"Eine Revolution"
Auf Antrag des Bundestags soll 2008 erstmals der Deutsche Computerspielpreis verliehen werden. Plötzlich diskutieren Politiker also darüber, wie man gute Games fördern könnte, anstatt nur welche verbieten zu wollen. Das ist vor allem dem Deutschen Kulturrat zu verdanken, der sich im vergangenen Jahr verstärkt für das Computerspiel als Kunstform eingesetzt hat. Ein Gespräch mit Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Kulturrats
GEE: Früher wurden Videogames hauptsächlich als "Killerspiele" gebrandmarkt, heute wird vermehrt über ihre kulturelle Bedeutung gesprochen. Sind Sie mit dem Verlauf der aktuellen Diskussion zufrieden? Olaf Zimmermann: Auf jeden Fall! Es ist faszinierend, wie sich die Debatte in den letzten Monaten verändert hat. Noch Anfang 2007 ging es beim Thema Computerspiele einzig und allein um Gewalt. Diese Diskussion wurde sehr emotional und nicht selten unterhalb der Gürtellinie geführt. Und nun - wenige Monate später - reden wir wie selbstverständlich darüber, dass Computerspiele ein Teil unserer Kultur sind. Das Denken vieler Politiker hat sich innerhalb kürzester Zeit radikal verändert. Eben noch galten Spiele als jugendgefährdender Schund, und nun wird überlegt, wie man Computerspiele fördern kann. Das ist eine Revolution! Wie kam es zu diesem Umdenken? Angefangen hat es zu Beginn des vergangenen Jahres, als der damalige bayrische Innenminister Günther Beckstein weit über das Ziel hinausschoss und den Jugendschutz, der ja sehr richtig und wichtig ist, auch zu einem Erwachsenenschutz machen und gewalthaltige Computerspiele generell verbieten lassen wollte. Das hat uns vom Deutschen Kulturrat auf den Plan gerufen. Die Frage stand auf einmal im Raum: Will man das wirklich? Wollen wir anfangen, Computerspiele zu verbieten? Und was kommt dann als nächstes? Filme? Bücher? Antike Gemälde, auf denen Gewaltdarstellungen zu sehen sind? Die in unserem Grundgesetz verankerte Freiheit der Kunst wäre durch ein solches Verbot arg in Gefahr geraten. Das hat auch viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages nachdenklich gemacht. Viele haben damals angefangen zu begreifen, dass wir keine guten Computerspiele bekommen, indem wir die schlechten und gewalttätigen Spiele einfach verbieten. Vielmehr sollte es darum gehen, kreative und innovative Spiele zu fördern. Vonseiten der Industrie hört man dazu auch kritische Stimmen. Das Urteil über die Güte eines Computerspiels solle man am besten dem Markt überlassen, heißt es. Brauchen wir überhaupt einen Förderpreis? Ja, weil ein Computerspiel heutzutage mehr ist als ein Produkt. Die Veränderung im Denken und in der politischen Diskussion hat auch Folgen für die Produzenten. Wenn Computerspiele in den Bereich der Kultur gehören - und davon bin ich fest überzeugt –, dann bedeutet das auch, dass Entwickler, Publisher und die gesamte Gamesbranche von nun an eine viel größere Verantwortung tragen müssen, als sie bisher bereit waren. Die Vorstellung einiger In-dustrievertreter, man könne im Dienste der Gewinnmaximierung machen, was man will, und müsse sich allenfalls noch an bestimmte Auflagen im Bereich der Gewaltdarstellung halten, gehört ab jetzt genauso der Vergangenheit an wie die Beschränkung der Computerspieldiskussion auf das Thema Killerspiele. Aus der Perspektive des Deutschen Kulturrats heißt das: Computerspiele und ihre Macher gehören von nun an in unseren Aufgabenbereich und sind Gegenstand der Kulturpolitik. Ein Förderpreis für kulturell wertvolle Spiele ist dann nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber ein sehr wichtiger. Für manchen klingen Formulierungen wie "kulturell und pädagogisch wertvoll" aus dem Antrag der Bundestagsabgeordneten eher abschreckend und verdächtig nach Langeweile. Bei dem Begriff "pädagogisch wertvoll" würde ich sogar zustimmen. Das erzieherische Potenzial eines Werks hat nicht unbedingt etwas mit seinem kulturellen Wert zu tun. Aber natürlich ist es auch schön, wenn pädagogisch interessante Ansätze im Bereich Computerspiel gefördert werden. Und wie sieht es mit dem Kunstbegriff aus? Für viele ist Kunst etwas, das ernst ist und im Museum hängt, und damit das genaue Gegenteil von Spiel und Spaß. Auch einige Entwickler weigern sich hartnäckig anzuerkennen, dass ihre Spiele mehr sind als gute Unterhaltung. Können Sie sich das erklären? Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr sich einige Computerspiel-Entwickler gegen die Auffassung wehren, dass sie Kreative sind und damit letztendlich auch Künstler. Dabei birgt die Anerkennung des Gamedesigners als Künstler jede Menge Vorteile. Ein unabhängiger Entwickler könnte zum Beispiel die Leistungen der Künstlersozialkasse in Anspruch nehmen. Auch kann man als Künstler mit sehr viel mehr Selbstbewusstsein gegenüber den großen Computerspielproduzenten auftreten, was nicht zuletzt bessere Arbeitsbedingungen zur Folge hätte. In der Branche herrschen ja zum Teil immer noch archaische Verhältnisse in puncto Arbeitszeit und Bezahlung, die in anderen Berufssparten aus dem Kulturbereich undenkbar wären. Wenn die Gesellschaft den Spiele-Entwickler als Künstler anerkennen würde, müsste sich das zwangsläufig ändern. Das oft gehörte Argument, dass jemand, der an einem Computerspiel arbeitet, kein Künstler sein könne, weil er dieses nicht alleine hervorbringt, zählt schlicht und einfach nicht. Denn ob beim Film, am Theater oder in der Musik: Überall ist Zusammenarbeit gefragt. Und überall entsteht große Kunst. Um es also auf den Punkt zu bringen: Computerspiele-Entwickler sind Künstler, ob sie wollen oder nicht. Woran erkenne ich denn ein künstlerisches Computerspiel? Oder ist jedes Spiel Kunst? Die Frage danach, was Kunst ist und was nicht, ist schwer zu beantworten. Wir versuchen uns da mit diversen Notkonstrukten zu behelfen. Im Urheberrecht ist zum Beispiel von einer gewissen Gestaltungshöhe die Rede, die ein Werk aufweisen muss, um ein Kunstwerk zu sein. Nur gibt es keine Behörde, die in der Lage wäre, diese Gestaltungshöhe zu messen. Man spricht da von einem unbestimmten Rechtsbegriff, der sich nicht ohne Weiteres verallgemeinern lässt. Es muss immer im Einzelfall entschieden werden. Ich glaube aber, dass es Computerspiele gibt, die der klassischen Vorstellung von einem Kunstwerk entsprechen. Was wäre das für eine Vorstellung? Sie müssen innovativ sein und in der Gestaltung experimentell. Und sie müssen die Möglichkeiten, die ihnen das Genre bietet, ausnutzen. Dabei braucht es sich jedoch keinesfalls um Nischenprodukte zu handeln. Nehmen Sie zum Beispiel "Super Mario Galaxy" - ich sage Ihnen: Das ist ein Kunstwerk. Was ist für Sie aus künstlerischer Perspektive das Faszinierende an Computerspielen? Ich liebe diesen Rausch der Farben, der Formen und der Bewegungen, in den einen Spiele wie "Super Mario Galaxy" versetzen. Auch die Idee aus "Super Paper Mario", in einem Moment vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale umschalten zu können, ist schlicht großartig. In welchem Medium kann man das schon außer im Computerspiel? Und natürlich ist da die Faszination, selber Teil des Spiels zu sein. Wie sehen Sie den Zusammenhang von Kunst und Gewalt im Computerspiel? Die These, dass Computerspiele keine Kunst sein können, weil sie zum Teil sehr explizite Gewaltdarstellungen enthalten, ist Unsinn. Gewalt war immer schon ein zentrales Thema der Kunst. Es gibt ganz hervorragende Bilder aus dem Mittelalter, die zutiefst abstoßende Szenen zeigen, aber vollkommen unbestritten Meisterwerke sind. In Klassikern der Weltliteratur wie dem Nibelungenlied watet man beim Lesen buchstäblich im Blut. Der Kuturstaatssekretär von Nordrhein-Westfalen, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, hat Ihnen den Rücktritt nahe gelegt, weil Sie die Gewaltschilderungen aus der Bibel in einem Atemzug mit brutalen Computerspielen genannt haben. Wie gehen Sie damit um? Herr Grosse-Brockhoff überrascht mich immer wieder. Die Landesregierung, der er angehört, und der Ministerpräsident, für den er arbeitet, haben eine vollständig andere Position als er. Die Landesregierung dort bemüht sich sehr, die Computerspielindustrie in Nordrhein-Westfalen anzusiedeln. So wurden ja bereits Anstrengungen unternommen, die Games Convention von Leipzig nach Köln zu holen. Ich glaube, Herr Grosse-Brockhoff hat eine persönliche Abneigung gegen Computerspiele. Die darf er auch haben, und er darf natürlich auch glauben, dass sie künstlerisch nichts taugen. Das gehört halt auch zur Freiheit. Ecken Sie mit Ihrer offenen Einstellung gegenüber Computerspielen bei Ihren Kollegen aus dem Kulturbetrieb eigentlich oft an? Aber sicher. Die Frage, ob Computerspiele kulturell bedeutsam und förderungswürdig sind, war eine der größten Auseinandersetzungen, die wir im Deutschen Kulturrat je geführt haben. Das liegt zum einen daran, dass Fragen des Jugendschutzes natürlich immer sehr leidenschaftlich diskutiert werden. Zum anderen haben wir nur einen vergleichsweise kleinen Finanzkuchen im Bereich der Kulturförderung zu verteilen. Wenn die Computerspiele als Teil der Kultur und sogar als Kunst aufgefasst werden, bedeutet das: Die anderen, bereits etablierten Bereiche müssen dem Neuling etwas von ihrem Kuchen abgeben. Das gibt verständlicherweise Anlass zur Kritik. Von einigen Kulturverbänden kam auch tatsächlich die Frage, ob wir die Computerspiele denn unbedingt zur Kultur erklären mussten. Meine Antwort darauf ist: Natürlich mussten wir! Wie oft erklären sie denn etwas zur Kunst? Seit Mitte der achtziger Jahre haben wir uns keinem neuen Bereich der Jugendkultur mehr wirklich geöffnet. Dabei besteht unsere Aufgabe darin, ein kulturelles Abbild der Gesellschaft zu liefern. Deshalb bin ich ungemein froh darüber, dass es uns gelungen ist, die Computerspiele mit ins Boot zu holen. Für uns war das eine Überlebensfrage. Hätten wir uns diesem Aspekt weiterhin verschlossen, hätten wir als Institution in zwanzig bis dreißig Jahren Schiffbruch erlitten. Dann hätten wir uns nämlich von all jenen, die jetzt mit Spielen aufwachsen, zu Recht anhören müssen, dass wir diese kulturelle Entwicklung verpasst hätten. Sie selber haben zwei Kinder. Wachsen die auch mit Computerspielen auf? Ja, sicher. Meine Söhne sind zwölf und vierzehn Jahre alt. Ich schaue ihnen beim Spielen sehr gerne über die Schulter und informiere mich darüber, was es Neues gibt. Sie halten mich ständig auf dem Laufenden. Vor drei Jahren haben sie mich mit zur Games Convention nach Leipzig geschleppt. Das war ein echtes Schlüsselerlebnis für mich. Dort in den Messehallen habe ich zum ersten Mal diese große Begeisterung miterlebt, die Computerspiele auslösen können. Natürlich gab es dort auch vieles, das ich nicht verstanden habe - und den Krach fand ich furchtbar. Aber danach war für mich klar, dass ich das Phänomen Computerspiel nicht mehr ignorieren kann. Wissen Sie noch, welches Ihr allererstes Computerspiel gewesen ist? Das war "Sim City". Ich konnte Bürgermeister spielen! Das fand ich genial. Leute wie ich, die politisch arbeiten, scheinen da einen Traum zu haben: Man kann alles allein machen und braucht nicht ständig irgendwelche Ausschüsse und Gremien zu konsultieren. Großartig! Der Deutsche Kulturrat wurde 1981 gegründet und versteht sich als politisch unabhängiger Dachverband der deutschen Kulturverbände wie beispielsweise dem Rat für darstellende Kunst und Tanz, dem Deutschen Musikrat und der Deutschen Literaturkonferenz. Der Kulturrat ist Ansprechpartner für Politiker und gibt ihnen Empfehlungen zu Fragen der Kulturpolitik. In seiner sechs Mal jährlich erscheinenden Zeitschrift "Politik und Kultur" informiert er zudem über aktuelle Strömungen und Debatten in der deutschen Kunst- und Medienlandschaft. Olaf Zimmermann, Jahrgang 1961, ist gelernter Kunsthändler. Der Vater von zwei Kindern ist seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Außerdem ist er Herausgeber von "Politik und Kultur" und Mitglied der Enquête-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages. Als Autor und Herausgeber hat er an 28 Buchveröffentlichungen mitgewirkt. Das vom Olaf Zimmermann und Theo Geißler herausgegebene Buch "Streitfall Computerspiele: Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz" vereint die wichtigsten Artikel aus der Zeitschrift "Politik und Kultur" zur aktuellen Diskussion um den kulturellen Stellenwert von Computerspielen. Neben Geistes- und Naturwissenschaftlern kommen darin auch Politiker wie Lothar Bisky und Günther Beckstein zu Wort. Die erste Auflage ist bereits vergriffen. Eine erweiterte Neuauflage soll aber bereits im März 2008 erscheinen. 9 Euro, auf www.kulturrat.de. Interview: Oliver Klatt, Fotos: Michael Ebert-Hanke