Recht freundlich
Es gibt keine Videospielgesetze in Deutschland – Games werden behandelt wie andere Medien auch. Weil die Branche aber durchaus ihre Eigenheiten hat, sind die Rechtsanwälte von Rode & Mathé für manches Spiel die letzte Rettung
Lara Croft schaut Stephan Mathé beim Arbeiten gleich zwei Mal über die Schulter. Sie hängt neben ihm als Kunstdruck, und aus der Ecke des Büros blickt sie noch einmal herüber als Figur in Lebensgröße. Neben Mathés Flachbildschirm steht eine Wii, drei "Guitar Hero"-Gitarren lehnen an der Wand, daneben die Plastikgitarren zum Spiel "Guitar Freaks" von Konami, das in Deutschland nie erschienen ist. Auf dem Schreibtisch steht die Actionfigur einer Justitia, der Göttin der Gerechtigkeit und des Rechtswesens. Das zumindest verwundert nicht. Denn Stephan Mathé ist Anwalt. Sein Spezialgebiet: Videospiele.
"Und das alles nur, weil ich als Student bei Eidos einen Job als Beta-Tester bekommen habe", erzählt der 34-Jährige. "So hat alles angefangen." PC- und Playstation-Spiele hat er damals durchgespielt und notiert, was nicht funktioniert. Daraus wurde schnell mehr, und irgendwann war er plötzlich Produktmanager und betreute Spiele wie "Commandos 2", "Startopia" und "F1 World Grand Prix". Mehr als das: Er lebte sie vor.
Giga-Moderator Etienne Gardé erinnert sich noch gut daran, wie Mathé ihm "Commandos 2" präsentierte: "Er ist im Militär-Outfit im Studio erschienen, mit zwei sehr leicht bekleideten Mädchen und einem fetten Grinsen." "Das war eine tolle Zeit", sagt Mathé, "die Branche war noch so jung." Sogar als Fotomodell hat er sich damals versucht. Auf dem Werbemotiv für "Commandos 2" sind er und ein Model zu sehen - oder genauer: kaum zu erahnen. Beide sitzen mit Tarnfarbe bemalt in einem mit Tarnfarbe bemalten Zimmer. Das Bild hängt heute in seinem Büro in Hamburg. Dass aus dem Spielefreak ein Anwalt geworden ist, wundert Giga-Moderator Gardé nicht: "Er konnte schon damals gut reden und hat die ärgerlichen Ladezeiten des Spiels mit 'wenn man gut spielt, kommen die nur einmal' schöngefärbt. Da sehe ich Parallelen zwischen Anwälten und Produktmanagern." Es scheint Stephan Mathé nicht schwer gefallen zu sein, sich gegen die Spielebranche zu entscheiden.
Nach einem kurzen Intermezzo als Jurist bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gründet er 2003 mit seinem Schulkameraden Tibor Rode die Wirtschafts- und Medienkanzlei Rode & Mathé. Rodes Klassenlehrer Rudolf Heitsch sind die beiden schon in der Schule als "schnell und ehrgeizig" aufgefallen. "Der Anwaltsberuf ist ihnen auf den Leib geschneidert", sagt er heute und erinnert an ihre hervorragenden Schulabschlüsse und vor allem "an die exzellente Rede von Tibor Rode bei der Abitur-Zeugnisvergabe." "Richtig Freunde wurden Stephan und ich aber erst", sagt Rode, "als wir während des Jurastudiums zur selben Zeit in einen Golfclub eintraten und danach immer häufiger den Vorlesungssaal gegen das Green eintauschten."
Heute übernimmt der 33-Jährige Rode in der gemeinsamen Kanzlei im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel die vermeintlich trockenere Seite des Geschäfts: "Ich mache Handels- und Gesellschaftsrecht und alles IT-Recht, das nicht mit Computerspielen zu tun hat", sagt er, "es ist faszinierend, an großen Unternehmungen mitzuwirken, die Dinge zusammenzuhalten und Mandanten in schwierigen Situationen zu helfen." Fälle, bei denen Games-Fachwissen und aktives Spielen gefragt sind, überlässt er stets seinem Kompagnon. "Ich würde nicht behaupten, dass ich ein Gamer bin", beschreibt er sich. "So wie ich ab und zu ins Kino gehe oder eine DVD anschaue, spiele ich auch ab und zu ein Videospiel. Auch wenn ich rechtlich vermutlich immer noch mehr über Games weiß als der durchschnittliche Rechtsanwalt, halte ich mich zurück." Damit sind die beiden nicht nur gut im Geschäft, sondern auch wei-terhin gut befreundet: "Wir arbeiten seit mehr als vier Jahren zusammen, gehen abends mal einen trinken, er ist der Patenonkel meiner Tochter, ich war sein Trauzeuge, und ab und zu nennen wir den anderen mal Arschloch", sagt Tibor Rode: "Halt so 'ne typische Männerfreundschaft."
Gesetz und Lücke
Wofür aber braucht es eigentlich einen Games-Anwalt? "Meistens geht es um Verträge zwischen Publisher und Entwickler", erklärt Stephan Mathé, "in denen wird genau geregelt, wie so eine Partnerschaft abläuft. Entwickler wollen möglichst viel Spielraum und sich nicht reinreden lassen. Und Publisher wollen möglichst viel Mitspracherecht und außerdem zeitig alles so geliefert bekommen, wie es in ihre Marketingkam-pagne passt." Je nach Auftraggeber versucht er dann das Optimum herauszuschlagen und dabei seine Qualitäten auszuspielen: "Im Grunde sind das ganz normale Verträge wie in anderen Medienbereichen auch", sagt Mathé, "aber wenn darin von 'Goldmasters', 'Releasedaten' und 'Patches' die Rede ist, ist es natürlich gut, wenn da jemand sitzt, der weiß, was das ist."
Auch wenn jemand Bilder von Videospielfiguren unerlaubt benutzt, zum Beispiel für Werbezwecke oder um sie auf T-Shirts oder Mousepads zu drucken, wird Mathé mit Abmahnungen und Klagen aktiv. "Videospielhelden sind Marken, die über viele Jahre mit viel Geld aufgebaut wurden. Warum sollte jemand anderes damit Geld verdienen?", fragt er rhetorisch. "Die Firmen verstehen da jedenfalls oft überhaupt keinen Spaß." So musste er kürzlich eine Verfügung gegen einen Karussellbesitzer erwirken: "Der hatte auf sein Fahrgeschäft Bilder von drei Videospielfiguren als Verzierung aufgemalt und sich keine Gedanken gemacht, ob er dafür eine Lizenz braucht. Da das jedoch eindeutig eine gewerbliche Nutzung war, musste er die Bilder entfernen." Wenn möglich, regelt Stephan Mathé Probleme aber gerne unbürokratisch: "Wir hatten einen Mandanten, der wurde in einem Videospielmagazin falsch zitiert und wollte dagegen gerichtlich vorgehen. Da ich den Chefredakteur der Zeitschrift kannte, konnte ich das mit einem Anruf regeln."
Manchmal nutzt er auch Gesetzeslücken aus. So ist es möglich, ein Spiel in den Handel zu bringen, ohne es vorher von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) prüfen zu lassen. "Dann wird es behandelt wie ein Titel ohne Jugendfreigabe, steht wenigstens vier Wochen im Laden und kann frei verkauft werden, bevor es womöglich indiziert wird", erklärt Mathé. Hätte das Spiel nach einer Prüfung durch die USK keine Altersfreigabe bekommen, würde die Bundesprüfstelle womöglich direkt indizieren. "Diese Lücke könnte man gerne schließen, denn im Zweifel bin auch ich für klare Regelungen und finde die strengen Gesetze in Deutschland nicht schlecht." Als Anwalt sieht er sich darüber hinaus auch in einer moralischen Verantwortung: "Ein Nazispiel würde ich nie verteidigen oder Games, in denen harte Pornografie vorkommt. Das mach ich nicht, egal wie viel Geld dafür geboten wird."
Wer sich allerdings vorstellt, dass Stephan Mathé im Gerichtssaal laut "Einspruch" ruft wie Phoenix Wright im gleichnamigen Spiel, der irrt. Auch mit Gerichtsserien aus dem Fernsehen hat der Alltag eines Games-Anwalts nicht viel gemein. Die meiste Zeit sitzt Mathé am Schreibtisch und regelt "Papierkram" per Telefon, Internet und E-Mail - "Jura ist nun mal hauptsächlich eine extrem langweilige Angelegenheit", scherzt er.
Anwalt und Spieler
So oft es geht, tauscht Mathé deshalb den Platz am Schreibtisch gegen den vor der Spielkonsole: "Das ist immer lustig", meint Tibor Rode, "wenn ich mit Mandanten zusammensitze und Stephan nebenan den neuesten Egoshooter durchspielen muss. Die Geräusche aus seinem Büro muss ich dann schon erklären." Weg vom Aktenschrank geht es für Mathé auch, wenn er Firmen bei der USK vertritt. Zum Beispiel bei "Jackass - The Game", das von der USK keine Alterskennzeichnung bekommen sollte. Der Publisher ging in Berufung und fiel durch. Erst nach dem Engagement von Rode & Mathé bekam das Spiel doch noch eine Wertung zugesprochen. "Dabei geht es vor allem darum, die guten Seiten des Spiels herauszustellen", erklärt Stephan Mathé.
Von solchen Erfolgen beflügelt, wünscht er sich nun, dass in Deutschland wieder einmal jemand gegen eine Indizierung vorgehen würde. Das gab es bisher nur selten, zuletzt bei "Command & Conquer: Generals". "Die Bundesprüfstelle macht ordentliche Arbeit und fällt objektive Urteile. Aber dabei können Fehler passieren, das sind ja auch nur Menschen", sagt Mathé und ärgert sich: "Wenn einer angeklagt wird, weil er eine rote Ampel überfahren haben soll, geht er bis zum obersten Verwaltungsgericht - aber eine Indizierung wird von den Firmen einfach hingenommen." Damit es gar nicht so weit kommt, wird der Spieleanwalt oft bereits viel früher zu Rate gezogen:Noch während der Entwicklungsphase bekommt er Vorabversionen von Spielen und überprüft sie auf kritische Inhalte, leitet eine Prognose für das USK-Rating ab und urteilt, ob es "sinnvoll oder idiotisch" ist, das Spiel in Deutschland rauszubringen. Falls nötig und möglich, schlägt er Änderungen vor, "denn durch kleine Justierungen kann man den Gesamteindruck schon erheblich ändern". Mal verzichtet der Hersteller auf sein Anraten hin auf physikalisch korrekt berechnete Bewegungen von Leichen, auf überflüssiges Blut oder vulgäre Texte. "Dadurch erreicht man unter Umständen ein 16er-Rating statt des 18ers oder entgeht zumindest der Indizierung." Die Entwickler sind solchen Vorschlägen gegenüber inzwischen recht aufgeschlossen. Sie wollen auf dem deutschen Markt veröffentlichen und akzeptieren, dass es dafür spezielle Regeln gibt. "Davon haben am Ende alle was", meint der Anwalt: "Der Publisher kann mehr verkaufen, der Entwickler kriegt mehr Geld, und der Markt bekommt ein Spiel, das keine Jugendgefährdung darstellt."
Stephan Mathé selbst ist zwar aus dem Alter heraus, in dem er noch durch Videospiele in seiner Entwicklung zu beeinträchtigen wäre - aber beeindrucken lässt er sich immer noch gerne. "Ich bin zwar kein Hardcore-Gamer mehr", sagt er von sich selbst - aber immer noch spielt er heute schon mal gerne "Virtua Tennis", bis ihm die Daumen weh tun, er nimmt die PSP mit in die Badewanne und setzt sich gerne morgens vor der Arbeit noch kurz an den PC, um Aufbau-Strategiespiele wie die "Total War"-Serie oder den Egoshooter "Counter-Strike" zu zocken. Gänzlich ohne berufliches Interesse. "Es ist einfach die beste Beschäftigung der Welt, während meine Frau eine Stunde lang das Bad belegt."
Games vor Gericht
Lady Miss Kier gegen Sega
Die Sängerin der Gruppe Deee-Lite sah durch die Figur Ulala aus dem Spiel "Space Channel 5" ihre Persönlichkeitsrechte verletzt und zog vor Gericht. Die Designer des Spiels konnten glaubhaft machen, das sie weder Deee-Lite noch Lady Miss Kier kannten, als sie den Charakter entwarfen. Die Klage wurde abgewiesen, und Lady Kier musste auch noch Segas Anwaltskosten zahlen. Immerhin mehr als 400000 Euro.
Electronic Arts gegen die Bundesprüfstelle
Die Indizierung von "Command & Conquer: Generals" wollte EA nicht akzeptieren und klagte dagegen vor dem Kölner Verwaltungsgericht. Noch während die Klage lief, wurde mit "Command & Conquer: Generäle" eine entschärfte Version veröffentlicht, in der es weder Selbstmordattentäter noch Zivilisten gab und statt Menschen Cyborgs in den Krieg geschickt werden. Die Klage war erfolglos, das Original ist bis heute indiziert.
Oliver Kahn gegen Electronic Arts
Der Torhüter der Bayern klagte, weil sein Konterfei und Name im Spiel "Fifa Fußballweltmeisterschaft 2002" verwendet wurden. EA berief sich darauf, die Rechte dafür über eine Lizenz der FIFPro erworben zu haben. Oliver Kahn bekam Recht, diese Version des Spiels durfte nicht weiter verbreitet werden.
Text: Moses Grohé, Fotos: Benne Ochs
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