Kommerz 2.0
Kaum eine Woche vergeht ohne Shoperöffnung einer weltbekannten Firma in "Second Life". Nur: Wie wirkt sich das auf das Spiel aus? Und was bringt es den Firmen?
Die aktuelle, ziemlich überdrehte Berichterstattung über die Onlinewelt "Second Life" dreht sich vor allem um Markennamen: Adidas, Dell, Mercedes, Apple - alle wollen sie dort sein, alle geben sie ein bisschen Geld aus für ein virtuelles Inselchen, um dort die eigenen Waren feilzubieten. Vor allem aber, um ebenjenen Medienhype zu nutzen, der momentan um jede Shoperöffnung gemacht wird. Die alteingesessenen Bewohner von "Second Life" lässt das ziemlich kalt. Und die eben erst vom Hype Angezogenen eigentlich auch. Wer im Menü nach den "most popular places" sucht, den Orten, an denen sich aktuell die meisten Avatare aufhalten, der findet dort nie die Niederlassungen der großen Marken. Sondern vor allem Orgien-Stuben, virtuelle Puffs und Tanzveranstaltungen. Manchmal ist auch eine Schönheitskonkurrenz oder ein Livekonzert dabei. Adidas oder Apple ziehen keine Avatar-Massen an. Der Kommerz hat "Second Life" trotzdem schon seit Jahren im Griff. Bereits 2004 gab es Menschen, die ihre Arbeitskraft oder virtuelle Produkte im Spiel für so genannte Linden-Dollars, die "SL"-Währung, zur Verfügung stellten und von diesen Einnahmen ihr echtes Leben bestreiten konnten. 2007 sind es noch einige mehr - und ihr Angebot ist es, das bei den meisten Einwohnern Begehrlichkeiten weckt: eine geile neue Haut von "Shiny Things", ein rotierendes Halsband von "Bitter Thorns", ein Propellerflugzeug von Cubey Terra. Dagegen kann ein knallgelbes American-Apparel-Shirt nur abstinken. Schlimmer ist es vermutlich schon geworden mit der Gier. Die einstige Aussicht ist vielerorts durch himmelhohe Werbeplakate für die Produkte der Online-Gemeinde versperrt, Bots kriechen über die Welt, auf der Suche nach billigen Grundstücken. Aber das ist nicht die Schuld der Firmen aus dem echten Business: Das war schon immer so. Schließlich ist das Herz, die Triebfeder von "Second Life" der Kapitalismus. Seine Seele aber bleibt die Subkultur: die Furries und die Cyberpunks, die Hippies und die Fetischisten. Zum Glück. Christian Stöcker schreibt für "Spiegel online" ein "Second Life"-Tagebuch Was verspricht sich ein Weltkonzern wie Mercedes-Benz von einer Filiale in "Second Life"? Dr. Olaf Göttgens, Vice President Brand Communications Mercedes-Benz Pkw, gibt Antwort. Wie sieht der Mercedes-Fahrer aus, den Sie in "Second Life" erreichen? Mercedes-Benz tritt in "Second Life" in direkten Kontakt zu einer modernen, internet- und technologieaffinen und designorientierten Zielgruppe. Mit der Präsenz in "Second Life" können wir nicht nur in Dialog mit bestehenden Mercedes-Benz-Kunden kommen, sondern auch potenzielle Kunden für die Marke begeistern. Bei der Eröffnung der virtuellen Mercedes-Benz-Filiale bekam jeder Besucher einen virtuellen Formel-1-Anzug mit Helm geschenkt. Faszinierend an "Second Life" ist die fast völlige Freiheit der User. Wie reagiert Mercedes-Benz, sollte der Formel-1-Anzug für irgendwelche anstößigen Sexspielchen missbraucht, öffentlich verbrannt oder sonstwie diskreditiert werden? Wir gehen davon aus, dass die Besucher unserer Mercedes-Benz-Insel in "Second Life" den Anzug als Kleidungsstück für ihre Avatare einsetzen werden oder Anzug und Helm in ihrem Inventar aufbewahren.