No More Heroes
Wie viele durchgeknallte Ideen kann man in einem einzigen Videogame unterbringen? Keine andere Frage scheint den japanischen Videospielkünstler Suda51 mehr zu bewegen als diese. Seine jüngste Antwort ist ein brutaler Trip durch die Popkultur und ein modernes Märchen über den Tod
Was tut man nicht alles für die Liebe! Travis Touchdown jedenfalls, ein Tunichtgut Mitte zwanzig, ist bereit, für sie zu töten. Eine schöne Fremde mit französischem Akzent und dem verheißungsvollen Namen Sylvia Christel hat Travis eines Abends in einer Bar aufgegabelt, als der wieder einmal dabei war, sich sein bedeutungsloses Dasein schön zu saufen. Ihr zweifelhaftes Angebot: Travis soll Mitglied werden in der "United Assassin's Association", kurz: UAA, einer Rangliste der elf gemeingefährlichsten Serienmörder aller Zeiten. Der Preis: Besiegt er alle, die auf dieser Liste stehen, im Zweikampf, wird Sylvia eine Nacht mit ihm verbringen. Dazu kann Travis, der sein Leben vor allem mit Videospielen, dem Anschauen von Wrestlingvideos und Sammeln von Anime-Puppen verbringt, natürlich nicht nein sagen. Ohne zu zögern, tötet er noch in derselben Nacht mit einem im Internet ersteigerten Laserschwert - keine Fragen stellen, das ist einfach so - den Revolverhelden Helter Skelter. Berauscht vom Blut und mit Sylvias Versprechen im Kopf, kann es Travis nach diesem einschneidenden Erlebnis kaum abwarten, auch den übrigen zehn Psychopathen gegenüberzutreten.
All das erfährt der Spieler zu Beginn von "No More Heroes" durch eine im Zeitraffer erzählte Rückblende von nicht mal einer Minute Länge - "weil Gamer so wenig Geduld haben", wie Travis selbst uns augenzwinkernd mitteilt. Keine Frage, der versteht uns. Anstatt den Spieler mit endlosen Filmsequenzen zu Tode zu langweilen, wirft uns Gamedesigner Suda51 in seinem neuesten Werk für Nintendos Wii sofort mitten hinein ins Geschehen. "Punk's not dead" ist das Motto seines Entwicklerstudios Grasshopper Manufacture, und genau so fühlt sich "No More Heroes" auch an - schnell, laut und schrill. Keine Zeit also zum Atemholen, sondern die Wiimote gezückt und auf in den Kampf!
Trash-Samurai trifft Serienkiller
Bevor Travis jedoch an Schauplätzen wie einem Theater, einem Schulgebäude und einem Baseballstadion auf den nächsten, ranghöheren Kontrahenten aus den übrig gebliebenen Top 10 der UAA trifft, muss er sein Leben gegen Wellen von Angreifern verteidigen. Und genau diese wahnwitzigen Scharmüzel machen nicht nur einen Großteil der Spielzeit aus, sondern sind auch dafür veranwortlich, dass "No More Heroes" so viel Spaß bringt. Von allen Seiten kommen ziemlich kaputte Typen - einige von ihnen mit braunen Papiertüten über dem Kopf - auf uns zugerannt und bearbeiten uns mit Katanas, Baseballschlägern und Schaufeln. Auch pädagogisch ist das geschickt, denn so lernt man am schnellsten, die hohe Kunst des Schwertkampfes einzusetzen. Hiebe und Stiche führt man ganz einfach aus, indem man den A-Knopf der Wiimote drückt, oder - um stärkere Treffer zu landen - eine Weile gedrückt hält und im richtigen Augenblick loslässt. Um gegnerische Blockaden zu durchbrechen, ist es zudem wichtig, ständig die Haltung der Wiimote zu beachten. Je nachdem, ob man sie nach oben oder unten richtet, zielt Travis auf andere Körperpartien. Spezielle Combo-Attacken, ausgelöst durch das Schütteln des Nunchuck-Controllers, treffen darüber hinaus gleich mehrere Angreifer. Nur der letzte Schwertstreich, der dem Gegenüber den Rest gibt, wird vor dem Fernseher so ausgeführt, als wäre die Wiimote wirklich der Griff eines Lichtsäbels. Das macht aber nichts, denn die ganze Zeit mit dem Controller herumzufuchteln wäre ohnehin viel zu anstrengend.
Begleitet wird das Kampfgetümmel auf dem Bildschirm durch eine Klangcollage aus dem surrenden Aufeinanderprallen der Klingen und menschlichen Schreien. Dazwischen sind aber auch Geräusche zu hören, die man eigentlich nur in einer Spielhalle erwarten würde: Metallisch prasselnder Geldregen strömt in hohem Bogen aus den besiegten Gegnern in Travis' Taschen. Und ab und an ist ein Tusch zu hören, der signalisiert: Jackpot! Dann verfällt Travis für kurze Zeit in Trance und kann seine Gegner mit todbringenden Spezialattacken zur Hölle schicken, die nach Eisbechern und Käsekuchen benannt sind. Der absolute Wahnsinn.
Hat man alle Helfershelfer besiegt, erhält Travis einen Anruf. Er greift zum Handy, und wir hören die verzerrte Stimme von Sylvia Christel... und zwar aus dem Lautsprecher der Wiimote! Um ihre Schimpftiraden verstehen zu können, halten wir den Controller ganz dicht ans Ohr und wundern uns darüber, wie nah wir eine Figur aus einem Videospiel an uns heranlassen. "Sterben wirst du gleich sowieso", spottet unsere Sylvia, "trotzdem solltest du vorher noch mal aufs Klo gehen."
Wie recht sie hat! Kaum einen der zehn Übergegner wird Travis gleich im ersten Anlauf bezwingen. So unterschiedlich wie ihre Erscheinungen und Motive ausfallen, so vielfältig ist auch ihr Angriffsverhalten. Vom lauthals singenden Dr Peace mit seinen goldenen Revolvern bis zum eingeschnappten Schulmädchen Shinobu, das blitzschnell um Travis herumtänzelt: Bossbattle wird hier groß geschrieben. Schließlich darf es nicht zu leicht sein, Helden vom Thron zu stoßen, wenn der Titel schon "No More Heroes" heißt. Ausdauer ist hier gefragt, und der eiserne Wille weiterzukommen. Wer den nicht hat, kann ja zu Hause bleiben und daddeln.
In den Straßen von Santa Destroy
Die Duelle mit den psychotischen Killern und der Kampf gegen deren Massen von Anhängern sind jedoch nur die A-Seite des Punk-Albums "No More Heroes". Auf der B-Seite finden sich noch ganz andere, nicht weniger interessante Tracks. Denn nach jeder von Travis herbeigesehnten Konfrontation mit einem Mitglied der todessehnsüchtigen Zehn muss er genug Geld an die UAA überweisen, um den nächsten Kontrahenten treffen zu dürfen. Das bedeutet wohl oder übel: arbeiten. Und zwar hart. Rasen mähen, Autos betanken, ausgebüxte Kätzchen einfangen und Minen suchen - Hauptsache, es kommt Geld in die Kasse. Einige dieser Minispiele machen gerade wegen ihrer Stumpfheit eine Menge Spaß. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass Müllsammeln so erfüllend sein kann? Andere hingegen probiert man einmal aus und lässt sie dann lieber. Je nach Geschmack. Alternativ bietet sich Travis im Laufe des Spiels noch die Möglichkeit, sich durch Auftragsmorde ein größeres Zubrot zu verdienen. Den Geschäftsführer der Fast-Food-Kette "Pizza Butt" ausschalten? Wird erledigt. 100 Mitglieder der Yakuza in fünf Minuten kaltmachen? Die Zeit läuft.
Spätestens nach seinem ersten Mord hatte sich Travis' letztes bisschen Restmoral eh in Luft aufgelöst. Zurück in seiner Junggesellenbude sieht sich Travis dann noch schnell eines seiner heiß geliebten Wrestlingvideos an, um sich ein paar Griffe draufzuschaffen. Dann geht er noch mal aufs Klo, wie es Sylvia Christel empfohlen hat - denn, ja, so speichert man in diesem Spiel. Und dann schwingt er sich auf sein Motorrad und macht sich auf den Weg zum nächsten Kampf. Denn er weiß: Der Tod wartet nicht gern.
Das Spiel
Mit "Killer 7" hatte Suda51 vor drei Jahren gezeigt, wie kunstvoll ein Videospiel sein kann, aber auch wie verrätselt und widerspenstig. Mancher war sich gar nicht sicher, ob es sich überhaupt um ein Spiel handelte oder nicht vielleicht eher um eine interaktive Installation, eine Prüfung oder einfach eine grobe Unverschämtheit. Schwierig war "Killer 7" auf jeden Fall. Und die Erwartungen an "No More Heroes" entsprechend durchwachsen: Würde Suda51 den eingeschlagenen Weg weiter gehen und ein noch kurioseres Werk abliefern? Würde "No More Heroes" das Niveau halten können, das mit "Killer 7" vorgelegt wurde? Die Antwort fällt leicht: "No More Heroes" ist vor allem ein zugänglicheres und traditionelleres Game als "Killer 7". So traditionsbewusst sogar, dass es vor Anspielungen an das eigene Medium beinahe zu platzen droht: Oft vernimmt man quakende 8-Bit-Sounds statt aufwendige Soundeffekte, pixelige Menüs und Anzeigen informieren über den Spielstatus, Bildstörungen wie bei einem alten Fernseher treten auf, wenn Travis getroffen wird. Das Prinzip des Spiels, sich von einem Bosskampf zum nächsten vorzukämpfen, ist so oldschool wie nur irgendwas, auch wenn die Charaktere - wie von Suda51 nicht anders zu erwarten - reichlich skurril ausfallen. Zusammengehalten werden diese Passagen wiederum von einer offenen Spielwelt à la "Grand Theft Auto", in der man die Zeit zwischen den Missionen damit verbringen kann, mit seinem Motorrad Kunststücke zu vollführen oder sich auf die Suche nach vergrabenen Schätzen zu begeben.
Gerade diese Abschnitte des Spiels lassen die Handschrift von Suda51 besonders klar erkennen. Santa Destroy ist kein lebendiges San Andreas, sondern eine stilisierte, kalte Welt, in der die Menschen auf der Straße nicht miteinander reden und die Autos unbemannt ihre Runden drehen. Das mag man bemängeln. Man kann aber auch die Interpretation wagen, dass das Absicht ist. Denn wie jedes Kunstwerk ist auch "No More Heroes" ein Zeugnis unserer Zeit. Und in der wachsen immer mehr junge Männer und Frauen heran, die sich in eine Scheinwelt aus Filmen, Büchern und Videospielen zurückziehen, weil sie mit der Welt da draußen nicht mehr klarkommen. "Otakus" nennt man diese Menschen in Japan. Travis ist ein Otaku. Und aus seiner isolierten Sicht, die nur auf die wenigen Dinge gerichtet ist, die ihn interessieren, muss ihm alles andere eben als eine oberflächliche, leere Kulisse erscheinen.
Fazit
"No More Heroes" ist ein überdrehtes Hack'n'Slay-Aben-teuer. Zugleich ist das Spiel aber mit so vielen Verweisen und absurden Details durchzogen, dass es einen oftmals zum Lachen und hin und wieder sogar zum Nachdenken bringt.
Für Freunde von "Grand Theft Auto: San Andreas", "Devil May Cry", "Samurai Warriors: Katana"
Text: Oliver Klatt
Tags:
Action-Adventure,
GEE 36,
Grasshopper Manufacture,
No More Heroes,
Rezension,
Suda51,
Travis Touchdown,
Wii