"Games als Rohstoff"
Videospiele schaffen es immer öfter als Kunstwerke in die Museen dieser Welt. Dr. Tilman Baumgärtel, Kurator und Experte für Computerspielkunst, erklärt warum
GEE: Herr Dr. Baumgärtel, was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Computerspiel und Computerspielkunst? Dr. Baumgärtel: Künstler, die mit Computerspielen arbeiten, benutzen Games als Rohstoff für ihre Arbeit und versuchen ihnen etwas abzugewinnen, das über das reine Spielen aus Spaß und zur Erholung hinausgeht. Ein Ansatzpunkt von vielen Künstlern ist es, die "Blümchentapete" der Spieloberflächen kaputt zu machen und die "Matrix" darunter frei zu legen. Sie machen aus einem Spiel einen Kommentar über das Spiel oder über das Spielen. Wer ist aus Ihrer Sicht derzeit der aufregendste Computerspielkünstler? Die Künstlergruppe Jodi (siehe Kasten) arbeitet am längsten und am konsequentesten mit Spielen, nämlich schon seit mehr als zehn Jahren. Ihre Arbeiten sind konzeptionell und ästhetisch durchdacht. Was fasziniert Sie an Computerspielkunst? In Computerspielen ist vieles möglich, was in der wirklichen Welt nicht geht. Die meisten erfolgreichen Spiele sind aber nur virtuelle Versionen vom Konkurrenzkampf aller gegen alle. Warum kann man in "Command & Conquer" nur Krieg, nicht Liebe machen? Wieso muss Super Mario Schätze horten statt sie zu verschenken? Wo ist der virtuelle Kommunismus? Auf solche Fragen kommen Gamedesigner offenbar nicht, also muss die Kunst sie stellen. Werden also bald Computerspielkunstwerke neben dem Picasso im Louvre hängen? Der Videospielkünstler Cory Arcangel (siehe Kasten) hat seine Arbeiten ja bereits im Guggenheim und im Museum Of Modern Art in New York austellen dürfen. Was aus unserer Zeit später im Museum aufbewahrt wird, entscheidet zum Glück erst die Nachwelt. Und vielleicht findet die solche Meta-Spiele von Künstlern ja epigonal und hält sich lieber an die Originale. Denn man kann schon heute mit einer gewissen Berechtigung behaupten, dass Spiele wie "Counter-Strike" oder "Second Life" die größten kollektiven Kunstwerke sind, die jemals geschaffen wurden. So viele Menschen, wie am Leveldesign von "Counter-Strike" mitgewirkt haben, waren am Bau der Pyramiden oder der Ausgestaltung der Sixtinischen Kapelle jedenfalls nicht beteiligt. Drei Klassiker der Computerspielkunst 01 Miltos Manetas: "Christine With Playstation" (1997) Teil einer Gemäldereihe, die kein konkretes Spiel, sondern die Situation des Spielens zum Motiv hat. www.manetas.com 02 Cory Arcangel: "Super Mario Clouds" (2002) Hardwaremod der NES-Cartridge von "Super Mario Bros.", die von den Leveln nur den blauen Himmel und einige Schäfchenwolken übrig lässt. www.beigerecords.com/cory 03 Jodi: "SOD" (1999) Das Künstlerduo Joan Hermskeerk und Dirk Paesman verwandelte den FPS-Klassiker "Wolfenstein 3D" in ein abstraktes Formenspiel. www.jodi.org/sod