So spielt das Leben
Mit "Sim City" und "Die Sims" hat Will Wright zwei der erfolgreichsten Games aller Zeiten geschaffen. An deren Erfolge soll auch "Spore", sein neuestes Werk, anknüpfen – und nebenbei noch der Videospielindustrie aus der Patsche helfen
In 15 Jahren wird es keine vorprogrammierten Spiele mehr geben. Es wird auch keine festgeschriebene Handlung mehr geben. Die meisten Spiele werden auf Algorithmen basieren, die einen bestimmten Rahmen vorgeben. In diesem Rahmen ist dann alles möglich. Zum Beispiel werden Städte in Spielen von Menschen bevölkert sein, die nicht mehr auf programmierten Wegen gehen, sondern ihr eigenes Leben leben.“ Das sagte Will Wright vor zweieinhalb Jahren, als wir ihn fragten, wie Videospiele wohl in 15 Jahren aussehen werden. Jetzt steht sein neues Spiel ins Haus, „Spore“ heißt es. Und angeblich funktioniert es schon heute so, wie laut Wright erst die Spiele der Zukunft sein sollten. Ein erster Blick auf den Bildschirm bestätigt das nicht. Da wuseln ein paar Mikroben in einer Petrischale herum, ein Mikroskop macht das Ganze sichtbar. Das soll sie also sein, die Zukunft der Videospiele? Das neue Meisterwerk von Will Wright, mit dem Potenzial, die gesamte Videospielindustrie zu verändern? Wohl kaum. Auf der anderen Seite: Will Wright ist ein Mann, dem man glauben sollte. Er ist schließlich Experte für Visionäres. Kein Lautsprecher, der im Halbjahrestakt Revolutionen propagiert, diese aber nie verwirklicht. Im Gegenteil, Wright ist ein dezenter, zurückhaltender Mensch, meistens in einem grauen Hemd unterwegs, dazu eine Brille, Marke Kassenmodell achtziger Jahre. Ein Mensch, der im Stillen an seinen Spielkonzepten werkelt. Und der mit den Ergebnissen seines emsigen Tuns bereits zwei Mal Videospielgeschichte geschrieben hat. Sein erstes Spiel „Sim City“ war eine von seinem Architekturstudium inspirierte Städtebausimulation. In der zum Beispiel die Verteilung der Polizeiwachen auf dem „Spielfeld“ darüber entschied, ob die vom Spieler gebaute Stadt eine Naturkatastrophe übersteht oder nicht. „Sim City“ brach damals mit einer fundamentalen Regel für Computerspiele. Man konnte weder gewinnen noch verlieren. Es wurde ein Riesenerfolg. Auch von seinem nächsten Projekt konnte Wright seine Geschäftspartner anfangs nur schwerlich überzeugen. Ein Spiel, in dem man nichts anderes macht, als seine Spielfigur ein ganz normales Leben leben zu lassen? Also bitte! Das Spiel heißt „Die Sims“ und ist heute das erfolgreichste Videospiel aller Zeiten. Und das erste Videospiel, das genauso viele Frauen gespielt haben wie Männer. Doch was hat das alles mit „Spore“ zu tun, dem Ursuppenspiel? „,Spore‘ ist die Essenz meiner Erfahrungen mit ‚Die Sims‘“, antwortet Wright. „Wir haben festgestellt, dass die Spieler offensichtlich eine große Befriedigung daraus ziehen, eigene Dinge zu kreieren und diese dann anderen Leuten zugänglich zu machen.“ Doch bevor man sich bei „Spore“ als Weltenschöpfer betätigen kann, muss man erst mal der Petrischale entkommen. Und das geht so: Organismen, die größer sind als man selbst, ausweichen, kleinere Organismen fressen. Hat der Spieler genug gefressen, legt seine Mikrobe ein Ei – dann öffnet sich der Kreatureneditor, mit dem der Spieler die nächste Mikrobengeneration definieren kann. „Dieser Editor ist das Herz von ,Spore‘“, erklärt Will Wright, „in ihm kann der Spieler mit wenigen Mausklicks seine Spielfigur gestalten.“ Fleischfresser oder Pflanzenfresser? Lieber einen Sporn, mit dem die Kreatur sich verteidigen, oder aber eine längere Schwanzflosse, mit der sie schneller vor Feinden flüchten kann? Klickklickklick, schon ist das Schicksal der nächsten Generation besiegelt. Nach etwa zehn absolvierten Generationen verlässt der Spieler dann die Ursuppe und findet sich auf einmal in einer virtuellen 3D-Unterwasserwelt wieder. Dort findet dann auch der erste Kontakt mit dem visionären Teil des Spielkonzepts von „Spore“ statt. Denn kaum etwas von dem, was einem dort begegnen wird, werden Will Wright und sein Team erdenken. Kreaturen, Gebäude, Vehikel – das meiste soll von anderen „Spore“-Spielern geschaffen werden. „User Created Content“ – von Benutzern geschaffene Spieleinhalte – nennt sich das. Für Will Wright die Zukunft der Videospiele. Etwas, das Wright von den „Sims“ gelernt hat. „Wir hätten niemals gedacht, wie viel Energie die Leute bei ‚Die Sims‘ auf das Designen eigener Gegenstände verwenden würden. Dass Leute mehrere Stunden damit zubringen würden, einen Hut für ihre Spielfigur zu gestalten und dann online zu stellen – für uns anfangs unvorstellbar.“ Vor allem, weil dieser Spielmechanismus bei „Die Sims“ noch hochgradig kompliziert und benutzerunfreundlich war: Der Spieler musste das Spiel beenden, online gehen und den von ihm geschaffenen Gegenstand auf der „Sims“-Seite in einem komplexen System von Ordnern an der richtigen Stelle ablegen. „,Spore‘ haben wir dagegen von Anfang an so konzipiert, dass dieser administrative Teil des Features wegfällt. Wir haben diese Funktion vollständig in das Gameplay integriert“, so Wright. Sobald der Spieler „Spore“ startet, verbindet sich das Spiel automatisch mit dem „Spore“-Server. Sämtliche von Spielern geschaffene Kreaturen werden sofort auf diesen Server hochgeladen und automatisch kategorisiert. Aussehen, Größe, Fleisch- oder Pflanzenfresser – die Parameter, nach denen sortiert wird, sind vielfältig. Im Gegenzug stellt das Spiel ständig Anfragen beim Server. Es übermittelt die Parameter der Kreatur, die der Spieler geschaffen hat. Ausgehend von diesen Parametern beginnt der Server nun, die Leerstellen in der Welt des Spielers mit Kreaturen und Gegenständen zu füllen, die zu den vom Spiel eingeschickten Parametern passen. „Spore“ verfügt über ein komplettes Ökosystem mit einer komplexen Nahrungskette, in der die Kreatur des Spielers die zentrale Rolle spielt. „Je nachdem, wie sie beschaffen ist, wird dieses Ökosystem mit von anderen Spielern geschaffenen Kreaturen gefüllt, die zu diesem Ökosystem, dieser Nahrungskette passen“, ergänzt Wright. Die Auswirkungen des „User Created Content“-Prinzips merkt Wright schon jetzt: „Unser Team ist deutlich kleiner als noch bei den Entwicklungsarbeiten zu ‚Die Sims‘.“ Doch auch der Spieler hat etwas davon: „Weil wir dem Spieler das Eigentumsrecht über seine Spielfigur überlassen, ist der gefühlte Wert des Spiels für ihn wesentlich höher.“ Der Wert eines Spiels – seit einiger Zeit überhaupt Will Wrights Lieblingsthema. „Wir befinden uns in einer gefährlichen Entwicklung“, erklärte er dem prall mit anderen Entwicklern gefüllten Plenarsal auf der letztjährigen Game Developers Conference. „Bei jeder neuen Spiele- beziehungsweise Konsolengeneration verdoppeln sich die Kosten für den Inhalt eines Spiels. Animationen, Texturen, Zwischensequenzen: immer mehr, immer besser, immer teurer. Aber der subjektive Wert des Spiels für den Spieler, der Spaß am Spiel, verdoppelt sich nicht. Er steigt zwar durch die höhere Qualität des Inhalts, aber nicht so schnell wie die Kosten.“ Was laut Wright bleibt, sind zwei Kurven, die exponentiell auseinanderdriften. „Und das ist ein echtes Problem für uns. Wir werden in den nächsten Jahren erleben, wie ein kleines Entwicklerstudio nach dem anderen an die Wand fährt. Dafür möchte ich eine Lösung anbieten“, schließt er seinen Vortrag und beginnt die Präsentation von „Spore“. „Spore“ ist also nicht einfach ein Spiel. Sondern ein Lösungsvorschlag, eine Perspektive, ein Versuch, die beiden Linien wieder zusammenzubringen, Aufwand und Wertschätzung eines Spiels wieder anzunähern. Ein Problem, das radikale Ansätze fordert. Und das wahrscheinlich kaum jemand so grundsätzlich anpacken würde wie Wright. Weil er ein Tüftler ist, jemand, dessen Inspirationsspektrum weit über Anleihen bei anderen Videospielen oder die Möglichkeiten moderner Technik hinausgeht. Wright, der in fünf Jahren drei verschiedene Unis besucht, Architektur, Maschinenbau und Luftfahrt studiert, aber keinen Studiengang zu Ende geführt hat, ist ein besessener Tüftler. Einer, der zum Beispiel jahrelang jede freie Minute dazu genutzt hat, Roboter zu bauen. Der das Computerhandwerk von der Pieke auf gelernt hat. Nur so jemand hat den Horizont, alle gängigen Regeln der Videospielentwicklung zu verwerfen. Und ausgerechnet in der Vergangenheit die Zukunft der Videospiele zu entdeckt. „Wir bewegen uns seit ein paar Jahren bei der Entwicklung von Videospielen in die völlig falsche Richtung. Wenn wir so weitermachen, schaufeln wir unser eigenes Grab“, prophezeit er. Stattdessen müsse man das Rad zurückdrehen „Früher war Speicherplatz Mangelware. Um Spiele auf Floppy Discs zu quetschen, musste man als Entwickler sehr kreativ sein. Dann kam die CD-Rom. Und auf einmal wussten wir nicht, wie wir all diesen Platz nur füllen sollten. Fortan war das unsere Hauptaufgabe.“ Doch statt immer größere Datenberge für Charaktermodelle, Animation und Musik anzuhäufen, müsse man andere Wege finden. „Bisher wurden alle Objekte, die später in einem Spiel zu finden sind, vorher von einem Programmierer geschaffen. Er baut das Drahtgittermodell aus Polygonen, überzieht es mit Texturen, animiert es und so weiter. All das, was er tut, wird in Form von Daten gespeichert. Die meisten dieser Daten aber kann genauso gut auch der Computer generieren, wenn er vorher mit den richtigen Codes beziehungsweise Algorithmen gefüttert wurde. Einfach gesagt: Statt ein Bild zu malen und es in den Computer einzugeben, bringen wir dem Computer bei, das Bild selbst zu malen.“ „Procedural Generation“ nennt sich das, und eine deutsche Übersetzung für diesen Begriff gibt es bislang nicht. Aber es ist die Essenz der Zukunftsvision von Will Wright. Die Schaffung von Spielinhalten allein durch Algorithmen, mit denen der Computer gespeist wurde. Zum Beispiel in „Spore“. Wenn der Spieler im Kreatureneditor Veränderungen an seiner Figur vornimmt, verändert er nicht wirklich die Figur, so wie in anderen Charaktereditoren, in denen man die Texturen für das Gesicht verändern oder dem virtuellen Ego andere Texturen für zum Beispiel neue Klamotten anziehen kann. Sondern er verändert lediglich die Parameter der Spielfigur, so wie man mit dem Herumschieben an den Reglern eines Equalizers den Klang der Musik verändert. Baut er seiner Figur zum Beispiel einen langen Schwanz, gibt der Editor nur „langer Schwanz“ an den Computer weiter, der von den Programmierern mit den entsprechenden Algorithmen ge-füttert, diesen Befehl in eine Veränderung umwandelt. Die Vorteile dieses Verfahrens sind schnell erklärt: „Die Spielfigur in einem herkömmlichen Spiel ist mindestens 3 Megabyte (3072 Kilobyte) groß, eine in Spore geschaffene Spielfigur nicht größer als 3 Kilobyte.“ Kilobyte? Mit solchen Dateigrößen wurde doch zuletzt zu Zeiten des C64 hantiert. „Genau!“ strahlt Wright. „Ich beobachte schon seit Jahren das Schaffen der Demoscene, sie hat mich darauf gestoßen, Procedural Generation zum Grundprinzip von ,Spore‘ zu machen.“ Demoscene, so nennt sich eine kleine Gruppe von Independent-Programmieren, die sich zu Zeiten von Amiga und C64 gründete und deren Credo es ist, überbordende Grafikdemos auf minimalem Speicherplatz unterzubringen (siehe Kasten). „Was diese Leute aus 64 Kilobyte, dem Speicher eines C64, herausholen, ist einfach unglaublich“, zollt Wright den Tüftlern Respekt. Zum Beispiel das deutsche Entwicklerteam The Produkkt, die mit „Kkrieger“ einen Egoshooter in Next-Gen-Grafik programmierte. Benötigter Speicher: 97k, Procedural Generation sei Dank. Sollte dieses Prinzip mit „Spore“ zum ersten Mal auch kommerziell erfolgreich sein, könnte Will Wright damit tatsächlich den Schlüssel zu einer neuen Welt der Spieleentwicklung gefunden haben. Für eine Industrie, die jetzt schon unter der Last der nächsten Spielegeneration ächzt. User Created Content und Procedural Generation, die Kreativität des Spielers gepaart mit der Rechenleistung des Computers: das neue Dreamteam? „Wir werden sehen“, sagt Wright. Ob er mit „Spore“ einen ähnlichen Erfolg landen wird wie mit „Die Sims“, ist bei einem Spielprinzip, das es sich – Wright-typisch – zur Regel gemacht hat, keiner gängigen Regel für Videospiele zu folgen, einfach nicht vorhersehbar. Vielleicht liegt es aber auch an der Nähe von „Spore“ zu seinem Vorbild, dem Leben. Denn genauso wenig, wie der Spieler vorher weiß, was ihm in der Welt von „Spore“ passieren, was für Dinge und Kreaturen ihm begegnen, welches Schicksal ihm beschieden und welche Entwicklung das „Spore“-Universum nehmen wird, genauso wenig kann Will Wright oder jemand anderes den Erfolg oder Misserfolg von „Spore“ vorhersehen. „Kann ein Computerspiel Raum für theologische oder philosophische Erkenntnisse bieten und zugleich total einfach und zugänglich sein?“, fragte Wright im amerikanischen Nerd-Magazin „Wired“. Sollte „Spore“ dies gelingen, hätte Wright zumindest sein persönliches Ziel für dieses Game erreicht. Welches das ist, verrät der Name, den „Spore“ zuerst tragen sollte: „Sim Everything“. Frei übersetzt: Simulation des Lebens. Text: Michail Hengstenberg