Super Paper Mario

Super Paper Mario

Fliptown und Floptown, 2D und 3D, Welten hinter Spiegeln – und ein Blick in die Seelen der Bewohner von Marioland

Jeder Besuch im Marioland fühlt sich an, als würden wir seit Jahrzehnten am selben Ort Urlaub machen. Wir haben die Steine, Pilze, Rohre, Türen tausendmal gesehen, kennen die Welt besser als den eigenen Handrücken. Aber wissen wir wirklich so viel über Marios Kosmos, wie wir glauben? Wer hat sich beispielsweise je die Frage gestellt, ob Gumbas denken und - falls ja - was eigentlich? Und was bewegt Bowser emotional? Tragen Mario und Luigi ihre Schnurrbärte aus modischer Überzeugung oder aus Gewohnheit? Ist Prinzessin Peach wirklich so platonisch-geschlechtslos, wie sie immer tut, oder sind die kleinen Trippelschritte pure Koketterie? "Super Paper Mario" beantwortet all diese Fragen. Und stellt so unsere bisherige Vorstellung vom Marioland auf den Kopf.

Zweifache Hinsicht

Doch das neue Mario-Abenteuer ist gleich in zweifacher Hinsicht ein Blick hinter die Kulissen. Ähnlich wie der PSP-Puzzler "Crush" spielt "Super Paper Mario" in und mit verschiedenen Dimensionen. Als zweidimensionaler Held bewegt sich Mario durch seine putzige Umgebung. Zweidimensional - wie Papier. Und so wundert es nicht, dass die papiernen Charaktere, wenn sie sich drehen, für einen Sekundenbruchteil platt aussehen wie eine Seite in diesem Heft beim Umblättern. Rasch lernt unser Held, dass die Welt dreidimensional ist und sich auf der dritten Achse die Schlüssel zu vielen Rätseln befinden. Die Wii-Mote hält man als Spieler die meiste Zeit seitwärts wie einen normalen Controller. Durch Druck auf die A-Taste wechselt Mario von der zweiten in die dritte Dimension, in der er aber nur kurze Zeit verweilen kann, ohne sich zu verletzen. Dort tun sich neue Wege und Vorsprünge, Brücken und Schatztruhen auf, die es zu entdecken und zu nutzen gilt. Auf seinem Weg sammelt er verschiedene kleine Helfer, so genannte Pixls. Diese ständigen Begleiter übertragen Fähigkeiten auf den Spieler, zum Beispiel die Möglichkeit, Bomben zu platzieren oder Gegner durch die Luft zu schleudern. So beginnt die Suche nach acht reinen Herzen, versteckt in acht Welten. Diese Herzen muss Mario sammeln, um zu verhindern, dass der Finsterling Count Bleck mit einer düsteren Prophezeihung das gesamte Universum auslöscht. Im Gegensatz zu früheren Teilen der Serie (siehe Kasten auf der nächsten Seite) verzichtet "Super Paper Mario" dabei auf einige Rollenspielelemente wie rundenbasierte Kämpfe. Stattdessen funktioniert die Reise durch die verschiedenen Level und Welten meist nach dem guten alten Jump'n'Run-Prinzip: Viele Gegner besiegt man etwa ganz klassisch, indem man ihnen auf die Rübe hüpft. Mittelpunkt aller Level ist die immerfreundlich-helle Stadt Fliptown. Dort wird, ganz Rollenspiel, viel geredet: Fliptowns Bewohner sind zuweilen geschwätzig. Manche haben tatsächlich wichtige Tipps und Informationen parat, andere wollen einem nur ihr Lieblingslied vorsingen, aber alle sorgen für Leben im Ort. Die konversationsintensiven Passagen beinhalten wortwitzige und teilweise herrlich garstige Referenzen zur Wirklichkeit: Es gibt Trink- (Milch!) und Spielsüchtige, freundliche Bürger und - in Floptown, dem düsteren Pendant von Fliptown - auch grummelige Zeitgenossen. Marioland kann also durchaus ein Spiegel der realen Welt sein. Optisch ist "Super Paper Mario" jedoch streckenweise auf altes 2D-Spiel getrimmt, bei dem im Hintergrund allerdings ständig geometrische Figuren und Muster vor sich hinwabern, passend zum heutigen Verständnis von Retro. Zudem wachsen Mario und Co mitunter zu großen 8-Bit-Monstern an - mit verheerender Wirkung. Und Fliptowns Bewohner sehen aus wie "Super Mario World" von 1992 entsprungen. Die ironisch-selbstreferenziellen Verweise aufs Nintendo-Universum machen eben auch vor dem Leveldesign nicht Halt.

Teamspiel

Ist Mario ansonsten eher Einzelgänger, hält er in diesem Spiel den Teamgeist hoch: Je nach Aufgabe muss man im Laufe des Abenteuers andere Charaktere freispielen, um ihre speziellen Eigenschaften zu nutzen. Während allein Mario sich in 3D auskennt, benötigen wir zum Beispiel Bowser, um Feuer zu spucken, oder Peach, um mit ihrem Schirm größere Distanzen gleitend zu überwinden. Die Steuerung mit der Fernbedienung funktioniert dabei klasse, auch wenn die Wii-spezifischen Features nicht sonderlich spektakulär sind. Ist man etwa vergiftet, muss man den Controller schütteln, ihn in anderen Momenten in verschiedene Richtungen drehen oder wie eine Taschenlampe auf Gegner oder Orte richten, um etwas über ihre Schwachpunkte oder Besonderheiten zu erfahren. Das war es aber auch schon in Sachen Wii-Action. Hier kann das Spiel nicht verbergen, dass es ursprünglich für den Gamecube geplant war und erst während der Entwicklung aufgrund der sich anbahnenden Wii-Softwareflaute zu einem Spiel für Nintendos Neueste umgemodelt wurde. Ebenso verwundert es, dass "Super Paper Mario" durch den Verzicht auf viele Rollenspielelemente ein Teil seiner einzigartigen Identität aufgegeben hat und vom Gameplay her etwas konventioneller daherkommt als einst. Erinnerungen an die rundenbasierten Kämpfe, die früher einen Großteil des Spiels ausmachten, finden sich nur in kleinen Zwischensequenzen und putzigen Minispielen. Ein Beispiel: Während einer Mission trifft man auf einen gefährlichen Zeitgenossen: Frances. Der ist ein riesiges Chamäleon mit ausgeprägter Sammelleidenschaft, unbremsbarer Begeisterung für Technisches und wenig Erfahrung mit dem anderen Geschlecht, aber einem umso größeren Wunsch endlich ein "Hot Babe" zu treffen. In der Haut von Peach muss man den unansehnlichen Nerd dann dazu bringen, dass er herausrückt, was man gerne haben möchte. So bekommt man auch Einblicke in Prinzessin Peachs Auffassung darüber, ob es in Ordnung geht, mit weiblichen Waffen zu kämpfen, die keine Schirmchen sind.

Große Emotionen

Überhaupt, die Liebe! Dass unter Bowsers Stachelpanzer ein großes Herz schlägt, haben wir uns ja insgeheim alle schon gedacht. Doch wie geht Peach damit um, dass es für sie schlägt? Wieso ist der finstere Count Bleck so verbittert? Und ist Mario etwa auch in die Prinzessin verknallt? Halt! Es muss auch Grenzen geben! Wo kämen wir hin, wenn unser Held sich als liebestolle Nulpe entpuppen würde oder gar durch unqualifizierte Äußerungen ans Licht käme, dass Mario in Wirklichkeit ziemlich dünn gerührt ist? Diese Gefahr wurde offenbar auch bei Nintendo als solche wahr- und ernst genommen; ein wirklicher Held spricht nicht, sondern überlässt die Kommunikation allen anderen. Luigi darf ruhig ein bisschen beschränkt sein, Bowser sowieso, und ob Peach eine Klugscheißerin und ein oller Moralapostel ist, ist nicht von Belang - doch Mario gibt sich mit solchem Geseiere bitteschön nicht ab, sondern bleibt ein Mann der Tat. Das Einzige, was es auf dem Bildschirm mal in Form einer Art Sprechblase zu sehen gibt, sind Frage- oder Ausrufungszeichen. Ab und zu hört man mal ein beherztes "Yeah", aber die Konversation, die vom Helden ausgeht, muss man sich denken. Und das fällt einem so leicht wie nie zuvor. Denn wann hat man je zuvor so viel über den Klempner unseres Herzens und seine Welt gelernt? Jetzt wissen wir, wie Prinzessin Peach und Konsorten ticken - und merken: Während wir uns in Marioland aufhalten, sind alle ein bisschen Nerd, ein bisschen Mario, ein bisschen Luigi und, wenn wir mal wieder zu lang brauchen, um ein Rätsel zu lösen, in unserem Jähzorn auch ein bisschen Bowser. So wird "Super Paper Mario" zum ersten und einzigartigen Blick in die Seelen eines Ensembles, das uns schon seit 20 Jahren begleitet. Danke.

Das Spiel

Eines vorweg: Manchmal fühlt man sich von "Super Paper Mario" amtlich verhohnepipelt. Beispielsweise wenn behauptet wird, man müsse 99 Wächter umnieten und durch 99 Türen gehen, um an sein Ziel zu gelangen. Also 99 Mal dasselbe Bild sehen, einen wenig aufregenden Kampf führen und dazwischen 99 zermürbend informationslose Konversationen wegdrücken. Ganz so schlimm wird es dann glücklicherweise doch nicht, aber man kann sich sehr gut vorstellen, für welches Gelächter es in der Entwicklerstube gesorgt haben muss, als jemand mit derlei gehässigen Ideen um die Ecke kam. Oft wird man in diesem Spiel wirklich bis an seine Schmerzgrenze ge-trieben. Doch genau dafür lieben wir das "Super Mario"-Universum ja so: Hier ist zwar alles putzig, nichts wirklich besonders schwierig, aber vor allem auch nichts harmlos oder gar zahm-hippieesk. Dafür ist "Super Paper Mario" umso abwechslungsreicher. Die Grafik trotzt noch immer jeglichem Realitätsanspruch, birgt aber von Level zu Level derart fantastische Ideen, dass man immer wieder überrascht den Kopf schüttelt. Zuweilen ist es ein bisschen störend, wie oft man an bestimmten Stellen ins Menü muss, um Charaktere oder Pixls (kleine Begleiter, die Mario besondere Fähigkeiten verleihen) zu wechseln, um nur den nächsten kleinen Abschnitt zu schaffen. Doch andererseits ist es genau diese Kniffligkeit, die einen bei der Stange hält. Während Boss-Gegner und Feinde recht einfach zu bewältigen sind, sind manche Lösungswege so versteckt, dass man am eigenen Abstraktionsvermögen zweifelt und sich an den Kopf fasst, wenn man erst einmal dahinter gekommen ist, wo der Fehler lag. Aber keine Angst. Sollte man einmal wirklich völlig ratlos sein, kann man für ein paar Taler bei der Wahrsagerin einkehren, die einem genaue Anleitungen verrät - so bleibt der Frustrationsfaktor jederzeit erträglich. Und trotzdem kann man Ewigkeiten mit diesem Spiel verbringen und einen Haufen versteckter Geheimnisse finden, die für den Spielausgang eher unwichtig, aber deshalb nicht minder amüsant sind.

Fazit

Es ist leicht, dieses Spiel zu lieben. Die Detailverliebtheit, mit der "Super Paper Mario" kreiert wurde, zeugt von grenzenloser Zärtlichkeit für Nintendos beliebtestes Pferd im Stall. Für Freunde von "Crush", "The Legend Of Zelda: Twilight Princess", "Super Mario Bros." Text: Sonja Müller
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von Volker Hansch / September 10th, 2007 /

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