Wii Fit
Nach Gehirnjogging und Augentraining will Nintendo mit "Wii Fit" nun den Rest des Körpers in Form bringen: Auf dem mitgelieferten Balance Board machen wir Liegestütze und Yoga oder springen Ski. Unser Autor Torben Müller steht drauf
Eine neue Wohnung muss her. Mit mehr Platz. Und mit Vorhängen vor dem Wohnzimmerfenster. Dringend! Acht Jahre lang habe ich es in meinem Zuhause bestens ausgehalten. 40 Quadratmeter, hell, nahe dem Hamburger Hafen. Doch seit fünf Tagen muss ich mir ständig mühsam Raum zwischen Fernseher, Sofa und Tisch schaffen. Und wenn die Nachbarn aus den gegenüberliegenden Häusern durch mein Fenster blicken, sehen sie einen Mann, der in der Hocke vor dem Bildschirm kauert und dabei nach links und rechts schwankt; der auf einmal im Stehen wild mit den Hüften kreist oder anfängt zu tanzen. Sie sehen einen Mann, der seit fünf Tagen ein Wii Balance Board besitzt. Denn Nintendo hat nachgelegt: Nach dem Erfolg mit der Wii-Konsole und ihrem drahtlosen Fernbedienungs-Controller bringen die Japaner jetzt ein neues Steuerungsgerät heraus, das vollen Körpereinsatz verlangt. Das Balance Board sieht aus wie eine extrem breite Personenwaage ohne Gewichtsanzeige und wird vor den Fernseher auf den Boden gelegt. Unter seiner Oberfläche registrieren druckempfindliche Sensoren jede Bewegung des Spielers, der in den meisten Fällen auf dem Brett steht oder sich mit den Händen darauf abstützt. Auf diese Weise kann er zum Beispiel allein durch Gewichtsverlagerung einen Skiläufer über einen Slalomparcours wedeln lassen oder seine Bizepsmuskeln beim Krafttraining in Form bringen. Nintendo preist das Brett mitsamt der mitgelieferten Software "Wii Fit" als "Personal Trainer für zu Hause". Mehr als 40 Übungen und Spiele, die im Startpaket enthalten sind, sollen auch Untrainierte zu einem gesunden und gestählten Körper verhelfen. Kann das funktionieren? Bevor ich mit meiner ersten Trainingseinheit beginne, muss ich der Wii persönliche Daten wie Alter und Größe verraten. Mein Gewicht misst sie automatisch über das Balance Board. Alles beginnt viel versprechend: Beim Verkünden meines Body-Mass-Indexes (BMI) von 21 springt mein Mii vor Freude in die Luft, und den ersten Balancetest, in dem ich mein Gewicht möglichst exakt auf beide Füße verteilen muss, absolviere ich nahezu perfekt. Doch weil ich in der zweiten Prüfung meine Körperlast nicht immer wie gefordert verlagere, fällt die Wii ein vernichtendes Urteil: "Dein Körper ist deutlich schwächer, als er sein sollte." Mein errechnetes Wii-Alter, das den Fitnesszustand widerspiegelt, beträgt 48 Jahre. In Wirklichkeit bin ich 35. Frechheit! Anschließend fordert mich "Wii Fit" auf, mir zum Ansporn ein Ziel zu setzen, das ich in den nächsten Wochen erreichen will. Leider kann ich hier nur einen BMI eingeben. Dabei wären täglich 30 Liegestütze eine größere Herausforderung, als nur mein Gewicht zu halten. Nun aber los! Das Trainingsmenü bietet mir vier Kategorien: Muskeltraining, Yoga, Aerobic und Balancespiele. Ich will sofort auf die Skipiste und wähle den Slalomlauf. Vor dem Start erhalte ich die letzten Instruktionen: In die Hocke gehen und nach links oder rechts lehnen, um durch die Tore zu steuern. Klingt ja puppig. Sekunden später schlagen mir die roten und blauen Stangen nur so um die Ohren. Und tatsächlich reagiert das Balance Board auf nahezu jede Regung meines Körpers. Ich schwinge nach rechts und links, lehne mich nach hinten, um die Fahrt zu bremsen, oder beuge mich nach vorne, um Geschwindigkeit aufzunehmen - mit mittelmäßigem Erfolg. Im Ziel brummt mir das Schiedsgericht einen Haufen Strafsekunden für die ausgelassenen Tore auf und stuft mich als "unbalanciert" ein. In die Bestenliste darf ich mich trotzdem eintragen. Und zuletzt werden mir für das absolvierte Rennen noch "Wii Fit"-Minuten gutgeschrieben. Sobald ich davon genug gesammelt habe, wird automatisch eine neue Übung oder ein neues Balancespiel freigeschaltet. Das steigert die Trainingsmotivation ungemein. Ich schnalle die Ski ab und besuche das Aerobic-Studio, wo alle Mühe nur einem Ziel dient: möglichst viele Kalorien zu verbrennen. Zum Beispiel bei der Hula-Hoop-Gymnastik, die unter anderem neben Rhythmusboxen und Jogging zur Auswahl steht. 70 Sekunden lang muss der Anfänger dabei einen Reifen möglichst oft um die Hüften schwingen. Zwischendurch werfen mir zwei Miis von rechts und links weitere Ringe zu, die mit dem Körper aufgefangen und in Bewegung gehalten werden sollen. Ich beginne mit den Hüften zu kreisen. Erst langsam, dann immer schneller. Und wieder überträgt das Brett meine Aktionen tadellos. Gar nicht so einfach, auch noch die zugeworfenen Ringe durch Rechts-Links-Neigen aufzufangen und dabei das Hüftkreisen nicht zu vergessen. Als ich zwischendurch mein Spiegelbild im Fenster erblicke, frage ich mich, ob der Spaß für meine Nachbarn gegenüber womöglich noch größer ist als für mich. Was geht ihnen wohl durch den Kopf, wenn sie meine Bewegungen sehen? Vermutlich, dass Cybersex in Hamburg plötzlich Mainstream geworden ist. Zum Schluss runde ich die erste Trainingseinheit mit einer Kraftübung und einer Yogafigur ab. Dazu begrüßt mich eine namenlose Trainerin, die die Übungen zunächst vorturnt und anschließend mit mir zusammen absolviert. Der Ausfallschritt aus dem Muskeltrainingsprogramm klappt gut: Ich schaffe die Aufgabe, mit dem jeweils vorderen Bein genug Druck auf das Brett zu bringen, um einen blauen Balken auf dem Bildschirm nach oben zu treiben. Beim Yoga offenbart das Konzept allerdings Schwächen. Zwar registriert das System, wie stabil und ausgeglichen der Spieler während einer Übung auf dem Balance Board steht. Doch ob er den Oberkörper richtig einsetzt und die Arme korrekt bewegt, kann es nicht kontrollieren. Außerdem lenkt der Blick auf den Bildschirm ab, wo ein roter Punkt mithilfe des Gleichgewichts möglichst in der Mitte eines gelben Kreises gehalten werden muss. Entspannung ist zumindest für Anfänger kaum möglich. Fünf Tage später: Ich habe ordentlich trainiert und rund die Hälfte der Übungen und Spiele freigeschaltet. Mein "Wii Fit"-Alter konnte ich um schlappe 17 Jahre auf 31 senken. Ein gutes Gefühl. Allerdings fürchte ich, dass mir das außer meinen Nachbarn leider kein Mensch ansieht. Torben Müller, 35, ist mehrfach preisgekrönter Journalist und Redakteur der Zeitschrift "Stern Gesund leben". In seiner Freizeit spielt er ab und zu auch gerne Videospiele.