Atari Teenage Riot

Atari Teenage Riot

Atari 2600: die Erfüllung unserer kühnsten Kindheitsträume, das Tor in andere Welten, die erste erfolgreiche Konsole. Gerade ist sie 30 geworden. Zum Geburtstag schrieb der Journalist, Buchautor und Fan David Pfeifer eine ganz persönliche Hommage an den schwarzen Plastikkasten mit der Fake-Holzfront

Das bleibt am Ende hängen von der eigenen Jugend, wenn man sich langsam auf die Mitte seines Lebens zubewegt? Der erste Kuss, das erste Fahrrad, der beste Freund von damals, den man aus den Augen verloren hat - und bei dem es fast immer eine Enttäuschung ist, wenn man ihn 20 Jahre später zufällig im Supermarkt wiedertrifft. Bei mir kommt noch etwas hinzu: die Atari-2600-Konsole mit ihrer Falschholz-Frontverkleidung und den matt verchromten Schaltern, die aus ihr herausragten wie die Fingerspitzen eines zierlichen Roboters. Wie tief sich dieses Stück Technik in mein autobiografisches Bewusstsein gegraben hat, wurde mir bewusst, als ich vor drei Jahren an einem doofen Touristen-Shop in New York mit einem Atari-T-Shirt im Schaufenster vorbeigegangen bin, oder besser: nicht vorbeigehen konnte. Ich habe es völlig willenlos gekauft, und da ich schon seit Jahren keine Motiv-T-Shirts mehr trage, habe ich es seitdem nur zum Sport angezogen. Doch das Logo zog mich magisch an. Der Schriftzug, die zwei hockeyschlägerhaft gebogenenen Außenlinien, die zu einem sich verjüngenden Mittelstreifen führen und sich zu Wegweisern in eine Zukunft vereinten. Eine Zukunft, von der ich heute sagen kann: Sie wurde so, wie ich sie mir erhofft hatte. Die Atari-Konsole platzte ganz am Anfang der achtziger Jahre in mein Leben, in einem Alter, in dem ich noch durchaus damit zu unterhalten war, mir Pfeil und Bogen zu schnitzen und Indianer zu spielen. In dieselbe Kerbe schlugen die Videospiele, in denen man ein Krieger im All war, die Welt retten musste oder zumindest einen kleinen gelben Ball. Als Waldorfschüler besaß ich selber keine Konsole, wir hatten noch nicht mal einen Fernseher, den es zum Betrieb der Atari 2600 gebraucht hätte. Aber ich hatte einen Nachbarsjungen, bei dem ich ohnehin viele Nachmittage verbrachte und abends auch mal heimlich fernsah. Und der bekam eine Konsole zum 11. Geburtstag geschenkt.

In der Kristallkugel

Plötzlich konnte man etwas im Fernseher steuern. Die Faszination, die es auslöste, plötzlich in die Kristallkugel hineinzugreifen, ist für heute unter 35-Jährige kaum noch nachvollziehbar. Aber damals gab es praktisch keine Videorekorder, keinen Videotext, keine Computer. Der Fernseher ging an und aus. Die drei Programme gingen laut oder leise. Doch nun konnte man plötzlich die Geschicke auf dem, nein, im Bildschirm lenken, in jener Welt, die vorher unerreichbar schien und die nun zum Abenteuerspielplatz wurde. Es gab keine Verhaltensregeln für den Umgang mit diesem neuen Ding. Die Eltern waren ratlos. War das nun Spielzeug, wie Matchbox-Autos und Playmobil? Oder war es eine Verführungsmaschine, so schädlich für junge Geister wie Drogen, Süßigkeiten und Pornografie? Die Melodien waren niedlich, naiv, im schlimmsten Fall enervierend. Das, was auf dem Bildschirm zu sehen war, wirkte harmlos. Aber als wir anfingen, den ganzen Nachmittag wie hypnotisiert vor dem Kasten festzusitzen, dämmerte den Eltern meines Nachbarn, dass es in Richtung Suchtmittel ging. Und da es nicht nur uns, sondern vielen Kindern und Jugendlichen auf der ganzen Welt so ging, erschienen auch bald die ersten Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, die vor der Konsolen-Nutzung warnten. Doch die Leere, die mich nach einem exzessiven Spielnachmittag erfasste, war keine öde Leere, sondern eher eine chemische Erschöpfung. Das ausgeschüttete Adrenalin musste abgebaut werden. Der US-Autor Steven Johnson hat in seinem Buch "Die neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden" sogar die Theorie aufgestellt, dass Dopamin ausgeschüttet wird, wenn man bei einem Videospiel ein Stückchen weiter kommt, ein Botenstoff, der auch Rauchern oder Kokainisten das Leben schöner macht. Wahrscheinlich hatte ich also nur einen Kater, nachdem wir eines der Roboter-Fingerchen auf "Off" stellen mussten. Die Suchtgruppe wuchs Anfang der achtziger Jahre explosionsartig. 30 Millionen Atari-2600-Konsolen verkauften sich weltweit, allerdings in einer Welt, in der es noch einen Ostblock gab ("Raid Over Moscow"!). Es konzentrierte sich also auf Amerika, Europa, Asien. Kein Wunder, dass der japanische Spielwarenkonzern Nintendo wenig später auf die Idee kam, ebenfalls auf elektronisches Spielzeug zu setzen.

Zeit für eine Korrektur

Zum Entstehungsmythos von Atari gibt es noch etwas zu korrigieren. Die Firma entstand 1972, also etwa sieben Jahre, bevor die ersten 2600-Konsolen auf den US-Markt kamen. Firmengründer Nolan Bushnell hatte den Begriff "Atari" aus "Go" entlehnt, einem japanischen Brettspiel für diejenigen, denen Schach zu prollig ist. Der steile Aufstieg der Firma begann, als Bushnell das Spiel "Pong" als Automat in öffentliche Einrichtungen, Gaststätten, Kinos und Bars ausliefern ließ. "Pong" machte Atari in sehr kurzer Zeit sehr reich. Und es war auch eines der ersten Spiele, die man zu Hause auf der 2600-Konsole spielen konnte. Nur hatte die Firma Magnavox bereits 1972 eine Konsole namens Odyssey entwickelt und vorgestellt, die ein einfaches Pingpong-Spiel beinhaltete - das exakt so aussah und zu spielen war wie "Pong". Unter den Zuschauern der Präsentation war Bushnell. So war die Welt damals - die Ingenieure bestimmten den Wettbewerb, es ging um die Technik, nicht die Software. Bushnell ließ für sein Produkt einfach das gleiche Spiel entwickeln. Die Odyssey war ein Flop, die Atari 2600 hingegen ein gigantischer Erfolg. So konnte Bushnell es auch verschmerzen, Jahre später in einem verlorenen Patentstreit 700000 Dollar an Magnavox zahlen zu müssen. Und bis heute gilt er als Vater des Videospielens. So schlicht wie "Pong" waren die ersten Spiele, die mich an die Atari 2600 fesselten, nicht mehr. Den Anfang machte bei mir tatsächlich "Pac-Man". Das war schon deutlich bunter und actionreicher als "Pong", wirkt heute jedoch wie Höhlenmalerei, im Vergleich zu einer Fotografie. Gebremst hat mich das nicht. Ich kann nicht mal sagen, dass ich die rasende Flucht mit Pac-Man irgendwie weniger nervenzerfetzend empfunden hätte als "Metal Gear Solid" Jahre später. Es verhält sich bei Videospielen wie bei jeder anderen Technik: Bekommt man beim ersten Mal auf einem Mofa noch einen Geschwindigkeitsrausch, ist man gelangweilt, sobald man sich an ein schweres Motorrad gewöhnt hat. Aber in der Anfangszeit war die grobe, an Legosteinbauten erinnernde Pixelwelt gut genug, um die Vorstellungskraft zu beflügeln. Der virtuellen Welt eine feinere Oberfläche zu geben übernahm damals Hollywood. Der Film "Tron", der 1982 in die US-Kinos kam, lieferte die konkreten Bilder zu den Fantasien, die die Atari-Konsole angefeuert hatte. Die Handlung: Ein Programmierer steigt selber in die Welt der Computer ein, wo er feststellt, dass es für jeden User ein ihm ähnliches Software-Gegenstück innerhalb eines großen Systems gibt. Natürlich muss er um sein Überleben spielen, und natürlich bekommt er das - virtuelle - Mädchen. Nerd-Träume. Die Geschichte war haarsträubend, die Actionszenen wirken heute wie Dokumente aus der Stummfilmzeit, und die Computeranimationen waren in Wirklichkeit gar keine. Wann immer man den Eindruck haben sollte, man befinde sich im Inneren eines Videospiels, wurde eine Kolorations- technik eingesetzt, die nur so tat, als ob - und die eigentlich so aussah wie der Schwarzlichteffekt, der heute gelegentlich noch in ländlichen Diskotheken zum Einsatz kommt. Es ist kein Zufall, dass der Film so kurz nach dem Siegeszug der Atari-Konsole in die Kinos kam - und ebenfalls überaus erfolgreich war. Er versah die von Videospielen ermöglichte Alltagsflucht mit einer Darstellungsform. Wir spielten, um uns die Zeit zu vertreiben, aber auch, um uns in unerreichbare Ferne zu begeben. Nicht nach Italien oder Indien. Nein, weit dahinter gab es nun ein Land, in dem Riesenaffen Blondinen entführten und ein Klempner sie befreien musste, indem er im Wesentlichen über Fässer sprang. "Donkey Kong" war mein größter persönlicher Zeitvernichter. Es war das erste Spiel, von dem ich geträumt habe. Im Schlaf rannte ich die Stahlträger hoch, kletterte über Leitern und griff mir einen Riesenhammer, um mir entgegenrollende Fässer zu zertrümmern. So aufgeschrieben wirkt das albern und ein bisschen verschroben, aber jeder, der mal so richtig in ein Spiel eingestiegen ist, kennt das Phänomen.

Fantasiebilder

Die Hüllen der Atari-2600-Titel arbeiteten mit diesem Effekt. Sie zeigten fein ausgestaltete Abenteuer- oder Comic-Motive - die nichts mit der Optik zu tun hatten, mit der man später vorlieb nehmen musste. Sie gaben ein Versprechen, das die Spiele nie einhalten konnten - aber niemand störte sich daran. Es waren Fantasiebilder, die einem eine Anregung gaben, etwas, das man sich vorstellen konnte, wenn man richtig eingesogen wurde, vom Verlauf des Spiels. Auch auf den Cartridges, die einen sanften Gegendruck spüren ließen, wenn man sie einsteckte, waren oft airbrushhafte Traumwelten zu sehen. Aber in dem Alter genügte eben auch eine Feder auf dem Kopf, um sich vorzustellen, man sei Indianer. Und wir waren zufrieden mit dem Gedanken, dass der grobe Pixelhaufen an der unteren Bildkante unser Raumschiff darstellte. Und die vielen näher rückenden Pixelklötze die Feinde waren. Die grobe "Space Invaders"-Grafik ist zur Ikone der ersten Computerspielära geronnen. Die Druckwelle der neuen Unterhaltungsindus-trie schob auch bald andere Bereiche der Popkultur an. So ging die Band Spliff in dem Lied "Kill" auf ihrem 1984 erschienenen Album "85555" auf den gerade entstandenen Phänotyp des Computerspieltrottels ein. Das Lied beginnt mit den Textzeilen: "Hey Kleiner, kauf dir einen Krieg. Nimm Knete mit, viel Geld, viel Sieg. Zerstör die Feinde, fahr ab auf deine Wut. Schieß sie alle ab, dann geht's dir gut." Das war naiv, weil es einen direkten Zusammenhang herstellte zwischen Kriegslust und Videospielen - in einer Generation, in der Wehrdienstverweigerung bereits so selbstverständlich war wie ein Schulabschluss. Doch natürlich machte es einen verheerenden Eindruck, Jugendlichen mit hängendem Unterkiefer dabei zuzusehen, wie sie bis zur Sehnenscheidenentzündung "Summer Games" spielten. Oder wie sie sich in Kinofoyers herumdrückten, um an Automaten herumzuballern. Die Atari-Konsole meines Freundes wurde bald von den Eltern konfisziert - die Angst vor einer Verblödung des Jungen wurde zu groß. Und ich wechselte die Schule und damit zum Commodore 64. Die Atari 2600, die eigentlich bei ihrem Start schon nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik war, wurde von der Massenverbreitung der ersten Homecomputer endgültig gekillt. Und von der schlechten Produktpolitik. Immer mehr, immer schlechtere Spiele wurden auf den Markt geworfen. Die "E.T."-Geschichte ist bereits eine Legende der Computergeschichte. Atari kaufte angeblich für 20 Millionen Dollar die Rechte an dem Film von Steven Spielberg. In einer viel zu kurzen Entwicklungszeit versuchte man, ein passendes Spiel zu kreieren - es wurde grottenschlecht. Vor allem aber war es ein grundsätzlicher Denkfehler, die Figur des Außerirdischen einfach umsetzen zu wollen. Waren die Atari-Spieler bis dahin damit zufrieden gewesen, sich eine fantastische Welt zu einfacher Grafik vorzustellen, bekamen sie nun eine unbefriedigende Darstellung von etwas angeboten, das sie besser kannten. Angeblich sind die vielen tausend Cartridges, die Atari von "E.T." produzieren ließ, jedoch nie verkaufen konnte, irgendwo in der Wüste von New Mexico verscharrt worden. Auch von "Tron" gab es übrigens eine Videospiel-Version - ebenfalls kein großer Erfolg.

Den Mythos sichern

Die Zeit der Atari 2600 war vorbei, die Reise ging weiter in eine buntere, besser gerenderte Zukunft. Konsolen waren plötzlich was für Doofe, die nicht mit einem Computer umgehen konnten. Erst 1985 begann sich langsam das "Nintendo Entertainment System" durchzusetzen, mithilfe einer sehr populären Figur, dem Klempner Mario, den ich noch aus "Donkey Kong" kannte. Für mich war das nichts mehr. Aber ich bin noch einmal rückfällig geworden und habe an meinem Computer gespielt, der für mich lange Jahre nur ein Arbeitsgerät war. Das war Ende der neunziger Jahre, als plötzlich überall auf der Welt Digital-Archäologen anfingen, die alten Spiele mit einem Modulator so umzuwandeln, dass man sie auf neuen Computern spielen konnte. "Burger Time", "Q-Bert", "Centipede" - alle waren sie wieder da, und es war keine Enttäuschung, sie wieder zu spielen, auch wenn sie für einen Teenager von heute vermutlich ebenso befremdlich wie Schelllack-Platten sind. Ich kam mir vor wie meine eigene Großmutter, bei aller Nostalgie, die mich durchströmte, als ich die alte Grafik und den alten Sound wieder erleben konnte. Atari selber existiert heute nicht mehr, die Rechte am Namen hat eine französische Firma erworben, eigentlich nur, um sich den Mythos zu sichern. Denn der Wegweiser in die Zukunft, den das Atari-Logo damals für mich darstellte, ist in der Gegenwart zu einer Art Stammeszeichen geworden, wie das Bild der Kommune 1 für die Achtundsechziger. Die Videospielkultur ist mit meiner Generation erwachsen geworden. Heute, wo ich mir mit Pfeil und Bogen eher albern vorkommen würde, habe ich eine Xbox 360. Eine Spielkonsole ist auch für viele über 30-Jährige immer noch das bevorzugte Fluchtvehikel aus dem Alltag. Es erlaubt dem Erwachsenen, wie ein Kind zu spielen, ohne dabei völlig lächerlich auszusehen. Zumindest wenn man das mit dem hängenden Unterkiefer in den Griff bekommen hat. Text: David Pfeifer
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von Volker Hansch / Dezember 10th, 2007 /

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