen KI Soldaten an. In diesem Fall ist das die Wirtschafts-KI. Die vergibt weitere Aufträge: Steine müssen abgebaut werden und Holz gefällt, um Kasernen und Wachtürme zu bauen, Tiere gejagt und Brot gebacken werden, um die Soldaten zu ernähren. Wie auf einem Einkaufszettel sieht es aus, wenn Sprys einblendet, was die KI gerade abfragt. Wenn eine Bedingung erfüllt ist, wird ein Haken dahintergesetzt. Sind die Soldaten schließlich da, übernimmt wieder die Militär-KI: Sie sucht den Gegner auf dem Feld und errechnet den besten Weg, ihn zu erreichen. Schließlich schickt sie Soldaten in seine Richtung. Wenn der Gegner nah genug ist, analysiert sie die Truppenstärke, und errechnet ihre Siegeswahrscheinlichkeit. Ist die gut, schlägt sie los. Das klingt unbesiegbar, ist es aber nicht. "Die KI weiß zwar viel, ist aber oft nicht auf dem neuesten Stand", sagt Sprys. Manche Zustände werden nur einmal pro Minute -abgefragt, alles andere würde den Prozessor zu sehr belasten. "Es sind Hunderte, Tausende von Möglichkeiten, die da berechnet werden." Und das Ergebnis ist nicht immer klug: "Jetzt zum Beispiel wird sie angegriffen", sagt Sprys, nachdem er einen Cheat eingegeben hat, und zeigt auf die roten Truppen, die er gerade erschaffen hat. Ein menschlicher Gegner würde sofort erkennen, dass er unterlegen ist, würde sich zurückziehen und am besten noch die Kaserne niederbrennen. Der Gegner könnte sie sonst weiter benutzen und seinen Machtbereich schnell vergrößern. Aber die KI reagiert nicht und wird überrumpelt. "Sie weiß gerade nicht, was los ist, denn die letzte Überprüfung der Umgebung ist schon länger her. Für die KI gibt es noch keine Gegner", sagt Sprys und wartet: "Jetzt hat sie es!" Jetzt beginnt sie tatsächlich, die Truppen zurückzuziehen, die Kaserne fängt an zu brennen. Gerade noch geschafft.
"Künstliche Intelligenz im Spiel hat wenig mit Künstlicher Intelligenz zu tun, die wir aus Forschung und Wissenschaft kennen, nichts mit neuronalen Netzen, mit Lern- und Anpassungsfähigkeit. Dazu sind die Rechen-kapazitäten viel zu beschränkt", fasst Sprys zusammen. Solange wir -keine Supercomputer zum Spielen benutzen, wird das auch so bleiben. "Wollen wir überhaupt eine KI, die unglaublich schlau ist?", fragt Kath-leen Kunze. Eine Maschine, die gewitzte Spielzüge macht, die jedes Detail in ihre Überlegungen einbezieht, eine Intelligenz, die unbesiegbar ist? Wahrscheinlich nicht. Wir wollen schließlich gewinnen.
Die beste KI
Half-Life 2 (2004) Alyx ist ein künstliches Wesen. Das muss man so deutlich sagen, weil Gordon Freemans Be-gleiterin im Egoshooter so echt wirkt, wenn sie -einem in den richtigen Momenten zublinzelt, -lächelt oder verzweifelt die Hände vor das Gesicht hält. Hier wird KI zu echten Gefühlen.
Halo (seit 2001)
Nein, es ist nicht nur der Multiplayer-Teil, der die "Halo"-Reihe so herausragend macht. Es ist auch das Kampfverhalten der Gegner in den höheren Schwierigkeitsgraden. Sie nutzen die Deckung, warten auf Unterstützung und lassen jede Schießerei anders ablaufen.
Burnout Paradise (2008)
Eine gute KI macht Fehler. Je menschlicher die wirken, desto besser. Wie bei "Burnout Paradise": Wir kichern, wenn der Gegner in den Gegenverkehr rast oder eine Kurve zu eng nimmt. Das macht richtig Spaß - zumindest bis man selbst in den Gegenverkehr kracht.
Die schlechteste KI
Tomb Raider: Legend (2006)
Auch wenn zehn Jahre vergangen sind seit dem ersten Teil: Die Kampf-KI ist noch genauso dumm wie am Anfang: Die Gegner sind Schießscheiben, die man nur mit großer Anstrengung verfehlen kann. Die automatische Zielfunktion macht es auch nicht gerade anspruchsvoller.
GTA: San Andreas (2004)
So lebendig die Welt des Spiels ist, so dumm sind ihre Einwohner. Wenn sie sich erschrecken, springen sie direkt vor unser Auto, und gegnerische Gangs überleben nur, wenn sie wirklich viele sind. Allein bleiben sie stehen und hoffen, dass ihre Kugeln schneller fliegen als unsere.
Need For Speed: Most Wanted (2005)
Wo kommt denn der her? Gerade haben wir den Führenden überholt, als der bei Vollgas einen Brückenpfeiler getroffen hat. Unser Vorsprung war groß, und jetzt sehen wir im Radar, wie er aufholt. Mit Extra-Turbo und wie auf Schienen gelenkt. So unverfroren schummelt keine andere KI.
Text: Carsten Görig
Tags:
Denk mal,
Feature,
GEE 38,
GTA: San Andreas,
Half-Life 2,
Halo,
Künstliche Intelligenz,
KI