Moral Kombat
Die "Killerspiel"-Debatte spitzt sich zu: Die CSU fordert ein Herstellungsverbot, die CDU reagiert mit einem Sofortprogramm. Aber was genau steht da drin? Und wie sehen das die anderen Parteien? Ist die Hexenjagd vorbei? Oder geht sie gerade erst los? Eine Bestandsaufnahme
Als am 20.11.2006 die Meldung eines Amoklaufes an einer Schule in Emsdetten durch die Medien sickerte, dürften Computerspieler überall in Deutschland reflexhaft ein Stoßgebet zum Himmel geschickt haben: "Lieber Gott - lass ihn der eine Kerl in seiner Klasse gewesen sein, der keine Shooter gespielt hat!" Es blieb ein frommer Wunsch.
Zwar hatte der Amokläufer in einer Online-Erklärung ausführlich die Gründe für seine Tat dargelegt: soziale Ausgrenzung, Mobbing, Druck durch Schule und Mitschüler, Perspektivlosigkeit. Doch diese komplexen sozialen Faktoren wurden in der folgenden öffentlichen Debatte völlig ignoriert. Stattdessen schossen sich Politik und Medien reflexartig auf die üblichen Verdächtigen ein: die so genannten Killerspiele.
Die kritischsten Stimmen erklangen aus der CSU. Bayerns Innenminister Günther Beckstein forderte entschieden eine Verschärfung der gesetzlichen Kontrolle des virtuellen Waffengebrauchs. Sein niedersächsischer CDU-Kollege, der bekennende Sportschütze Uwe Schünemann, stimmte ein, und bald war klar: Aus Unionskreisen würde noch im Winter ein Gesetzesentwurf gegen "Killerspiele" kommen.
Games, Killer und Handy-Pornografie
Wenig später lag das CSU-Papier vor, mit dem das nächste Emsdetten verhindert werden sollte. Es forderte Herstellungsverbote, automatisches Verbot von Spielen, in denen man "grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen" spielen kann, und Gefängnisstrafen für alle, die sich an diese Vorgaben nicht halten.
Dann, kurz vor der Verhandlung des Vorschlags im Bundesrat, brachte unerwartet die CDU einen alternativen Vorschlag ins Rennen: Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen und der nordrhein-westfälische Familienminister Armin Laschet stellten ein Sofortprogramm zur Verschärfung des Jugendmedienschutzes vor, das in erster Linie die bisherige Arbeit der USK strikter und transparenter regeln soll und eine sofortige Indizierung von "gewaltbeherrschten" Computerspielen ohne Prüfverfahren fordert.
Am 16. Februar beriet der Bundesrat über den CSU-"Killerspiel"-Gesetzentwurf. Doch dieser stieß aufgrund seiner unklaren Begriffe und überzogenen Forderungen auf breiten Widerstand. Alle Bundesländer - ausgenommen Bayern - stimmten für eine Vertagung der Verhandlung bis zum Herbst. Es sollten zumindest noch die bis Herbst vorliegenden Ergebnisse einer Studie zur Wirksamkeit des deutschen Jugendmedienschutzes abgewartet werden, welche die Bundesregierung derzeit in Auftrag gegeben hat. Paradoxerweise beschloss der Bundestag zur selben Zeit, das CDU-Sofortprogramm noch vor Vorliegen ebenjener Studienergebnisse bis zum Sommer umzusetzen. Bedauerlicherweise erklärte sich auf unsere Anfragen hin niemand aus der CSU bereit, Rede und Antwort zu ihrem Gesetzesvorschlag zu stehen. Unsere Fragen, so die lapidare Antwort, hätten ihnen "nicht gefallen". Stattdessen schickte man uns eine im (von Edmund Stoiber herausgegebenen) "Bayernkurier" abgedruckte Stellungnahme zu, in der "Killerspiele" in einen Topf mit Amokläufen, "brutalen Killern" und irgendwie auch noch Gewaltvideos und pornografischen Inhalten auf Handys geworfen wurden.
"Gewaltbeherrschte" Computerspiele
Angesichts der mehr als verhaltenen Reaktionen der anderen Parteien auf den bayrischen Vorstoß wird es also zunächst einmal das CDU-Sofortprogramm sein, das maßgeblich bestimmt, was sich in naher Zukunft im deutschen Jugendmedienschutz ändert. Rigorose Herstellungsverbote, wie sie der CSU vorschweben, sind hierin nicht vorgesehen.
Armin Laschet begründet dies: "Die Wirkung von Verboten auf den Jugendschutz ist umstritten. Wir sind der Meinung, dass die bestehenden Verbotsregelungen ausreichen. Sie müssen aber konsequent angewandt werden." Ganz in diesem Sinne umfasst das Programm eine ganze Reihe von Plänen zur personellen Stärkung der USK, zur klareren Kommunikation ihrer Prüfungskriterien, zur Einführung besser sichtbarer Alterssiegel oder auch zu einer strikteren Kontrolle, ob die Altersfreigaben vom Handel eingehalten werden.
Und doch ist eine lediglich konsequentere Umsetzung der bereits bestehenden Jugendmedienschutz-Kriterien entgegen Laschets Äußerung offenbar nicht alles, was hinter dem Sofortprogramm steht. Denn hierzu wären die bereits bestehenden juristischen Begriffe der "jugendgefährdenden" oder "gewaltverherrlichenden" Inhalte vollkommen ausreichend. Doch das Sofortprogramm fügt quasi im Vorbeigehen einen neuen Begriff hinzu: Den der "gewaltbeherrschten" Computerspiele. Diese seien zukünftig ohne jedes Prüfverfahren zu indizieren. Aber was genau ist nun ein "gewaltbeherrschtes", was ein "nicht gewaltbeherrschtes" Computerspiel? Erstaunlicherweise war Laschet selbst nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Die juristische Definition werde derzeit noch "in Vorbereitung eines konkreten Gesetzestextes entwickelt". Wohlgemerkt: nachdem, nicht bevor, beschlossen wurde, dass dieses Gesetz umgesetzt werden soll.
Doch die begriffliche Verwirrung geht noch weiter. Mit einer weiteren Neuerung sieht das Programm nämlich vor, künftig auch "deutlich visualisierte Gewaltanwendung", die "mit ‚Leben sammeln‘ oder Erreichen eines weiteren Levels belohnt wird" auf den Index zu setzen. Spätestens hier stellten sich bei vielen Spielern böse Ahnungen ein, was künftig alles als "deutlich visualisierte Gewaltanwendung" definiert werden könnte. Laschet beschwichtigt: "Wir wollen sicher nicht, dass künftig Spiele wie ,Mario Kart‘ oder ,World Of Warcraft‘ nur noch für Erwachsene zugänglich sind. Im Kern geht es darum, die Kriterien der Indizierung klarer zu fassen und transparenter zu machen." Ob dies durch das eilige Durchwinken vollkommen ungeklärter Gesetzesbegriffe erreicht werden kann, sei dahingestellt.
Produktion von Sprechblasen
Die Reaktionen auf die Vorschläge von CSU und CDU waren nicht nur unter Spielern skeptisch. Grietje Bettin und Kai Gehring von den Grünen beklagten: "Hier wird durch unklare Begriffe der Willkür Tür und Tor geöffnet. Bei der Förderung von Jugendarbeit und Medienkompetenz würden wir uns so viel Engagement und Kreativität wünschen, wie momentan in die Produktion von Sprechblasen zum ,Killerspiele‘-Verbot investiert werden." Miriam Gruß von der FDP appellierte: "Wir stehen gerade erst am Beginn des Medienzeitalters und reagieren mit Verboten, statt offensiv mit den Themen umzugehen. Eine schleichende Zensur ist das Schlimmste, was uns da passieren kann." Und Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, warnte, man laufe mit den derzeitigen Verschärfungsplänen im Jugendmedienschutz Gefahr, die im Grundgesetz verankerte Meinungs- und Kunstfreiheit zu verletzen: "Erwachsene müssen das Recht haben, sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auch Geschmacklosigkeiten oder Schund anzusehen beziehungsweise entsprechende Spiele zu spielen."
Trotz all dieser Kritik ist es beschlossen: Das Sofortprogramm soll umgesetzt werden. Sofort. Beängstigend, wie derzeit völlig selbstverständlich Richtlinien verhandelt und durchgesetzt werden, von denen vollkommen unklar ist, was sie bedeuten. Ob diese Neuerungen jugendliche Videospieler wirklich besser schützen oder schlicht und einfach Zensur bedeuten, wird sich nämlich erst zeigen, wenn die ungeklärten Begriffe mit Bedeutung gefüllt werden. Und damit scheint es das "Sofortprogramm" gar nicht so eilig zu haben.
Deshalb sind mündige Gamer heute mehr als jemals zuvor gefragt, sich kritisch und aufmerksam in die politische Debatte einzumischen. Um mit ihrem Sachverstand endlich für Klarheit zu sorgen. Und das Diskussionsfeld nicht länger allein Menschen zu überlassen, die "Killerspiele" noch immer für ein Computerspielgenre halten.
Text: Danny Kringiel
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