"Nette Leute hier"
Kein deutscher Spieleentwickler ist international so angesehen wie Julian Eggebrecht. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet der Macher von "Turrican" und "Rogue Squadron" in den USA. Wir haben ihn in seinem Zuhause in der nähe von San Francisco besucht und uns über kalifornische Lebensart, deutsche Tugenden und kreative Krisen unterhalten
Du bist vor über zehn Jahren in die USA gegangen, um dort Games zu entwickeln. Warum hat es dir in Deutschland nicht mehr gefallen? Julian Eggebrecht: Ich hasse Regen. Nein, kein Scherz, das war wirklich einer der Gründe, Deutschland zu verlassen. Aus professioneller Sicht kam hinzu, dass das Internet 1995 zu langsam war, um die 640 Megabyte einer Playstation-CD zwischen uns und den amerikanischen Publishern hin und her zu schicken. Dazu kam die Faszination USA, die vor Bush ein attraktives Einwanderungsland waren. Außerdem waren wir damals als Firma noch recht klein, und viele Leute waren privat noch ungebunden. Was gefällt dir an Kalifornien besonders? Die entspannte Lebensweise. Die Leute sind netter und freundlicher hier, nicht nur beim Einkaufen oder im Supermarkt. Das ändert sich in Deutschland langsam, doch ist es immer noch kein Vergleich zum "Californian way of life". Und was geht dir nach all den Jahren Vereinigte Staaten noch immer auf den Geist? Dass es die Amerikaner nicht hinbekommen, Straßen zu bauen, die wesentlich länger als sechs Monate halten. Auf der menschlichen Ebene nervt mich, dass hier jeder nett und freundlich sein muss. Alle gehen jeglichen Kontroversen und Konflikten aus dem Weg. Das ist immer wieder ein Reibungspunkt, wenn bei uns Mitarbeiter aus Europa und den USA zusammen arbeiten. Mein Führungsstil ist nämlich durchaus noch etwas deutsch. Das heißt, dass neue Mitarbeiter zur Vorbereitung einen Kurs "Arbeiten mit deutschen Kollegen" verordnet bekommen? Absolut! Wir importieren frisches Kölsch aus der Heimat, drücken den Kollegen ein Glas in die Hand und führen sie nicht nur in die Bierkultur ein, sondern sagen ihnen dann auch, dass die Nummer "nach vorne freundlich, hintenrum intrigieren" bei uns nicht funktioniert. Dagegen muss man permanent angehen. Du hast schon in jungen Jahren damit begonnen, Videospiele zu entwickeln. Wie kam das? Angefangen hat das alles 1989, zu Abiturzeiten. Wir haben uns mit Freunden überlegt, Spiele zu machen, und haben dazu Kontakt zum damals ziemlich einzigen seriösen deutschen Publisher Rainbow Arts aufgenommen. Über Rainbow Arts bin ich als Producer mit Factor 5 zusammengekommen, was damals noch gar keine richtige Firma war. Viele aus dem Team haben erst einmal Dinge wie einen Uni-Abschluss oder einen "vernünftigen" Job gemacht, wie es sich für gute deutsche Bürger gehört. Factor 5 entwickelte dann lange Zeit "Star Wars"-Spiele für Lucas Arts. Du bist ein großer "Star Wars"-Fan - das passt ganz gut. Klar. Factor-5-Mitgründer Thomas Engel und ich waren Fans der Filme von George Lucas und Steven Spielberg, ich bin auch heute noch ein Filmfanatiker. Eine frühe spielerische Inspiration war für mich der "Star Wars"-Automat mit Vektorgrafik, in den ich als 13-Jähriger im England-Urlaub Unsummen versenkt habe, weil wir ja in Deutschland nicht in die Spielhallen durften - bis heute eine absurde Regelung. Da war es natürlich einer meiner Jugendträume, am "Star Wars"-Universum mitzuarbeiten. Welcher "Star Wars"-Teil ist dein Favorit? Ich schwanke zwischen dem ersten und zweiten, pardon, dem vierten und fünften. "Krieg der Sterne" besitzt eine unglaubliche Energie. In "Das Imperium schlägt zurück" kommt noch Tiefgang und Komplexität dazu, der ihn filmisch weit über "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" oder die neue Trilogie herausragen lässt. Hast du deinen zwei Kindern die Filme in der "richtigen" Reihenfolge gezeigt, also erst die neuen, dann die klassischen Filme? Ich habe meine Kinder dazu gezwungen, die alte Trilogie vor der neuen zu sehen. (lacht) Ich glaube, die Geschichte funktioniert besser, wenn man zuerst dem Mysterium der Klonkriege und Jedi-Ritter begegnet. Meine Kinder sehen Stärken und Schwächen aller sechs Filme - da mag meine Generation noch so sehr beteuern, dass die alten Filme fantastisch und die neuen kompletter Mist sind. Wie hältst du als Spielentwickler deine Kinder von zu viel Videospielkonsum oder derberen Titeln ab, die nicht für sie geeignet sind? Wir haben recht strikte Regeln. Während der Schulzeit gibt's unter der Woche zum Beispiel gar keine Spiele, sondern nur am Wochenende und auch da nur eine bestimmte Stundenzahl. Ich erlaube ihnen aber, länger zu spielen, wenn sie zusammen statt alleine spielen - da gibt es schon mal coole "Halo"-Sessions mit meinem älteren Sohn. Sie hassen es natürlich, dass ihr Vater sich so gut mit der Materie auskennt und Spiele oder Bereiche auf Xbox Live für sie sperrt, die nicht altersgemäß sind. Das Schönste seit Langem für uns alle war, als zu Weihnachten "Rock Band" rauskam - das haben wir als Familie zusammen gespielt und sogar meine Mutter, die zu Besuch war, nach über 30 Jahren zum ersten Mal an die Konsole gekriegt. Welches Instrument hat sie gespielt? Sie hat sich das Mikrofon geschnappt und gesungen. Danach haben wir die Wii angeschmissen und eine Partie Tennis gespielt. Bei allem Casual-Gaming-Hype muss ich sagen, dass Nintendo etwas richtig machen muss, wenn sie sogar 75-Jährige zum Spielen bekommen. Einen neuen "Star Wars"-Titel für die Wii werdet ihr ja nicht mehr machen. Die Partnerschaft mit Lucas Arts ist längst beendet. Ja. Nach zehn Jahren im "Star Wars"-Universum litten wir alle unter einem firmenweiten Burnout. Hätten wir weitergemacht, wären die nächsten Titel eher mittelprächtig geworden. Jetzt fahren wir zweigleisig: Wir entwickeln eigene Konzepte und produzieren Lizenztitel - aber nur solche, für die wir uns hier wirklich begeistern können. Ich finde es zum Beispiel jammerschade, dass nie was aus einem großen "Battlestar Galactica"-Titel geworden ist, daran hätte ich sehr gerne gearbeitet. Eure seit langem erste Eigenentwicklung war "Lair" für die Playstation 3. Die Drachenfliegerei löste jedoch nicht bei allen Videospielern Begeisterungsstürme aus. Wir haben einerseits den Fehler gemacht, zu radikal mit der "Rogue Squadron"-Serie brechen zu wollen. Intern galt die Regel: Wann immer etwas an "Rogue Squadron" erinnert, müssen wir es anders machen. Gegen Ende der Entwicklung kam uns die Erkenntnis, dass manche Elemente unserer vorigen Spiele ja gar nicht so schlecht waren - nur fehlte uns dann die Zeit, um das entsprechend zu verwirklichen. Andererseits gab es die berechtigte Kritik, dass wir nur die Steuerung per Bewegungssensor erlaubt hatten. Was alle unterschätzt haben: Die Playstation 3 war zum Erscheinen von "Lair" noch ein Nischensystem. Da ist eine Steuerung, die sich an Casual-Spieler richtet, natürlich ziemlicher Quatsch, weil die in aller Regel ja noch gar keine Konsole besitzen. Durch ein Online-Update unterstützt das Spiel jetzt aber auch die normale Gamepad-Steuerung. Manche Kreative laufen in persönlichen Krisenzeiten zur Höchstform auf und stürzen sich mit voller Kraft in ihr Werk - andere werden von solchen Phasen aus der Bahn geworfen. In welche Gruppe ordnest du dich ein? Vor drei Jahren hatte ich den "perfect storm", wie man es hier in den USA nennt, wenn alle nur erdenklichen Unwägbarkeiten zusammenkommen. Meine Frau und ich haben uns scheiden lassen, Factor 5 musste von 30 auf 120 Mitarbeiter wachsen und gleichzeitig versuchen, die ursprüngliche Firmenkultur beizubehalten, und obendrein standen die Next-Generation-Konsolen in den Startlöchern. Durch all das habe ich sicher ein Jahr verloren. Aber so ist das Leben. Doch heute läuft sowohl mein persönliches als auch das Firmenleben wieder in geregelten Bahnen, was das Arbeiten natürlich deutlich einfacher macht. Hast du abgesehen von deiner Filmleidenschaft irgendwelche Hobbys, die dir beim Aufladen der Akkus helfen? Ich bin begeisterter Fahrradfahrer: So lange das Wetter schön ist, komme ich mit dem Rad zur Arbeit, was für große Augen bei den amerikanischen Kollegen sorgt. Außerdem fahre ich gerne Ski. Und dann gibt es einige Fernsehserien wie "Californication", "Lost" und "Mad Men", von denen ich keine Folge verpasse. Du bist jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Was sagen deutsche Entwicklerkollegen, wenn du auf Konferenzen und Messen über den Markt redest und Kritik übst? Hörst du dann ab und zu mal ein "Komm du erst mal nach Deutschland, bevor du schlecht über unsere Entwicklergemeinschaft redest"? Ich weiß nicht, ob man es in den USA unbedingt leichter hat. Natürlich ist die Spielindustrie hier sehr etabliert, aber das bedeutet auch, dass Programmierer schon mal 120.000 bis 150.000 Dollar im Jahr verdienen. Schau dir die deutsche Entwicklerszene an - zwischen uns und Crytek, die beide auf den internationalen Markt zielen, liegen ganze zehn Jahre. Das ist meiner Meinung nach das größte Problem: Die Deutschen haben ein Problem damit, für den Weltmarkt zu entwickeln. Es ist oft eine gewisse Hochnäsigkeit mit im Spiel, wenn deutsche Entwickler sagen: "Unsere Engine ist die Beste." Und dazu kommt noch das Problem der Finanzierung: Es ist in Deutschland immer noch schwer, an Risikokapital zu kommen - besonders in der Spielebranche. Gibt es Zeiten, in denen du dir sagst: Faxen dicke, ich zieh zurück nach Deutschland? Nein. Sicher wäre Berlin eine coole Stadt, um dort zu wohnen, und sicher wäre es schön, wieder häufigeren Kontakt zu den Verwandten zu haben, doch ich könnte mir nicht vorstellen, permanent in Deutschland zu leben. Du könntest dir also vorstellen, die deutsche Staatsbürgerschaft aufzugeben? Ich verstehe es nicht, warum es weiterhin so schwer ist, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu besitzen. Ich möchte auf jeden Fall meine deutsche Staatsbürgerschaft behalten, weil ich mich auch als Vermittler der deutschen Kultur in der Fremde fühle. Andererseits wünsche ich mir auch die amerikanische Staatsbürgerschaft, weil ich mich hier sonst entmündigt fühle. Sicher hätte es bei dem verkorksten System der Wahlmänner nicht den großen Unterschied gemacht, doch ich hätte wenigstens meine Stimme abgeben können. Da gilt noch immer das Prinzip von "taxation without representation" - deswegen hätte ich gerne die US-Staatsbürgerschaft, aber ohne die deutsche beziehungsweise europäische aufzugeben. Julian Eggebrecht, 38, gründete mit Freunden 1987 das Programmierteam Factor 5. Anfangs arbeitete er nebenbei als Produzent beim Publisher Rainbow Arts und hob mit Kollegen die Konsolenzeitschrift "Video Games" aus der Taufe. 1993 wurde aus Factor 5 eine richtige Firma, in der Eggebrecht als Präsident und Kreativchef tätig ist. 1996 verlagerte sie ihren Sitz von Köln ins kalifornische San Rafael nördlich von San Francisco, wo Eggebrecht & Co für Lucas Arts an Titeln wie "Ballblazer Champions" und der "Rogue Squadron"-Serie arbeiteten. Zuletzt stellte Factor 5 den viel kritisierten Action-Titel "Lair" für die Playstation 3 fertig. Interview: Roland Austinat