"Eine Diskussion wird verhindert"
Niedersachens Innenminster Uwe Schünemann will Deutschlands Jugend retten – vor Videospielen. Aktuell lässt er 90 Games auf ihr Gefahrenpotenzial für minderjährige Spieler untersuchen. Wir wollten jetzt schon wissen, wie gefährlich Games tatsächlich sind. Und fragten Tanja Witting, Mitarbeiterin des Instituts für Medienforschung und Medienpädagogik der Fachhochschule Köln
Frau Witting, jüngst hat Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsens unter Leitung von Christian Pfeiffer damit beauftragt, den Ratings der USK eigene Alterseinstufungen entgegenzustellen, um so nachzuweisen, dass die USK ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen ist. Ist der deutsche Jugendmedienschutz am Ende? Grundsätzlich ist gegen eine Überprüfung der USK-Ratings nichts einzuwenden - solange die von Experten der Medienforschung und Medienpädagogik vorgenommen wird. Eine sachkundige Überprüfung und Bewertung bedeutet nicht das Ende des Jugendmedienschutzes, sondern dient der Verbesserung des Jugendmedienschutzes. Ein kriminologisches Institut scheint mir zur Durchführung einer solchen Evaluation jedoch wenig geeignet. Die Beauftragung eines Kriminologen mit der Überprüfung der Altersfreigaben für Videospiele vermittelt besorgten Eltern tatsächlich den Eindruck, der deutsche Jugendmedienschutz sei am Ende. Pfeiffer hat ja das Schlagwort der "Medienverwahrlosung" in die öffentliche Computerspieldebatte eingebracht. Computerspiele werden von ihm für sinkende schulische Leistungen und steigende Jugendkriminalität verantwortlich gemacht. Sehen Sie hier ebenfalls Zusammenhänge? Erst einmal muss man klären, was er überhaupt unter dem Begriff "Medienverwahrlosung" versteht. Und welche bedenklichen Folgen der Medienverwahrlosung er befürchtet. Als Effekte eines übermäßigen Medienkonsums nennt Herr Pfeiffer beispielsweise die Verarmung sozialer Kompetenz: Wer sich in seiner freien Zeit immer allein vor den Bildschirm verkrümelt, hat tatsächlich wenig Gelegenheit, Kompetenzen im Umgang mit Mitmenschen aufzubauen. Diese Erkenntnis ist in der Medienpädagogik aber nicht neu. Und Pfeiffers Begriff der Medienverwahrlosung benötigt man auch nicht, um dieses Problem zu beschreiben. Außerdem muss Mediennutzung nicht zwangsläufig zur Vereinsamung führen: Medien werden oft gemeinsam genutzt, sind Gesprächstoff und dienen als Aufhänger für Freundschaften. Wie soziale Kompetenzen durch Medien gefordert und gefördert werden können, kann man auf jeder Lan-Party beobachten. Als weitere Folge der Medienverwahrlosung nennt Pfeiffer das Absinken schulischer Leistungen. Das führt er zum einen darauf zurück, dass Zeit, die für die Hausaufgaben genutzt werden sollte, der Mediennutzung zum Opfer fällt. Nur: Kinder und Jugendliche teilten ihr Zeitpensum schon immer gern zu Ungunsten von Hausarbeiten ein. Dabei spielt es aber erst einmal keine Rolle, ob die Schularbeiten jetzt unerledigt bleiben, weil jemand am Computer spielt, auf dem Fußballplatz mit Freunden bolzt oder sich auf dem Ponyhof beschäftigt. Außerdem behauptet Pfeiffer, dass die emotionale Wucht gewalt- und actionbetonter Medien die Lern- und Merkfähigkeit der Schüler einschränke. Er verweist dabei auf die neurobiologische Erkenntnis, dass die Gedächtnisarbeit sich auf solche Eindrücke konzentriere, die emotional erheblich bewegen. Demzufolge wirken sich aber auch alle starken Gefühle, die eine im Sinne Pfeiffers gewünschte Freizeitbeschäftigung mit sich bringt, negativ auf die Merkfähigkeit von Schülern aus - zum Beispiel Romane lesen oder Fußball spielen. Hinter dem Schlagwort der Medienverwahrlosung stehen also gar keine neuen Erkenntnisse. Stattdessen trübt der skandalisierende, aus strafrechtlichen Zusammenhängen entlehnte Begriff der "Verwahrlosung" den nüchternen, analytischen Blick auf mögliche positive und negative Folgen von Mediennutzung. Wenn Kinder und Jugendliche sich tatsächlich in ihrer Freizeit ausschließlich in virtuelle Welten flüchten, ist das ein ernst zu nehmendes Anzeichen dafür, dass es an befriedigenden sozialen Kontakten mangelt. Außerdem kann eine zwanghafte Suche nach Erfolgserlebnissen in virtuellen Welten darauf hinweisen, dass es an solchen Bestätigungen in der realen Welt fehlt. Hausaufgaben bleiben möglicherweise liegen, weil sie eine nicht zu bewältigende Anforderung darstellen und in der Schule längst der Anschluss verpasst wurde. Aber aus dem Phänomen, das Pfeiffer mit "Medienverwahrlosung" beschreibt, sollte man keinen Appell ableiten, dass alle gewalthaltigen Computerspiele dumm und kriminell machen. Stattdessen sollte man daraus die Notwendigkeit ableiten, aufmerksam zu verfolgen, wie Kinder und Jugendliche mit Medien umgehen. Und die Notwendigkeit, den Mediengebrauch der Heranwachsenden zu begleiten. Immer wieder bringen Politiker tragische Amokläufe wie den von Robert Steinhäuser in Erfurt in Verbindung mit gewalthaltigen Computerspielen. Gibt es wirklich einen so eindeutigen Wirkungszusammenhang zwischen Computerspiel und Amoklauf? So eindimensionale Erklärungen greifen immer zu kurz, wenn es darum geht zu verstehen, welche Faktoren eine Gewalttat wie in Erfurt möglich gemacht haben. Im Fall Steinhäuser müsste man nicht nur seine Vorliebe für aggressionsbetonte Unterhaltungsmedien untersuchen, sondern auch seine Persönlichkeit, die Situation im Elternhaus, sein schulisches Versagen und natürlich seine Zugriffsmöglichkeiten auf echte Waffen. Aus politischer Sicht war es allerdings doppelt praktisch, stattdessen Robert Steinhäusers Interesse an Egoshootern als Hauptursache für den Amoklauf darzustellen. So konnte man von Missständen wie einer mangelhaften Waffengesetzgebung oder einem problematischen Schulgesetz in Thüringen ablenken. Außerdem war es eine gute Gelegenheit, politische Handlungsmacht zu beweisen: Man beschuldigte Computerspiele, die Tat ausgelöst zu haben. Mit der Änderung des Jugendmedienschutzgesetzes hin zu verbindlichen Altersfreigaben konnte demonstriert werden, dass man alles Nötige getan habe, um in Zukunft solche Taten zu verhindern. Ausgeblendet wurde dabei, dass es keinen politischen Schutz davor gibt, dass Menschen in ihrem Leben scheitern und Amoktaten begehen. Die Wirkungsforschung ist ja ein ziemlich breites Feld mit einer Vielzahl von verschiedenen Theorien und Ansätzen. Gibt es überhaupt Feststellungen zu den Wirkungen von Computerspielen, über die in der Forschung Einigkeit besteht? Grundsätzlich ist man sich einig, dass Medien keine festgeschriebenen Wirkungen haben. Medienwirkungen sind immer das Ergebnis ganz bestimmter individueller Interpretationen von Medienreizen - etwa bewegten Bildern oder Klängen - in ganz bestimmten Situationen und unter Berücksichtigung einer Vielzahl ineinander greifender Prozesse. In diesem Sinne kam die Forschergruppe um Kevin Durkin, die sich in der Studie "Computer Games And Australians Today" vor einigen Jahren mit der Wirkung von Computerspielen beschäftigte, zu dem treffenden Schluss: "(…) sie könnten einige Menschen unter bestimmten Umständen (die noch geklärt werden müssen) beeinflussen, (...) aber es gibt keinen bestimmten Einfluss auf junge Leute, den man verallgemeinern könnte." Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wurde vor kurzem ein generelles Verbot von "Killerspielen" angedacht. Ist eine Politik der eisernen Hand der richtige Weg, um schädliche Wirkungen von Computerspielen zu verhindern? Die Forderung eines Verbots von "Killerspielen" behindert eine sachliche Diskussion über Computerspiele. Indem man überhaupt reißerisch von "Killerspielen" redet, fällt man weit hinter den differenzierten Blickwinkel der USK und damit auch hinter den derzeitigen Stand des Jugendmedienschutzes zurück. Die USK beurteilt Games schon seit Jahren mithilfe eines umfangreichen Kriterienkatalogs. Mit dem untersucht sie alle Spielelemente darauf, was sie Spielern welcher Altersgruppe abverlangen, wenn sie die Rolle der Hauptfigur in dem jeweiligen Spiel einnehmen. Deutschland verfügt mit seinen verbindlichen Altersfreigaben bereits über das höchste Jugend-Medienschutzniveau in Europa. Die meisten Nachbarländer fühlen sich bereits durch Altersempfehlungen ausreichend geschützt. In diesen Ländern wird stärker auf die Förderung von Medienkompetenz gesetzt als auf Verbote. Daran sollte man sich auch in Deutschland stärker orientieren, anstatt immer strengere Verbote zu fordern. Verbote helfen Kindern und Jugendlichen nicht, mit Medien angemessen umzugehen. Und Eltern denken dann womöglich, mit dem Aussperren von "Killerspielen" aus dem Kinderzimmer schon genügend medienpädagogische Arbeit geleistet zu haben. Was natürlich nicht stimmt. Spielen Sie eigentlich selbst "Killerspiele"? Die Computerspiele, die bei uns am Forschungsschwerpunkt "Wirkung virtueller Welten" untersucht werden, werden selbstverständlich von allen, die an diesen Untersuchungen beteiligt sind, selbst gespielt. Das gilt auch für so genannte Killerspiele. Sie erwähnten die Notwendigkeit, Medienkompetenz zu fördern anstatt immer noch strengere Verbote zu fordern. Was müsste in Deutschland denn generell getan werden, um Medienkompetenz im Umgang mit Computerspielen zu fördern? Indem man sich beispielsweise zunächst einmal um eine sachlichere Diskussion zum Thema "Games" in der Öffentlichkeit bemüht. Und gleichzeitig Informations- und Fortbildungsangebote zu Computerspielen für Eltern und Pädagogen anbietet. Und was würden Sie als Pädagogin konkret Eltern raten, die herausfinden, dass ihr Kind gewalthaltige, für sein Alter nicht freigegebene Computerspiele spielt? Es nützt meistens wenig, dem Kind einfach zu verbieten, dieses Spiel zu spielen. Wichtig ist, die Auseinandersetzung mit den Heranwachsenden über die von ihnen bevorzugten Games zu suchen. Eltern sollten sich von ihren Kindern erklären lassen, warum gerade dieses Spiel für sie so reizvoll ist. Zugleich sollten Eltern am konkreten Beispiel erläutern, warum sie ein bestimmtes Spiel ablehnen. So besteht für beide Seiten die Möglichkeit, die eigene Perspektive auf Computerspiele zu erweitern. Ideales Ergebnis eines solchen Austausches wäre, wenn man sich auf Spieltitel einigen könnte, die den Kids Spaß machen und den Eltern keine Sorgen bereiten. Interview: Danny Kringiel, Illustration: ITF Grafik Design
Aus welchem Jahr ist das Interview?
Ausgabe November 2006. Steht doch oben?!