Gran Turismo 5 Prologue
Knallharter Realismus, wundervoll gestaltete Wagen, jedes Rennen eine Herausforderung: So wurde "Gran Tursimo" zum besten Autorennspiel der Welt. Jetzt erscheint der neue Teil der Serie – und zum ersten Mal können Fahrer aus aller Welt online gegeneinander antreten. Eine Liebeserklärung
Es regnet schon den ganzen Morgen unerbittlich. Der dreckige Asphalt schimmert feucht. Ein trüber Tag, die Hauptstadt entblößt ihre hässlichste Seite. Ich stehe vom Sofa auf, öffne das Fenster. Vierzehn Autos warten an der Ampel. Vorne ein roter Kadett Kombi. Der Fahrer ist ungeduldig, will weiter. Der Motor jault im Leerlauf. Rotphasen können ewig dauern. Schnell die Fenster zu, die Vorhänge auch. Zurück aufs Sofa. Weiter auf den HD-Fernseher starren. Auf den grauen Balken auf grauem Hintergrund, der sich nur langsam seinem Ziel entgegenbewegt. Die Playstation 3 kopiert gerade "Gran Turismo 5 Prologue" auf ihre Festplatte. Eine kleine Unendlichkeit. Nervös spiele ich mit dem Controller herum, als wäre es ein Schalthebel. Ich sitze an meiner ganz eigenen Ampel, zehnminütige Grauphase inklusive. Da muss schon echt was kommen, damit ich die ewige Wartezeit vergesse. Dann endlich fertig. Nur noch ein Knopfdruck, und der Regen vor der Haustür verblasst binnen Sekunden gegen die strahlende Schönheit des virtuellem Blechs: Mercedes-Benz, TVR, Subaru, Lotus, BMW, Audi, kein Porsche - aber endlich: Ferrari! Das Spiel beginnt mit einer Liebeserklärung an den Motorsport. Ein klassisches Intro, in seiner Qualität einem guten James-Bond-Filmvorspann ähnlich. Der Prolog für "GT 5 Prologue". Das Spiel ist der grelle Zündfunke für das frühestens Ende des Jahres erscheinende "Gran Turismo 5". Es wurde Zeit. Mehr als drei Jahre und 320000 Arbeitstunden haben Chefentwickler Kazunori Yamauchi und 120 Mitarbeiter bei Polyphony Digital investiert. Und bereits die ersten Minuten zeigen das Ergebnis ihrer Kompromisslosigkeit an einem Detail: der Leichtigkeit, mit der sich das Menü fast von selbst bedient. Mit "GT 5 Prologue" zu beginnen, ist wie sich in einen Mercedes zu setzen. Alles ist am richtigen Platz. Alles ruft mir zu: Hier bist du willkommen, hier ist dein Zuhause. Warum das so ist? Ich weiß nicht, es ist einfach so. Das Zuhause in "GT 5 Prologue" hat einen Namen: "My Page", das Startmenü. Organisiert wie ein Desktop, in dessen Zentrum der gerade ausgewählte Wagen steht, umschmeichelt von einer endlosen Fetisch- Kamerafahrt, vor dem fotorealistischen Hintergrund einer deutschen Kleinstadt oder mitten im Wald. Umrahmt wird er von einem Kalender, einem Wetterbericht, einer Uhr und der eigentlichen Navigation. Drei Menüpunkte sind ebenso neu wie verheißungsvoll: News, GT-TV und Online. Das Menü gibt sich als klassische Schönheit: aufgeräumt, edel und klar strukturiert, wie es nur Japaner und Skandinavier designen können. Wie die exzellente Hintergrundmusik unaufdringlich zu diesem positiven Eindruck beiträgt, fällt kaum auf. Nun aber schnell auf die Strecke! Das spärliche Startgeld reicht wie immer nur für untere Mittelklasse. Ich investiere patriotisch in einen 2001er Golf GTI, Farbe Stormbeige Metallic. Nach dem Kauf rollt er mir bullig entgegen und schaut mich an, als wollte er sagen: "Komm, uns beiden gehört die Welt!" Dann ein rollender Start. Genug Zeit, in die Cockpit-Perspektive zu wechseln, denn die lässt die anderen Ansichten um Längen hinter sich. Beide Hände halten das Lenkrad umklammert. Der Tacho zieht zügig auf 190 Stundenkilometer, als ich auf die erste Kurve des Fuji Speedway zurase. Eine Rechtskurve, ziemlich scharf. Der GTI röchelt im vierten Gang. Ich trete auf die Bremse, schalte zwei Gänge runter und ziehe innen am Vordermann vorbei. Yeah, endlich wieder "Gran Turismo"! Endlich wieder am Limit im besten Rennspiel der Welt. Warum es das beste ist? Ein Erklärungsversuch: "GT 5 Prologue" ist ein Videospiel mit unglaublich viel Seele. Mit jedem Streckenkilometer in jedem der über 70 Fahrzeuge ist die Hochachtung der Programmierer und 3D-Designer spürbar vor der Leistung der Entwickler jener Produkte, die sie virtuell simulieren. Schon bei "Gran Turismo 4" waren alle Streckenabmessungen bis auf 15 Millimeter genau übertragen worden. Jetzt sind es zehn Millimeter, behauptet Kazunori Yamauchi. Nachprüfen kann das keiner, aber ich wette, es stimmt. Denn das illustriert das Credo von Polyphony Digital: Realismus trifft Schönheit. Die Sehnsucht nach mathematischer Präzision, nach der perfekten Simulation von Fahreigenschaften und nach möglichst detailgetreuen Strecken. Und das, ohne den Blick für das Design zu verlieren. Für die Schönheit eines Audi R8, die mit dem richtigen Licht und den richtigen Kamerafahrten noch etwas herauspoliert werden kann. Das ist ein intensiver Schaffensprozess für Kazunori Yamauchi und seine Mitarbeiter. Der 40-jährige Chefentwickler ist ein Getriebener, ein Motorsportfan. "Ich bin sehr involviert, bis hin zu den Details", sagt er, "noch heute kümmere ich mich um das Design des Spielsystems, habe meine Finger bei der Fahrphysik im Spiel, beim Interface-Design, bei den Entwicklungsmethoden, bei der Qualität der Autos und Strecken." Yamauchi ist Perfektionist. Kein Wunder, dass wieder einmal mehr als drei Jahre vergangen sind bis zu "GT 5 Prologue". Kein Wunder, dass Kazunori Yamauchi seit 1992 nur Rennspiele entwickelt hat. "GT 5 Prologue" zelebriert, was es kann und was es gelernt hat: Heute zeigt der Rückspiegel, was bei "Gran Turismo 4" noch State of the Art war. 2008 ist das Jahr der plastischen Autos. Sie haben Tiefe und Form, die Umgebung spiegelt sich in ihnen, immer wieder und wieder Echtzeitreflektionen auf Hochglanzlack. Man will die Geschosse anstupsen und sie fragen: Bist du wirklich nur eine Simulation? Diese hohe optische Qualität ist sicher das wesentliche Abgrenzungsmerkmal zur Konkurrenz. Das täuschend Echte. Dabei sind zum Beispiel die Bäume im Hintergrund der Strecke gar nicht extrem aufwendig animiert. Ihre Blätter bewegen sich nicht im Wind. Vieles wirkt im Stillstand und aus der Nähe betrachtet sogar hölzern, eher wie eine Attrappe. Aber wer steht bei Rennspielen schon in der Gegend herum? Sobald das Auto losfährt, erzeugen die eben noch hölzern wirkenden Kulissen kombiniert mit dem fotorealistischen Hintergrund eine Umgebungs- und Weitsicht, die sehr, sehr nah an die reale Wahrnehmung herankommt. Die Illusion ist mehr als die Summe ihrer Teile. Unterstützt wird das auf beängstigende Art und Weise durch das Fahrverhalten. Auch hier macht das kaum Greifbare den Unterschied. Der GTI fühlt sich einfach an, wie ein GTI sich anfühlt. Die Beschleunigung, das Bremsen, die Geräuschkulisse, der Grenzbereich, die Fliehkräfte - all das ist, wie es ist. Realitäten präzise nachzubilden ist eine Sache. Eigene Realitäten zu erschaffen die andere. "GT 5 Prologue" versucht das - und zwar online. Der ewig herbeigesehnte Onlinemodus verbindet endlich bis zu 16 Spieler miteinander. Rennen sind in Events organisiert, häufig zeitlich begrenzt und nur mit bestimmten Autos und Voreinstellungen (Getriebeart, Simula-tionsgrad, Bremshilfe, Stabilitätsmanagement, Traktionskontrolle und Reifentyp) fahrbar. Diese wenigen Grundeinstellungen verändern das Spiel-erlebnis gewaltig. Es gibt zwei Simulationsstufen, Standard und Pro-fes-sio-nal. Online werden ihre Auswirkungen dramatisch deutlich, denn professionell meint professionell. Das ist die echte Simulation. Der Grund, warum sich so viele Menschen eine Playstation 2 und "Gran Turismo 4" gekauft haben. Nur um den Nürburgring trainieren zu können, ohne wie die Profis jedes Wochenende einen Satz Reifen oder Schlimmeres zu verblasen. Denn jeder Fehler wird hart bestraft, und man fährt schneller hinterher, als man beschleunigen kann. Apropos Bestrafung: Wer online wie offline allzu hart drängelt oder auffährt, die Streckenführung kreativ auslegt oder gar beherzt abkürzt, bekommt die Flagge gezeigt - und wird einige Sekunden ausgebremst, je nach Härte des Regelverstoßes. Eine disziplinarische Maßnahme, die dem Spielspaß nicht schadet. Im Gegenteil: Dadurch gewinnt nur, wer gut und gleichzeitig sauber fährt. Der Onlinemodus ist bei "GT 5 Prologue" ein ganzes Universum für Motorsportfreunde. Neben den Rennen und einem umfassenden Rankingsystem für den Time-Trial-Modus werden andere Elemente unsere Wahrnehmung von Videospielen insgesamt verändern. "GT-TV" zum Beispiel ist ein im Spiel integrierter Fernsehsender, dessen Inhalte man selbst herunterlädt oder die via Online-Update automatisch eingespielt werden: Filme in HD-Qualität, hochwertige Unterhaltung rund um den Motorsport. Alles ist hier denkbar, vieles wird bereits umgesetzt: Kazunori Yamauchi fachsimpelt mit Mitsubishi-Ingenieuren über den neuen Lancer. Ein dreiteiliges, von Polyphony produziertes Feature über den Nissan GT-R. Mittelfristig kommen 40 Folgen der legendären BBC-Autosendung "Top Gear" hinzu. Das ist Berieselung auf hohem Niveau, passgenau auf die Zielgruppe zugeschnitten. Dazu kommen die selbst verwalteten Online-Autohäuser. In "GT 5 Prologue" und vor allem später in "Gran Turismo 5" soll jener Ort den Markenherstellern geöffnet werden, an dem die Spieler Fahrzeuge anschauen und kaufen. Ferrari & Co werden dem Spiel selbst Inhalte hinzufügen dürfen. Was ganz genau das heißen wird, ist noch Spekulation. "Wir verweben die reale und die virtuelle Welt", orakelt Kazunori Yamauchi, der damit die Tür für Werbung in Videospielen so weit aufstößt wie niemand vor ihm. "GT"-Puristen werden dies als Schnickschnack wohlwollend zur Kenntnis nehmen und sich derweil fragen, ob ihr altes PS2-Lenkrad auch die HD-Flitzer auf der PS3 steuert. Ziemlich wahrscheinlich, denn die gängigen Modelle werden unterstützt, wobei es natürlich bereits Nachschub gibt (siehe Kasten). Denn eins wird sich natürlich niemals ändern: Auch "GT 5 Prologue" kommt erst mit dem richtigen Lenkrad richtig in Fahrt. Kazunori Yamauchi gilt als stilsicherer Purist. Er liebt und lebt schnelle Autos. Ob deswegen Kollisionen noch immer keine sichtbaren Folgen haben? Vielleicht will der Chefentwickler seinen Babys einfach keine Kratzer zumuten? Ein wenig enttäuschend ist das fehlende Schadensmodell schon. Doch er arbeitet daran, genau wie an wechselndem Wetter und Tageszeiten. Das alles soll entweder als Update eingespielt oder erst in das komplette "Gran Turismo 5" integriert werden. Das größte Problem bleiben auch für die Entwickler die Unfälle. Denn Unfälle bedeuten zerrissene Schönheit: Die Schäden an Fahrzeugen physikalisch korrekt abzubilden und errechnen zu lassen ist eine ausgesprochen komplexe Aufgabe. Besonders wenn man das hohe Anspruchsdenken eines Kazunori Yamauchi einrechnet. Alleine für die Umsetzung eines unbeschädigten Automodells werden Tausende Fotos geschossen und zahllose Datenblätter der Hersteller analysiert. Doch es gibt zum Beispiel kein Fotomaterial zu den auftretenden Verformungen bei einem Rennunfall mit einem Ferrari 599. Dennoch gilt ein funktionierendes Schadensmodell immer noch als der größte Traum von Kazunori Yamauchi. Er wird ihn sicher irgendwie verwirklichen. Zehn Jahre Entwicklungszeit hat er mittlerweile auf dem Tacho. Und wie lächerlich sind dagegen zehn Minuten Wartezeit für das Kopieren von Spieldaten am Anfang? Ich schäme mich. Verzeihung und Verbeugung, Kazunorisan.