"Nichts meistern"
Skaten, Hubschrauber fliegen, die Gamesbranche aufmischen – David Perry sucht ständig nach neuen Herausforderungen. Die "Matrix"-Spiele kosteten ihn jedoch fast die Karriere. Jetzt ist der Entwickler von "Earthworm Jim" und "MDK" zurück. Als Mentor der Videospielindustrie
David Perry, 40, wurde in Irland geboren. Als Teenager programmierte er seine ersten Games und ging bereits im Alter von 17 Jahren nach London, um für Publisher wie Elite oder Mirrorsoft zu arbeiten. Anfang der neunziger Jahre zog Perry nach Amerika und gründete sein eigenes Studio "Shiny Entertainment". Mit Shiny veröffentlichte er seine beiden in Gamer-Kreisen renommiertesten Titel "Earthworm Jim" und "MDK". Den größten kommerziellen Erfolg landete er jedoch mit den Lizenzspielen zur "Enter The Matrix"-Trilogie. Seit 2006 arbeitet Perry als kreativer Leiter der neu gegründeten Videospielfirma Acclaim, die mit dem alten Publisher nur den Namen gemein hat. David Perry will von dort aus mit kostenlosen Online-Rollenspielen für Gelegenheitsspieler den Markt aufzumischen. In einer deiner Reden hast du mal gesagt, jedes erfolgreiche Spiel benötige einen Hook, eine einzigartige Grundidee, die sich in einem Satz ausdrücken lässt. Mit welchem Hook würdest du dein Leben beschreiben? Alles ausprobieren - nichts meistern. Das heißt? Ich konzentriere mich nicht auf eine Sache, sondern auf alles Mögliche. Es gibt Menschen, die spielen in der Freizeit Golf. Punkt. Ich sage mir: Golf? Gute Idee, spielen wir Golf. Danach aber gehe ich tauchen. Oder skaten. Ich fliege gern Helikopter. Alles, was sich mir anbietet, probiere ich aus. Das ist ein Riesenvorteil, denn egal, wer neben mir sitzt: Wir haben was zu reden, was gemeinsam. Das hilft. Dann ist das eines der geheimen Rezepte deines Erfolgs? Ich denke schon. Dabei ist es ein merkwürdiger Ansatz. Die meisten Menschen wollen ja eine Disziplin meistern. Sie lernen Gitarre mit dem Ziel, die Meisterschaft darin zu erlangen. Ich lerne alles so weit, bis ich das Prinzip verstanden habe. Bringt mir eine Sache keine neuen Erkenntnisse mehr, verliere ich das Interesse daran. Im Sporttauchen brachte ich es bis zum Lehrer und war an allen bedeutenden Orten getaucht. Das reichte. Häkchen auf meiner Liste, weiter zu anderen Dingen. Rein beruflich könnte dein "Hook" auch lauten: "Erschaffen und helfen". Einerseits bist du Schöpfer legendärer Spiele, andererseits tust du alles, um Menschen zu helfen, selber in das Geschäft einzusteigen und erfolgreich zu werden. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn jemand durch deinen Rat einen Platz in diesem Geschäft gefunden hat. Mittlerweile sprechen mich auf jeder Messe Leute an und sagen: Danke, du warst der einzige, der meine Fragen beantwortet hat. Antworten sind so leicht zu geben und bewirken so viel. Daher habe ich die wichtigsten auf Dperry.com gesammelt, sodass 24 Stunden geholfen wird, auch wenn ich mal keine Zeit habe. Mit GameInvestors.com hilfst du Entwicklerteams sogar mit Geld aus. Wie geht das? Diese Firma habe ich gerade frisch gegründet, die Internetseite ist noch nicht fertig. Die Idee dazu entstand, weil sogar die Veteranen des Geschäfts immer wieder Probleme haben, Geldgeber für ihre Projekte zu finden. Du könntest dich doch auch zurücklehnen und deinen Ruhm als Designer genießen. Stattdessen verrätst du Rezepte und förderst andere. Wo kommt das her? Weil ich meine Arbeit liebe. Ich mache diesen Job jetzt seit 25 Jahren und verfolge alles, was in der Industrie passiert. Einerseits kommt es mir wie ein ewiger Kreislauf vor, andererseits stehen wir jeden Tag vor Problemen, die wir so noch nicht kennen. Gerade jetzt, wo ich meine Firma Shiny Entertainment verlassen und mit Acclaim in die MMO-Welt eingestiegen bin. Das war wie ein Reset. Ich lerne wieder. Es ist wie der Wilde Westen. Schon als Teenager hast du erste Game-Codes in Magazinen veröffentlicht und sogar Geld dafür bekommen. War das für dich ein Schlüsselmoment? Programmieren erzeugt eine schwer zu beschreibende Euphorie. Man spürt, etwas unter Kontrolle zu haben. Dazu kommt, dass ich in Belfast auf die Methodistenschule gegangen bin, in der ich Latein lernen musste. Das Programmieren zeigte mir, dass es auch andere Wege gibt sein Leben zu verbringen. Wege, die glücklicherweise nichts mit Latein zu tun haben. (lacht) Du hältst Vorträge über Lizensierungen. Figuren wie Earthworm Jim wurden auch als Cartoon und Spielzeug groß. Hast du immer schon die Nase fürs Geschäftliche gehabt? Viele Menschen glauben, sie müssten das Geschäftliche selbst erledigen. Ich habe einen anderen Ansatz. Ich denke mir: Brauche ich gute Grafik, hole ich mir einen Grafiker. Brauche ich Musik, engagiere ich einen Musiker. Also suche ich mir auch fürs Geschäftliche Experten, die sich mit nichts anderem beschäftigen. Wer erst mal gesehen hat, wie ein professioneller Unterhändler arbeitet, wird seine Geschäftsgespräche nicht mehr selbst führen. Dein aktuell meistdiskutiertes Projekt "Top Secret" widerspricht dem auf den ersten Blick. Hier entsteht ein Spiel komplett durch die Mitarbeit und Anregungen Tausender Amateure. Hoffst du, darunter ein paar echte Könner zu finden? Ich verfolge die Idee des Web 2.0 sehr intensiv und setze mit "Top Secret" voll auf diesen Mitmachfaktor. Unglaublich viele Leute registrierten sich, sobald das Projekt online war. Wir machten aber auch die Erfahrung, wie kompliziert das ist. Jede Antwort unsererseits zog 50 Fragen nach sich. Trotzdem bleiben wir hartnäckig. Mittlerweile haben sich die Besten der Teilnehmer zu einem Advisory Board geformt. Ihre Einfälle sind großartig, das Spiel wird eine völlig neue Grundidee haben und konkurrenzlos sein. Für die konkrete Umsetzung müssen wir jedoch Entwickler und Designer dazuholen. Alles in allem taugen aus der Masse der Teilnehmer also nur wenige? Meine Prognose, dass ein Prozent der Leute wirklich hilfreich sein würden, bestätigt sich. Bei einem Prozent von 400000 Usern sind das 4000 Talente. Ein Entwicklerteam besteht heute aus 30 bis maximal 150 Leuten. Die Ein-Prozent-Regel verschafft uns also nicht nur ein einziges, sondern viele Teams. Und sobald die erste spielbare Demo online geht, werden sich diese Zahlen sogar noch verdoppeln. Wann das genau sein wird, verkünden wir im Laufe des kommenden Monats. Es gibt auch Kritik an der unter "Web 2.0" zusammengefassten Entwicklung. Der Journalist Andrew Keen bezeichnet den "cult of the amateur" in seinem gleichnamigen Buch sogar als "Tod unserer Kultur". Du hingegen prognostizierst und begrüßt, dass das klassische Produkt verschwindet und bald alles nur noch digital, online und User-bestimmt sein wird. Sägst du damit nicht am Ast, auf dem du sitzt? Das besagte Buch lebt von Menschen, die aus Prinzip nur Artikel von Journalisten lesen. Ich sehe das anders. Ich halte Blogs für weitaus interessanter als das "Wall Street Journal". Sie gehören niemandem. Die Pressenetzwerke dagegen sind in der Hand von Konzernen, die bestimmte Parteien unterstützen. Die Internet-Gemeinschaft ist vielseitiger und schneller. Die rein digitale Verbreitung von Spielen sollte man vor dem Hintergrund der Vergangenheit sehen. Damals hatten wir keinerlei Verbindung zu unseren Kunden. Wir machten ein Spiel, lieferten es aus, und das war's. Dann kam die Zeit der ersten Foren, durch die man Anregungen aufnehmen, aber erst im nächsten Spiel umsetzen konnte. Sind Spiele aber nur noch online, kann ich sagen: "Danke Leute, ich weiß, dass Level 3 zu schwer ist, wir haben es soeben verändert." Digitale Distribution bringt also bessere Kundenbindung. Außerdem spart man eine Menge Geld, wenn die Mittelsmänner wegfallen, das Porto, Verpackung, Versicherung, Vertrieb, Remittenden, Kooperationen, Provisionen... Das ändert aber nichts an der Piraterie. Selbst das wird besser, nicht schlechter. In China muss sich jeder Spieler eines Online-Spieles beim Einloggen authentifizieren. Das reduziert Piraterie. Auch das Downloaden von Spielen in die Konsolen ist sehr sicher. Geh mal in Thailand über einen Markt, du findest dort jedes einzelne Playstation-Spiel als Kopie für einen Dollar. Das ist so nicht mehr möglich. Kratzt es nicht an der Eitelkeit, dass heute viele mitmachen und man nicht mehr alleiniger Schöpfer ist? Es ist ein Riesenvorteil, dass heute alles teambasiert läuft. Das ändert aber nichts daran, dass es weiterhin eines Team-Leaders bedarf, der die verbindlichen Entscheidungen trifft. Dein größter Verkaufserfolg war "Matrix", ein Spiel, das völlig hinter der Qualität deiner Klassiker zurückblieb. Hattest du nie Angst, dass "Matrix" dein Image ankratzt? Man muss dazu die Mechanismen des Geschäfts verstehen. Nimm an, du bist David Perry und betreibst ein Studio. Die Entwicklung kostet eine halbe Millionen im Monat. Jetzt hast du die Wahl. Entweder du veröffentlichst das Spiel ohne dieses oder jenes Feature, oder du wartest weitere 60 Tage, bis es wirklich genau deinen Vorstellungen entspricht. Das kostet dann aber eine glatte Millionen Dollar mehr. Was machst du? Sicher, für dein Ego wäre es besser zu warten. Aber für das Team? Für die Firma? Den Publisher? Vielen Leuten ist das nicht klar. Ich selbst habe die Entwickler von "Guitar Hero" gefragt, warum man im 2-Spieler-Modus nicht separat einstellen könne, ob der eine ein Profi und der andere ein Einsteiger ist, und sie sagten: "Das wollten wir doch tun! Aber wir mussten fertig werden, die Deadline war verstrichen." Der Spieler kriegt die Gründe, warum etwas fehlt, nicht mit. Aber glaub mir: Es liegt nicht daran, dass die Entwickler es nicht wüssten. Hat man dir jemals vorgeworfen, zu viel zu machen? Das ist meine größte Schwäche. Würde ich mir die Zeit nehmen, an einem Spiel so lange herumzufeilen, bis es absolut meinen Vorstellungen entspricht, wäre es ein verdammt raffiniertes Werk. Aber Spiele kosten Zeit. Eine Idee meinerseits könnte das Team drei Wochen in der Umsetzung kosten. Außerdem bin ich zu hibbelig, um nur eine Sache zu machen. Momentan bin ich in einer Lernphase. Ich forsche über den asiatischen Markt, die Massive Multiplayer Games, neue Wege von Marketing und Werbung, Preissenkungen, Marktvergrößerung, Lizenz-Deals, all diese Dinge. Ich balanciere auf Messers Schneide in diesem Bereich, es ist sehr risikoreich, aber es ist auch faszinierend. Du bist arbeitssüchtig! Ja, ich arbeite bis 2 Uhr nachts jeden Tag. Und wie vereinbarst du das mit deinem Familienleben? Meine Schwester aus Australien fragte neulich, wann sie mich besuchen könne. Da kann ich nur sagen: Die nächsten vier Jahre sind ausgebucht. Also sagt sie einfach, wann sie kommt, und ich passe mich an. Hast du Kinder? Eine kleine Tochter. Das ist das einzige, was ich bereue: dass ich für sie zu wenig Zeit habe. www.dperry.com www.gameconsultants.com Interview: Oliver Uschmann