"Ich bin Romantiker"
Vom Gildenchef in "Everquest" zum Chefdesigner bei Blizzard Entertainment: Jeff Kaplan hat eine Karriere hingelegt, von der wohl viele Spieler träumen. Seit sechs Jahren gestaltet der 35-Jährige maßgeblich die Welt von "World Of Warcraft". Trotzdem spielt er schlechter als seine Frau
Fast zehn Millionen Menschen spielen und lieben ihr Online-Rollenspiel "World Of Warcraft", ihr Arbeitgeber Blizzard Entertainment verdient Milliarden Dollar damit. Bei so viel Erfolg und Zuspruch: Was war für Sie der bisherige Höhepunkt Ihrer Karriere? Die Begegnung mit Ezra Chatterton. Er ist zehn Jahre alt und hat einen Gehirntumor. Wir haben uns kennen gelernt durch die "Make-A-Wish"-Foundation, die todkranken Kindern einen Wunsch erfüllt. Die meisten möchten einen berühmten Sportler kennen lernen oder einen Filmstar - aber Ezra wollte mit uns zusammen Inhalte für die Welt von "World Of Warcraft" erfinden. Wie war es, ihn zu treffen? Ezra ist ein sehr kreatives Kind. Er hatte genaue Vorstellungen und brachte jede Menge Notizen und Zeichnungen mit. Wir haben mit ihm zusammen einen Tauren-Charakter entwickelt, der eine Aufgabe an Spieler vergibt. Auch den Bogen, den die Spieler als Belohnung für die erfüllte Quest bekommen, hat Ezra selbst entworfen. Und er hat dem Tauren seine Stimme gegeben. Wir haben sie im Studio aufgenommen. Ich werde nie vergessen, dass Ezra Chatterton einen Tag lang unser Boss war. Und mich hat das sehr glücklich gemacht. Wann bekommt man schon die Chance, einem anderen Menschen seinen größten Traum zu erfüllen? Sie selbst müssten ein überaus glücklicher Mensch sein. Glück bedeutet für mich, in der Gegenwart zu leben. Den Moment auszukosten. Und Beziehungen. Ich brauche meine Freunde und meine Familie um mich herum. Die Menschen, die mir nahe stehen, kommen immer an erster Stelle. Meine Frau und ich brauchen nicht viel, wir legen nicht sehr viel Wert auf Dekoration. Manche der Zimmer in unserem Haus sind immer noch leer, obwohl wir vor einer ganzen Weile eingezogen sind. Zum Glück spielt sie auch "World Of Warcraft" und hat großes Verständnis für meinen Job. Und sie spielt sogar besser als ich. Sind Sie auch im Spiel ein Ehepaar? In "WoW" heiraten? Nein, mit so was brauche ich meiner Frau nicht zu kommen. Ich bin der Romantiker von uns beiden. Sie ist ständig damit beschäftigt, unsere Rüstungen zu verbessern. Wie wäre unser erster Eindruck, wenn wir Sie in "World Of Warcraft" träfen? Vermutlich würden Sie merken, dass ich ein ziemlich erfahrener Spieler bin. Aber ich prahle nicht mit meinem Wissen. Ich bin recht ruhig, höre zu und beobachte. Mich interessieren meine Mitspieler, ich mag jedoch auch meine Anonymität. Aber man kann sich auf mich verlassen. Wie viel Zeit zum Spielen lässt Ihnen denn Ihre Arbeit für Blizzard? Spielen ist mein liebstes Hobby. Ich arbeite etwa 50 Stunden in der Woche an Quests, Dungeons oder Charaktereigenschaften und spiele trotzdem jeden Abend mindestens zwei Stunden lang "World Of Warcraft". Vor allem betreibe ich "PvP", "Player versus Player", Duelle mit anderen Spielern. Aber ich bin auch ein großer Sportfan und liebe es, Eishockey oder College-Football anzuschauen. Eishockey und Online-Kämpfe - das passt ja bestens zusammen. Nur, weil es von außen brutal aussieht? Ist es nicht. Eishockey-Partien sind genau wie PvP-Duelle von großer Eleganz: Man braucht erstklassige Reflexe, es kommt auf Schnelligkeit an und darauf, die nächste Bewegung seines Gegners vorauszuahnen. Haben sich Ihre Reflexe denn verbessert? Ich kann im Chat mittlerweile die Antworten schneller tippen. Zählt das? Zumindest nützt es Ihnen heute bestimmt bei der Arbeit. Dass Sie Spiele-Designer geworden sind, war aber nicht vorprogrammiert: Sie haben kreatives Schreiben studiert und mit Diplom abgeschlossen. Warum haben Sie nie ein Buch veröffentlicht? Ich habe zwei Bücher begonnen, aber beide wieder verworfen. Es waren keine Romane, eher Charakterstudien unterschiedlichster Menschen. Ich bin besessen von Dialogen. Einer meiner Entwürfe war bereits über tausend Seiten lang, als ich ihn weggelegt habe. Ich denke, man muss sich selbst und sein Werk kritisch betrachten. Das habe ich getan. Mein Buch war einfach nicht gut genug. Wie gut hätte es denn sein müssen? Ich bin ein großer Fan von Ernest Hemingway. Seine Herangehensweise an Texte hat mich beeindruckt und beeinflusst. Deswegen habe ich ihm in "World Of Warcraft" ein Denkmal gesetzt: den Jäger Hemet Nesingwary, einen der Questgeber im Spiel. Welche Autoren haben Sie bei der Arbeit an "WoW" außerdem beeinflusst? J.R.R. Tolkien - aber das ist wohl offensichtlich. Dann wären da noch Gabriel Garcia Márquez, dessen Buch "Hundert Jahre Einsamkeit" ich verehre, oder der Autor und Reisejournalist Denis Johnson, dessen Kurzgeschichten ich sehr mag. Aber ich lasse mich auch durch Kinofilme inspirieren. Mein Team und ich sind große Filmfans und veranstalten in der Firma gemeinsame Filmabende. Gerade vor zwei Wochen habe ich wieder alle alten "Star-Wars"-Folgen angesehen und mich dabei wie ein Kind gefreut. George Lucas hat etwas Zeitloses geschaffen. Mein Lieblingsfilm ist allerdings "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola. In der ersten Erweiterung "The Burning Crusade" gibt es einen Blutelfen im Nethersturm, der sagt: "Ich liebe den Geruch von Nether am Morgen" - wie Colonel Kilgore in "Apocalypse Now" den Geruch von Napalm schätzt. Wenn Sie mit ihrem Team an der Welt von "World Of Warcraft" arbeiten, erschaffen Sie Persönlichkeiten, Städte, Landschaften und die Geschichten dahinter - und wenn Sie fertig sind mit der Schöpfung, macht sie sich selbstständig. Ein wenig spielen Sie also Gott. Unsere Arbeit an "World Of Warcraft" ist ganz anders als die Arbeit an einem Roman. Wir entwerfen einen Handlungsstrang oder einen kleinen Charakter, und dann übernehmen die Spieler die Regie. Es gab da beispielsweise diesen Orc namens Saurfang in der Stadt Ogrimmar. Für uns war er anfangs nicht wichtig, aber die Spieler mochten ihn so sehr, dass wir ihn nach und nach als Charakter ausgebaut haben. Ich finde das klasse. Es macht großen Spaß, solche Dinge auszutüfteln. Nur der Vergleich mit Gott trifft es nicht: Keiner von uns hat das Gefühl, Gott zu spielen. Wir betrachten uns eher als Angestellte im öffentlichen Dienst. Denn was auch immer wir tun - es geht nur darum, dass die Spieler weiterhin Spaß haben. Und deren Feedback kommt prompt. Was macht gerade die Arbeit an einer Fantasy-Welt so reizvoll für Sie? Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt. Wir müssen uns an keine Normen halten, nicht konventionell denken. Fantasy lässt einem alle Freiheit. Würde "WoW" in einer realistischen Umgebung spielen, müssten sich auch die Personen und Geschichten entwickeln, wie wir es gewohnt sind. Das fände ich langweilig. Aber Science-Fiction zum Beispiel würde mich auch reizen. "World Of Warcraft" wird in diesem Jahr als Film in die Kinos kommen. Sie selbst haben mit einem Praktikum bei einer Film-Produktionsfirma ihr Studium finanziert. Warum sind Sie nicht in dieser Branche geblieben? Mir gefiel es dort nicht. Die brillantesten Köpfe werden von ihren Vorgesetzten ausgebremst, es gibt zu wenig Raum für Kreativität. Es wird viel zu viel Geld in die falschen Filme gesteckt. Nur die Massentauglichkeit zählt. Bevor ein Film ins Kino kommt, gibt es eine Testvorführung, und wenn dem Publikum der Schluss nicht gefällt, wird der eben umgeschrieben. Die Idee des Autors hat zu wenig Gewicht. Und in der Spieleindustrie ist das anders? Zumindest hier bei Blizzard Entertainment ist es anders. Beim Film gibt es uralte Hierarchien. Da heißt es ständig: "Bring mir Kaffee! Park mein Auto!" Die Spielindustrie ist jünger als Hollywood, wir haben keine so ausgeprägte Rangordnung. Unser Vorgesetzter ist für jeden von uns ein guter Ansprechpartner. Ist es richtig, dass Blizzard Sie engagiert hat, weil Sie ein begeisterter Spieler waren? Das stimmt. Ich war ein riesiger Fan von "Everquest" und habe eine der Top-3-Gilden im Spiel geleitet. Ich wusste damals nicht, dass sich Rob Pardo unter meinen Mitspielern befand, der Vizepräsident von Blizzard. Eines Tages fragte er mich, ob wir uns mal zum Mittagessen treffen könnten. Dabei hat er mir dann alle möglichen Fragen gestellt. Ich dachte, es ginge ihm nur um "Everquest", dabei war es ein Vorstellungsgespräch. Nun arbeiten Sie schon sechs Jahre an "World Of Warcraft". Was, wenn morgen ihr letzter Arbeitstag wäre? Das würde mich sehr bewegen. Und es würde natürlich eine große Lücke entstehen. Ich verbringe so viele Stunden mit und in dieser Welt, bei der Arbeit und zu Hause. "World Of Warcraft" beschäftigt mich kontinuierlich. Ich denke im Supermarkt daran, wenn ich Auto fahre oder im Wartezimmer beim Arzt. Es ist ein Teil von mir. Jeff Kaplan, 35, ist einer der zwei Lead-Game-Designer bei Blizzard Entertainment, dem Hersteller von "World Of Warcraft". Bei "World Of Warcraft" arbeitet Kaplan unter anderem an den Fähigkeiten der Charaktere und am so genannten World Content, den Quests, Gebieten, Dungeons und Nicht-Spieler-Charakteren. Sein Werdegang: 1995 schloss Kaplan sein Studium an der University of Southern California mit einem "Bachelor of Arts" im Fach Englisch mit Schwerpunkt kreatives Schreiben ab. Danach wechselte er an die New York University und machte dort seinen Master of Fine Arts. Frustriert von Praktika in der Filmindustrie, nahm er 2002 einen Job bei Blizzard an. Rob Pardo, Vizepräsident der Firma, war auf Jeff Kaplan aufmerksam geworden, weil der damals eine der erfolgreichsten Gilden im Online-Spiel "Everquest" leitete. Interview: Jessica Braun