Ghost Recon Advanced Warfighter 2
Vier Folgen und vier Add-ons plus diversem Online-Content – und das alles in nur sechs Jahren. Wie schaffen es die Entwickler Red Storm trotzdem, ihrer Taktikshooter-Serie "Ghost Recon" immer wieder frische Impulse zu verleihen? Wir haben sie in North Carolina besucht und nachgefragt
Ein Backsteinwürfel von einem Bürokomplex duckt sich höflich zwischen die umliegenden Häuser. Davor: sauber aufgereihte Neuwagen und ein Rasenstreifen, so akkurat gestutzt und grün, als wäre er von einem Programmierer in einem Videospiel verlegt worden. Das Hauptquartier des Entwicklers Red Storm wirkt von außen noch aufgeräumter als der Rest von Morrisville, einem verschlafenen 14000-Seelen-Städtchen mitten im US-Bundesstaat North Carolina. Das Gebäude, der Rasen, die Wagen - das alles vermittelt einen Eindruck von Ordnung und Effizienz.
Irgendwie macht das Sinn. Denn hinter diesen Türen werden er-folg-reiche Videospiele quasi am Fließband produziert.
In drei Groß-raum-büros sitzen mehr als 100 Menschen hinter ihren State-of-the-art-Computern und arbeiten an der "Ghost Recon"-Serie. 2001 erschien der erste Teil. Bis 2006 wurden ein Nachfolger, vier Add-ons und "Ghost Recon Advanced Warfighter" nachgeliefert. Drei Spiele und vier Erweiterungen in fünf Jahren - von diversem zusätzlichem Download-Content mal abgesehen. Und als wäre das noch nicht genug, erscheint nun, kaum ein Jahr nach der letzten Veröffentlichung "Ghost Recon Ad-van-ced Warfighter 2", kurz "GRAW2". Das macht insgesamt acht Veröffentlichungen in nur sechs Jahren.
Was für ein Pensum! Solche Release-Frequenzen findet man sonst nur bei Sportspielen, die zwar immer das aktuelle Jahr hinterm Na-men stehen haben, sonst aber außer ein paar neuen Feinheiten im Spiel hauptsächlich aktualisierte Mannschaften bieten. Nicht so bei der "Ghost Recon"-Serie. Mit jedem Teil erwartet den Spieler eine inhaltlich neue, umfangreiche Einzelspielerkampagne. Hinzu kom-men beständige Verbesserungen des Gameplays und vor al-lem der Optik. Die stetig wachsende Fangemeinde honoriert dies, wartet auf jeden Teil so gespannt wie andere auf eine neue Playstation-Generation.
Lauern, taktieren, abwarten
Der neue Teil von "Ghost Recon" setzt die Geschichte seines Vorgängers fort. In "GRAW" zettelten mexikanische Rebellen einen Putsch gegen ihre Regierung in Mexiko City an. Doch die Ghost-Einheit um Scott Mitchell brachte das Krisengebiet unter ihre Kontrolle und befreite den amerikanischen und den mexikanischen Präsidenten aus den Fängen der Aufständischen. Um sich für diese Niederlage zu rächen, versuchen die verbliebenen Rebellen nun zwei Atomsprengköpfe in die USA zu schmuggeln. Ein weiteres Mal schickt der US-amerikanische Geheimdienst die Ghost-Einheit los, um das Problem zu lösen. Doch das nur am Rande. Denn eigentlich geht es den Fans der Serie nicht wirklich um die Story. Viele von ihnen spielen die Spiele sogar eher trotz der Handlung. Denn diese ist, ganz im Sinne des Autoren Tom Clancy, versetzt mit schwer erträglichem Patriotismus und einer bescheuerten Romantisierung des Alltags amerikanischer Soldaten.
Früher hat sich Clancy die Handlung der Spiele noch selbst ausgedacht. Heute wird der Autor nur noch konsultiert, um die Geschichten inhaltlich abzunicken. Er selbst gründete Red Storm Entertainment 1996, um aus seinen milionenfach verkauften Militärromanen ebenso erfolgreiche Spiele zu machen. Und tatsächlich. Elf Jahre nach der Gründung sind sämtliche Games mit Tom Clancys Namen auf dem Cover echte Bestseller. Spiele-Serien wie "Rainbow Six", "Splinter Cell" oder eben "Ghost Recon" werden für ihr gutes Gameplay auf der ganzen Welt geliebt.
Im Falle von "Ghost Recon" liegt das wohl an der Ruhe, die dem Spiel innewohnt. Das Lauern, Taktieren, Abwarten. Die Minuten, die man einen Gegner zusammen mit seiner Einheit belauert, seine Truppe in Po-sition bringt, bevor man ihn ausschalten kann, den plötzlichen Knall, mit dem der tödliche Schuss die Stille zerreißt, der Schuss, der die anderen Feinde deine Position erahnen lässt.
Groß und erfolgreich wurde Red Storm aber nicht mit "Ghost Recon", sondern mit "Rainbow Six", ebenfalls ein teambasierter Taktikshooter. So erfolgreich, dass Clancy irgendwann an Ubisoft verkaufte. Heute gilt das Studio als eines der produktivsten Tochterunternehmen des großen französischen Publishers. Aber wie macht es das nur? Wie schafft man es, in so hoher Frequenz neue Spiele zu produzieren? Hütet das Studio viel-leicht ein Ge-heim-nis hinter der gläsernen Eingangsfront?
Auf der Suche nach dem Masterplan
Ein kleiner Mann in braunen Shorts, legerem Kurzarmhemd und bequemen Sandalen wartet am Eingang. Er sieht nicht gerade aus, als würde er Geheimnisse hüten wollen. Sein Name ist Christian Allen, er ist der Crea-tive Director bei Red Storm, und gleich zur Begrüßung lässt er einen gut gesicherten Raum aufschließen, die Asservatenkammer. Hier lagern kistenweise Militäruniformen, Maschinenpistolen, Blend- und Splittergranaten. "Alles nicht funktionsfähig, nur Attrappen, damit wir das genau nachbilden können", versichert Allen. Er müsse das ja wissen, immerhin sei er früher selbst US-Marine gewesen, also ein Elitesoldat. Gewiss nur ein Scherz, so freundlich wie er hinter seinem Kinnbart hervorlächelt. Es ist kein Scherz.
Aha, das erste Ass im Ärmel des Teams scheint also zu sein, dass es bei fachlichen Fragen nicht jedes Mal den schwer erreichbaren Militärexperten bei der Army anrufen muss, sondern dass der Man mit Know-how in Sachen Kriegsführung gleichzeitig der kreative Kopf und Chef des Teams ist. Christian Allen kennt die taktischen Finessen des Häuserkampfes ebenso wie die Vorzüge und Nachteile bestimmter Levelaufbauten aus dem Effeff. Haben vielleicht am Ende sogar alle bei Red Storm gedient? Zu den Spielen würde es ja passen.
Nicht ganz. Dem Realismus hat sich zwar auch Jeremy Brown verschrieben. Er ist schon seit dem ersten Teil der Serie der Designer für die Botanik im Spiel. Aber anstatt seine Zeit in der Armee zu verbringen, hat er mehrere Jahre im Dschungel von Papua-Neuguinea verbracht. Die Pflanzenwelt ist seine Mission, und wenn er von einem umgefallenen Baumstamm im Spiel redet, hört sich das an, als spräche er von einem Freund.
Das "Ghost Recon"-Team scheint also aus Fachleuten in mehrfacher Hin-sicht zu bestehen. Aus fähigen Gamedesignern zum einen und informierten Experten in ihrem jeweiligen Gebieten zum anderen. Doch "nur" gute Leute, das alleine kann es doch nicht nicht sein. Die gibt es selbstredend auch in anderen Studios. Da muss eine ausgefeilte Stra-tegie hinter den kurzen Produktionszyklen stecken. Ein streng gehüteter Masterplan in irgendeiner fest verschlossenen Schublade. Nur: Was steht auf dem?
"Ich bin sicher", lacht Christian Allen, "irgendwer hat irgendwo einen Strategieplan." Die vermeintliche Strategie würde aber vor allem durch Technologiesprünge definiert. Oder davon, wie zufrieden das Team mit den Ergebnissen ist. Von "Ghost Recon" zu "Ghost Recon 2" hat es zum Beispiel die Grafik-Engine komplett neu gemacht, aber viele andere Dinge, wie die Simulation der Physik, blieben beim Alten. Zum Teil sind sogar noch Elemente in "GRAW 2" vorhanden, die bereits in "Ghost Recon 2" ihren Dienst taten. Die künstliche Intelligenz für Helikopter etwa. Das Stück Programmcode wurde damals von einem ausgewiesenen Hubschrauberspezialisten geschrieben, erklärt Allen. Warum also austauschen, was sich bewährt hat?
Kleine Schritte, großes Spiel
Also kein Masterplan? Keine ausgeklügelte, militärisch straff organisierte Strategie? Natürlich werden die Arbeitsprozesse immer optimiert, um das Studio in die Lage zu versetzen, Spiele noch schneller abzuliefern, erklärt Allen Schulter zuckend. So baut man bei Red Storm zum Beispiel die neuen Maps des Nachfolgers immer mit der Technologie des jeweils aktuellen Spiels. So kann man sie schon lange vorher auf Spielbarkeit, taktische Tiefe und Spielspaß hin abklopfen - das spart Zeit und Kosten. Vor allem steigert es aber die Qualität. Denn nur die besten Maps wer-den überhaupt mit der neuen Technologie umgesetzt. Auch andere Features werden schon lange vorher ausgedacht, entwickelt, ausprobiert und nach und nach perfektioniert. Manchmal schaffen sie es dann in das gerade entwickelte Spiel, manchmal aber auch erst in das nächste. So waren zum Beispiel der dynamische Schattenwurf, der Tag- und Nachtwechsel oder die Möglichkeit, sich in die Helmkamera des Mitspielers einzuloggen, bereits als Prototypen für den Vorgänger programmiert worden, fanden aber erst in "GRAW2" ihren Weg ins Spiel. Doch auch dieser Angang scheint eher spielerisch und ungeplant als Teil eines Masterplans zu sein. Als würde viel herumprobiert, mit den Möglichkeiten gespielt und am Ende nur die besten Sachen aus dem virtuellen Sandkasten ins Spiel geholt.
Kritiker halten diese Verbesserungen im Spiel vielleicht lediglich für Kleinigkeiten. Details, die sich von Spiel zu Spiel verändern, an dem Grundprinzip "Ghost Recon" aber nicht groß rütteln. Doch wirft man einen Blick auf die gesamte Serie, sieht das schon anders aus. Ein Beispiel: In den ersten Teilen konnte man den Story-Mode nur als Einzelspieler meistern. In "GRAW2" ist es hingegen möglich, neben der eigentlichen Story um die Ghost-Einheit, online mit bis zu 16 Freunden gemeinsam im Coop-Modus sechs Level zu spielen, die einen Nebenaspekt der Ge- schichte erzählen - nämlich wie die mexikanischen Rebellen überhaupt an die Atomsprengköpfe gekommen sind. Das ist nicht nur erzählerisch ein schlauer Kunstgriff, sondern auch spielerisch. Auch jedem Nicht-Taktikshooter-Fan dürfte aufgehen, dass eine 16-Spieler-Coop-Kampagne, also eine Geschichte, die man mit 15 anderen erleben kann, ein Auftrag, den man gemeinsam mit so vielen Leuten erledigen kann, etwas ziemlich Besonderes ist: eine beeindruckende Neuerung, jenseits der perfekten Rauchwolke nach einer Panzerexplosion. Und auf jeden Fall beeindruckender als ein neuer Name auf dem Trikot eines Fußballvereins in einem der alljährlich erscheinenden Sportspiele.
Beim Abschied ist es fast komisch, Christian Allen außerhalb des Studios zu sehen. Wie er da im Eingang steht. Ohne all die High-Tech-Computer, die Pläne an den Wänden, die Mitarbeiter um ihn herum. Ohne all das wirkt Allen keine Sekunde wie ein schwer beschäftigter Chef-Entwickler. Eher wie ein Urlauber. Aber wir wissen natürlich, dass eine Auszeit für ihn nicht in Frage kommt. Und, wann kommt "GRAW3"? Vielleicht schon Ende des Jahres? "Ich glaube kaum", sagt er und lächelt dabei, als würde uns das Spiel schon im nächsten Frühjahr erwarten.
Das Spiel
Scott Mitchell, der Held aus "GRAW 2", steht unter Druck, immensem Druck. Das hat man nun von dem begeisternden Realismus des Spiels. Realistisch zu sein erschöpft sich hier nämlich nicht in einer authentischen Flora und Fauna oder penibel ihren Originalvorlagen gleichenden Waffen. Der Realismus in "Ghost Recon" geht unter die Haut, zeigt sich in der Intensität der Straßengefechte oder dem enormen Stress, seinem Gegner ständig einen Schritt voraus sein zu müssen. Wo andere Games sich Taktik-shooter nennen, nur weil drei Kameraden mehr schlecht als recht mit einem durch die Levels ziehen, kann der Spieler hier allein mit handfesten Strategien bestehen. Und dazu stehen ihm mehr Möglichkeiten denn je zur Verfügung: Gleich zwei separate Teams lassen sich nun aus Schützen, Scharfschützen, Grenadieren und - neu - Sanitätern zusammenstellen und herumkommandieren. Zudem kann man eine Aufklärungsdrone über das Feindesgebiet schicken oder einen Miniroboter als mobile Deckung und Waffen-lager mit ins Feld führen.
Zum Glück wissen die Entwickler von Red Storm aus ihrer jahrelangen Serienerfahrung, wann der Realismus enden sollte. Bei den eigenen Überlebenschancen etwa: Denn ein, zwei Treffer bedeuten bei "GRAW 2" nicht mehr zwingend den Levelneustart, dem neuen Sanitäter im Ghost-Team sei Dank. Außerdem lassen sich die an-deren Soldaten mit ihrer verbesserten KI jetzt kinderleicht per Richtungszeig durch die Gegend delegieren. Dies hilft Neulingen, raubt Serienveteranen auf der Suche nach neuen Herausforderungen allerdings vielleicht etwas den Enthusiasmus. Profis freuen sich jedoch über der erhöhten Actiongehalt, diverse Sondereinsätze im Helikopter oder den nochmals aufgebohrten Onlinemodus. Es gibt schließlich nicht wenige Fans, die behaupten, dass "Ghost Recon" vor allem im Online-Spiel zu Höchstleistungen auflaufe. Speziell der fulminante Coop-Modus, in dem nun bis zu 16 Spieler gemeinsam sechs Level meistern können, beweist warum.
Fazit Ignoriert man den übertriebenen Patriotismus, zeigt sich, dass die Serie über die Jahre auf Top-Niveau herangereift ist. Die neue Folge bietet zugleich mehr Action und mehr Realismus. Das soll "Ghost Recon Advanced Warfighter 2" erst mal einer nachmachen.
Für Freunde von "Rainbow Six", "Full Spectrum Warrior", "Socom".
Text: Christian Gaca
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