Im Herzen der Finsternis
2008 ist das ganze Jahr über Ostern für Angsthasen. Mit "Condemned 2", "Dead Space", "Alone In The Dark", "Alan Wake" und "Silent Hill 5" stehen Horrorgames ins Haus, die uns in nie gekanntem Ausmaß das Fürchten lehren. Höchste Zeit also, der Frage nachzugehen, warum wir uns das eigentlich antun
Das Licht meiner Taschenlampe flackert. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, meine Hände halten zitternd eine Eisenstange umklammert. Von irgendwo da unten sind schmatzende Laute zu hören. Wie von einem wilden Tier, das sich über ein Opfer hermacht. Oder von einem Menschen, der dabei ist, seinen Verletzungen zu erliegen. Oder beides. Und das Dumme: Ich muss da runter. Vorsichtig steige ich die Treppe hinab, Stufe um Stufe. Bloß kein Geräusch machen. Kaum Licht, nur eine Glühbirne baumelt von der Decke. Ich versuche in den schweren Schatten des vollgerümpelten Kellerraumes einen Angreifer auszumachen, bevor er - oder es - mich entdeckt. Zu allem Überfluss mischt sich in die Schmatzgeräusche nun auch noch ein elektrisches Zischen und Brummen, das mir zu verstehen gibt: Hier unten gibt es noch mehr, vor dem ich Angst haben sollte.
Endlich bin ich am Fuße der Treppe angekommen. Ich halte kurz inne, hole tief Luft und wage ein paar Schritte nach vorn. Es passiert gar nichts. Ich warte. Ich atme auf. Und dann habe ich keine Chance: Blitzschnell springt eine verkrümmte Gestalt hinter einer Mauer hervor, stößt einen markerschütternden Schrei aus und zerschlägt die Glühbirne mit einer Holzplanke. Um mich herum wird es schwarz. Und ich bin mit den Nerven am Ende.
Mechanismen des Schreckens
Zitternd lege ich den Controller zur Seite. Puh. Das war der blanke Horror. Aber warum eigentlich? Wovor habe ich überhaupt Angst? Wie schafft es ein Computerspiel, mich so tief zu berühren - obwohl ich weiß, dass mir nichts passieren kann? Ich werde jemanden fragen, der sich damit auskennt. Und zwar den Mann, der verantwortlich ist für meine Furcht: Frank Rooke, Lead Designer beim amerikanischen Entwicklerstudio Monolith und der Kopf hinter "Condemned 2", jenem Spiel, das mir gerade diesen Riesenschrecken eingejagt hat. Seine Antwort überrascht: "Für ein wirklich beängstigendes Horrorgame", erklärt er mir, "sind solche Schockmomente, wie du ihn erlebt hast, gar nicht so wichtig." Aber mir ist doch gerade fast das Herz stehen geblieben, weil mich jemand ganz hinterhältig erschreckt hat. "Das mag sein", sagt Frank, "aber solche Effekte nutzen sich schnell ab. Es ist viel wichtiger, dem Spieler das Gefühl zu vermitteln, dass er sich ständig in Gefahr befindet. Selbst wenn er nicht genau weiß, wovor er sich eigentlich fürchtet." Das stimmt natürlich. Angst hatte ich bereits, bevor die Gestalt aus dem Nichts vor mir auftauchte.
Mein Unbehagen bei "Condemned 2" hat drei Quellen, sagt Frank: "Nummer eins: der Schauplatz. Wenn ich den Spieler durch eine dunkle Gasse oder ein Gebäude schicke, das den Eindruck erweckt, jederzeit einstürzen zu können, hat er sofort Stress und Angst." Klar: der modrige Keller, die flackernde Glühlampe, der Müll und die Schatten, in denen ich alles Mögliche zu erkennen glaubte. "Nummer zwei: der Sound. Geräusche gehören zu den wichtigsten Elementen eines Horrorspiels", sagt der Designer. "Spielst du einen Level mit stumm geschaltetem Fernseher, ist er nicht gruselig. Er lässt einen vollkommen kalt. Hörst du hingegen im Spiel ein Atmen von irgendwoher, ohne zu wissen wer oder was da atmet, oder hörst du einige leicht verstimmte Streicher, dann zehrt das sofort an den Nerven." Ich erinnere mich: das Surren, das Gurgeln und die Schmatzgeräusche. Etwas in mir zieht sich zusammen. Und Zutat Nummer drei? "Die dritte Quelle ist das Kampfsystem. Der Nahkampf in "Condemned 2" ist unvorhersehbar, brutal und ganz dicht am Spieler. Schusswaffen und Munition sind im Spiel extrem rar, sodass sich der Spieler mit seinen Fäusten oder herumliegenden Gegenständen wie Eisenstangen und Holzplanken verteidigen muss. Glaube mir", sagt Frank Rooke, "so direkt und körperlich angegriffen zu werden ist auch virtuell eine höchst beängstigende Erfahrung." Das alles kenne ich gut. Schon in "Resident Evil", dem ersten Spiel, das 1996 unter dem Etikett "Survival Horror" erschien, waren die Patronen zum Zombie-Zerplatzenlassen Mangelware. Und im Gegensatz zu jedem durchschnittlichen Shooter, in dem man stets darum bemüht ist, seine Gegner aus größtmöglicher Distanz aufs Korn zu nehmen, rücken einem die ekligen Untoten in einem Horrorspiel immer viel zu dicht auf die Pelle. Das sind also die drei Zutaten meiner Angst.
Schönes Schaudern
Bleibt nur die Frage: Warum grusele ich mich so gerne, wenn es sich so fürchterlich anfühlt? Was finden Menschen so faszinierend daran, sich zu fürchten? "Angst ist ein sehr starkes Gefühl", sagt Frank Rooke, "und wir haben ein ausgeprägtes Bedürfnis, etwas sehr Intensives zu empfinden. Wir sind nicht glücklich, wenn wir immer dasselbe erleben und mehr oder weniger dasselbe fühlen. Wir sehnen uns nach neuen Eindrücken, neuen Erfahrungen. Beängstigende Situationen, von denen wir wissen, dass sie für uns nicht wirklich gefährlich werden, können dieses Bedürfnis befriedigen." Pause. Er grinst: "Im wahren Leben ist es aber natürlich überhaupt nicht angenehm, Angst zu haben."
Wohl wahr. Daheim auf dem Sofa, im Schutz des Wohnzimmers, gibt es jedoch kaum ein Spielerlebnis, das es an Intensität mit einem guten Survival- Horror-Game aufnehmen kann. Obwohl ich weiß, dass ich den Fernseher jederzeit ausknipsen und an die frische Luft gehen kann - aus dem Keller in die Sonne. Das Spiel ist aus, und alle Monster sind verschwunden. Aber wie fühlt sich das an, wenn man zwei Jahre an einem Spiel wie "Condemned 2" arbeitet und tagein, tagaus von verstümmelten Körpern und Monstern umgeben ist? Was macht das mit einem? "Du stumpfst ab", gesteht der Spiel-designer, dann schnellt seine Hand nach vorne: "Aber versteh mich nicht falsch: Reale Gewalt, wie ich sie in den Nachrichtenbildern aus Kriegsgebieten zu sehen bekomme, macht mir immer noch eine Heidenangst. Ich kann nur keinen Horrorfilm mehr ansehen, ohne dabei an etwas anderes zu denken als an die Technik und die Tricks, mit denen da gearbeitet wird." Schön, wenn man Fiktion und Realität so klar auseinanderhalten kann, denke ich mir. Ob die Spieler von "Condemned 2" dazu auch in der Lage seien, frage ich ihn noch. "Davon bin ich fest überzeugt." Das ist seine knappste Antwort.
Angst, made in Japan
Ich bin alleine zu Hause, draußen ist es Nacht. Ich suche aus meiner Sammlung alte Spielstände von "Silent Hill 2" und "Forbidden Siren" heraus. Und fange an zu spielen. Immer wieder erkenne ich die Quellen des Grusels, aber immer mehr merke ich auch: Ich bin noch nicht auf dem Grund meiner Fragen angelangt, ich muss tiefer bohren. Warum, zum Beispiel, kommen eigentlich so viele der besten Horrorspiele aus Japan? Auch Frank Rooke inspirieren am meisten die Spiele der "Resident Evil"-, "Project Zero"- und "Silent Hill"-Reihen. Alles japanische Titel. Es hilft nichts: Ich muss mich erneut an einen Spezialisten wenden.
Diesmal frage ich Chris Pruett. Der Kalifornier ist studierter Japanologe und hat schon mehrere Artikel und Abhandlungen zum Thema "Survival Horror" veröffentlicht. Der müsste mir helfen können. Also los. "Japaner lieben Spukgeschichten. Denn viele von ihnen glauben, dass es mehr gibt auf der Welt, als wir mit den Augen sehen können", sagt Chris Pruett, "das liegt an der Religion. Diesseits und Jenseits sind nicht so stark voneinander getrennt wie im christlich geprägten Westen." Und was hat das mit Horror zu tun? "Ganz einfach," sagt Chris, "wer so denkt, glaubt auch an die Möglichkeit, dass zum Beispiel ein Fluch aus dem Jenseits in unsere Welt hineinwirkt. Dass Gefühle auch dann noch unser Leben beeinflussen, wenn die Person, die diese Gefühle hegte, lange tot ist." Hervorragender Stoff also für Gänsehaut. Gibt es noch mehr Unterschiede zwischen West und Fernost? "In westlichen Erzählungen müssen die Bösen immer zur Hölle geschickt werden und die Guten triumphieren," erklärt Chris, "das ist in japanischen Legenden nicht zwangsläufig der Fall. Akira Yamaoka, der Produzent der 'Silent Hill'-Spiele, sagt, dass japanische Horrorgeschichten so traurig und beunruhigend seien, weil sie uns dazu bringen, Mitleid mit dem Bösen zu empfinden." Das verstehe ich sofort und sehe mich in der Geisterstadt von "Silent Hill" auf der Straße stehen. Verrenkte Kreaturen greifen mich an, aber sie können nichts dafür. Ich bringe sie um, aber ich fühle mich schuldig. Ich nehme Anteil an ihren Schmerzen und fühle mich ganz und gar nicht wohl in meiner eigenen Haut. Die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt.
"Eins noch", sagt Chris und wird ernst: "Einen großen Einfluss auf die japanische Psyche hatten natürlich die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Der Thema des Überlebens angesichts totaler Zerstörung ist in der Populärkultur allgegenwärtig. Du findest es in den Godzilla-Filmen, in Manga-Comics wie ,Akira' und in Zeichentrickfilmen wie ,Prinzessin Mononoke'." Und eben auch in den zerstörten Städten und mutierten Gestalten des Survival- Horrors. Die Endzeitvision der "Resident Evil"-Spiele mit ihren Massen an Zombies, denen die Haut vom Leib fällt: offenbar ein wichtiger Teil der Verarbeitung des Schreckens von 1945.
Es ist nur ein Spiel! Es ist nur ein Spiel!
Letzte Frage: "The Ring", "The Grudge": Beides gute, japanische Gruselfilme. Aber wie kommt es, dass mich ein Horrorspiel viel mehr gefangen nimmt als ein Film? "Abgesehen davon, dass du im Spiel ja als Person im Mittelpunkt stehst und nicht nur mit jemandem auf der Leinwand mitfieberst, funktionieren Film und Spiel anders: Während sich ein Horrorfilm von Höhepunkt zu Höhepunkt hangelt, nach jedem Schockmoment aber wie-der abfällt, kann ein Spiel diese Höhepunkte viel länger aufrecht erhalten." Das ist wahr: Ich habe manchmal Stunden dafür gebraucht, ein Spuk- haus in "Project Zero" oder ein heimgesuchtes Hotel in "Silent Hill" zu durchsuchen. Und entspannen konnte ich mich dabei nie. Die Angst war mein ständiger Begleiter.
"Am meisten beeindruckt mich an Horrorspielen, dass sie mit der ausdrücklichen Vorgabe entwickelt werden, ein ganz bestimmtes Gefühl beim Spieler zu erzeugen", sagt Chris Pruett: "Alles an einem Survival Horror Game - von der Grafik über die Story bis zum Leveldesign - ist darauf ausgerichtet, Angst zu erzeugen und zu erhalten." Aber andere Spiele lassen einen doch auch nicht kalt, oder? "Das nicht. Viele Spiele geben dir das Gefühl, stark und mächtig zu sein. Sie lassen dich Freude darüber empfinden, etwas Außergewöhnliches geschafft zu haben. Horrorspiele aber versuchen sich an einem viel komplexeren, tieferen Gefühl", sagt Chris, "sie stellen uns selbst und unsere scheinbar sichere Position an der Spitze der Nahrungspyramide infrage." Selbstzweifel also statt Belohnung durchs Spiel, Existenzangst und Verletzbarkeit statt sportlichem Triumph? "Richtig," sagt Chris, "Horrorspiele zeigen, dass Games auch andere Emotionen als Ehrgeiz und Siegesfreude erzeugen können. Sie legen die Grundlage für dramatische und bedeutungsstarke Spiele, die über das Horrorgenre hinausgehen."
Der Horror von morgen
Da kommt ja noch einiges auf uns zu. Wie aber sieht der Japanologe die Zukunft des Horrorspiels? Jetzt, wo die einflussreichen Titel aus Japan zunehmend durch Action-orientierte amerikanische Games wie "Condemned 2" und "Dead Space" Konkurrenz bekommen? Frank Rooke hatte mir bereits vorgeschwärmt, dass es dank neuester Technologien bald möglich sein werde, Schmutz darzustellen, der sich dynamisch verändert, und Kakerlaken, die ihrer eigenen künstlichen Intelligenz folgend die Wände hochkrabbeln - alles verfeinerte Methoden, mich noch effektiver gruseln zu können. "Für mich liegt die Zukunft des Horror-Games in der Wii-Konsole von Nintendo", sagt Chris Pruett. "Ihre Controller sind wie geschaffen für Survival-Horror-Games. Du könntest die Wiimote beispielsweise als Taschenlampe einsetzen. Außerdem ist die Wii für viel mehr Käufer interessant als nur für den klassischen Hardcoregamer. Und Horror war immer schon ein Phänomen, das auch Frauen sehr stark angesprochen hat."
Das Genre ist also nicht tot zu kriegen. Wir dürfen gespannt sein, was in der Zukunft des Horrorspiels noch auf uns lauern wird. Denn ganz gleich, ob wir mit blutrünstigen Monstern kämpfen oder uns in einer melancholischen Geistergeschichte mit fernöstlichem Einschlag verlieren wollen: Es sieht verdammt gut aus für Menschen wie mich, die Lust haben an der eigenen Angst. Und jetzt: Licht aus, Taschenlampe an.
Text: Oliver Klatt
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Das Gefühl, im Hotel von Silent Hill 2 stundenlang nach den verdammten Spieluhren zu suchen, prägt einen als Spieler und als Mensch. Dieser tiefgehende Schrecken, der sich nie zu entladen scheint, ist in Horrorspielen und Filmen aus dem Westen nie spürbar. Die Leute, die sagen Dead Space wäre unheimlich, haben sich scheinbar noch nie auf die Suche nach den Spieluhren begeben. Die Glücklichen…