Affenvater

Affenvater

Donkey Kong feiert dieses Jahr seinen 25. Geburtstag. Damit ist er unter den Videospielhelden ein ziemlich alter Hase. Grund genug, ihm und seinem Schöpfer ein paar Zeilen zu widmen – wie Mathias Mertens und Tobias O. Meißner in ihrem Buch "Wir waren Space Invaders". Das wird gerade wiederveröffentlicht. Ein Kapitel könnt ihr hier lesen

Auch wenn Hiroshi Yamauchi ein humorloser Schnösel ist, der seine Firma mit eiserner Hand regiert und Freude nur beim Zu-grunderichten seiner Geschäftskonkurrenten empfindet, so hatte er doch zeitweilig die Aufsicht über ein absolutes Irrenhaus. Aus der respektablen Spielkartenfirma seines Urgroßvaters Fusajiro Yamauchi, die Hauptlieferant für die von der japanischen Mafia Yakuza organisierten Hanafuda-Glücksspiele war, hatte er in den 25 Jahren seiner Führung seit 1949 einen Gemischtwarenladen für allen möglichen Schnickschnack gemacht. Nicht nur, dass Nintendo, so heißt die Firma, Instantreis produzieren musste, nein sie betrieb auch ein Liebeshotel und ein Taxiunternehmen. Zu Beginn der siebziger Jahre schwenkte Yamauchi noch einmal um und verkaufte die Ultra-Serie, in der Kindern so sinnvolle Sachen angeboten wurden wie die Ultra-Hand, mit der man nach 80 Zentimeter entfernten kleinen Dingen greifen konnte, die Ultra-Maschine, die kleine, weiche Kugeln durchs Zimmer ballerte, oder das Ultra-Skop, mit dem man über Mauern und um Ecken gucken konnte. Auch ein Liebestester war im Angebot, mit dem der elektrische Strom zwischen einem Jungen und einem Mädchen gemessen wurde, was Rückschlüsse auf ihre libidinöse Spannung erlauben sollte. Als Nintendo eine Ladung Solarzellen angeboten wurde, griff Yamauchi zu und ließ seine Ingenieure ein Strahlengewehr bauen, ganz ähnlich wie Jahre zuvor Ralph Baer in Amerika. Mit dieser Flinte schoss man aber nicht auf Bildschirme, sondern auf in Einzelteile zerlegte Flaschen, die durch Elektromagneten zusammengehalten wurden. Fing man mit der Gewehrmündung den feinen Lichtstrahl ein, der von der Flasche ausgeschickt wurde, dann drehte das den Magneten den Strom ab, und die Flasche zerfiel, als ob sie zerschossen worden wäre. Wegen des großen Erfolgs kaufte Nintendo still gelegte Bowlingbahnen auf und richtete elektronische Tontaubenschießanlagen ein, die als neuer Volkssport gedacht waren. Die Wirtschaftskrise der siebziger Jahre machte dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Nintendo musste sich nach neuen profitablen Geschäftsfeldern umsehen. Das Unternehmen lizenzierte das Odyssey von Magnavox und stieg ins Computerspielbusiness ein. Für uns, die wir mit dem Zentralorgan des Nerd-Daseins, dem „Yps“-Heft aufgewachsen sind, klingt das alles überhaupt nicht so verrückt, wie es sich für andere vielleicht darstellt. Der Sprung von Instantreis über Plastikgreifarme bis hin zu Strahlenkanonen für Tontaubenschießstände bereitet uns keine Probleme. Völlig logisch, denn um die Abenteuer zu bestehen, die in dieser Welt auf uns warteten, musste man eben gut trainiert und bestens ausgerüstet sein. Für jede Eventualität brauchte man das entsprechende Werkzeug, etwa den Greifarm, um einen Schlüssel aus einem Skorpionloch herauszufischen, die Ultra-Maschine, um Botschaften aus Verliesen herauszuschicken, und die Strahlenkanone, um die feinen Haarrisse in einer Wand aufzuspüren, durch die Licht dringt und die auf das Vorhandensein einer Tür hindeuten. Als „Spezialagenten“ oder „Überlebenskämpfer“ wussten wir, dass man da draußen viel Erfindungsreichtum benötigte. Ein Zeichner bei Nintendo dachte genauso. Sein Name war Shigeru Miyamoto. Er war auf dem Land aufgewachsen, hatte Höhlensysteme erforscht, in trocken gelegten Reisfeldern gespielt, war Abhänge heruntergerollt und hatte sich in dem Schiebetürengewirr seines Elternhauses versteckt. Regelmäßig hatte er konspirative Treffen mit seinen Freunden auf Dachböden abgehalten. An den Abenden hatte er Puppen gebastelt und sich Theaterstücke für sie ausgedacht. Den größten Nervenkitzel hatte ihm aber die Bulldogge des Nachbarn bereitet, die sich wütend auf jeden Passanten stürzte, der vorüberging. Erst im letzten Moment wurde sie von der Kette um ihren Hals zurückgerissen und davon abgehalten, ihr Opfer zu zerfleischen. Shigeru Miyamoto hatte sich immer zentimetergenau auf die Bestie zubewegt, sodass er Auge in Auge mit einer beißwütigen Bulldogge stand, ohne dass sie ihm eine Schramme zufügen konnte. Einen Eindruck von seinem Lebensgefühl kann man in David Sheffs Buch „Nintendo – Game Boy“ gewinnen. Dort beschreibt Miyamoto es so: „Was, wenn man so vor sich hin ginge und alles, was man sieht, auf einmal mehr wäre, als man sieht? Der Mann dort in T-Shirt und Slacks ist auf einmal ein Krieger. Der Raum, der leer zu sein scheint, ist eine Geheimtür in eine andere Welt. Und was, wenn man auf einer belebten Straße nach oben blickte und etwas erscheinen sähe, was vor dem Hintergrund unseres Wissens gar nicht sein könnte? Entweder schüttelt man den Kopf darüber und vergisst es, oder man akzeptiert die dann offensichtliche Tatsache, dass es mehr in dieser Welt gibt, als wir denken. Vielleicht war das alles wirklich eine Tür in eine andere Welt? Und wenn man sich entschiede, durch sie hindurchzugehen, könnte man sich manchem Unerwarteten gegenübersehen.“ Nach seinem Studium des Industrie-Designs ging Miyamoto zu Nintendo, weil sein Vater und Yamauchi alte Schulfreunde waren. Für einen Zeichner war eigentlich kein Bedarf bei Nintendo, aber Yamauchi gefiel dieser seltsame junge Mann, der als Arbeitsproben Kleiderbügel für Kinder in Elefantenkopf- und Kükenform mitbrachte. So nüchtern und kalkulierend er selbst war, so sah er doch seine Firma als einen Ort, an dem sich Genies entwickeln sollten. „Kein normaler Durchschnittsmensch kann ein gutes Spiel erfinden, er mag sich noch so bemühen. Es gibt auf der ganzen Welt nur eine Hand voll Leute, die Spiele erschaffen können, die alle besitzen und spielen wollen. Und ebendiese Leute wollen wir bei Nintendo haben“, erzählte er David Sheff in „Nintendo – Game Boy“. Er wusste noch nicht genau, was mit diesem Jungen anzufangen war, aber er wollte ihm Zeit geben, sich zu entfalten. Ein paar Jahre später rief er Miyamoto dann zu sich ins Büro. Die Zeit war reif. Nintendo steckte in Schwierigkeiten, weil eines der Münzautomatenspiele, „Radarscope“, sich katastrophal verkaufte und von den Spielern nicht angenommen wurde. Yamauchi erteilte Miyamoto den Auftrag, das Design von „Radarscope“ aufzupolieren, damit es ein Erfolg werden konnte. Miyamoto sah sich das Spiel an und fand es stinklangweilig. Statt es zu verbessern, fragte er die Techniker aus, was denn überhaupt möglich wäre, wie Figuren aussehen können, die auf einem Bildschirm dargestellt werden, was für Bewegungen mit ihnen möglich sind, wie viele Gegenstände sich gleichzeitig bewegen können und vieles mehr. Danach setzte er sich an seinen Zeichenblock und begann, sich eine Figur und eine Geschichte auszudenken. Die Figur bekam als erstes eine Nase, denn er war davon überzeugt, dass es einen Riesenunterschied macht, eine Nase zu haben oder keine. Dann kam ein Schnurrbart hinzu, riesige Kulleraugen und eine rote Kappe, weil Haare zu schwierig darzustellen waren. Um in der grobpixeligen Darstellung auf dem Bildschirm gut rüberzukommen, bekam er noch eine rote Latzhose über einem blauen T-Shirt. Irgendwie sah die Figur wie ein Zimmermann aus, deshalb musste die Handlung dort spielen, wo ein Zimmermann für gewöhnlich arbeitet, auf einer Baustelle zum Beispiel. Dieser lustige Bursche hatte sich nun einen großen Gorilla als Haustier angeschafft. Weil er ihn aber nicht sehr nett behandelte, war der Gorilla in seinem Stolz verletzt und kidnappte die Freundin des Zimmermanns. Mit ihr kletterte er auf das Gerüst eines sich im Bau befindlichen Hochhauses und verschanzte sich. Als der Zimmermann nun versuchte, seine Freundin zu befreien und das Haus hochkletterte, warf der Gorilla mit Fässern, Eimern und Balken nach ihm. Eine knifflige Aufgabe. Tatsächlich wurde der Relaunch von „Radarscope“ abgeblasen und stattdessen dieses verrückte Szenario als Spiel umgesetzt. Alle dachten, dass der Gorilla die Hauptfigur ist, also musste der Name etwas mit ihm zu tun haben. „King Kong“ ging nicht, weil das Lizenzgebühren bedeutet hätte, aber „Kong“ alleine konnte man bestimmt durchkriegen. Außerdem sollte dieser Affe auch ein bisschen stur und widerstandsfähig wirken, also blätterten die Marketingexperten bei Nintendo ihr Englisch-Wörterbuch durch und kamen auf „Donkey“, Esel. „Donkey Kong“ war in ihren Augen der perfekte Name. Auch Hiroshi Yamauchi war davon überzeugt, und so ging das Spiel in die Welt hinaus. Die Handelsvertreter von Nintendo waren nicht sehr begeistert. Ein „Esel Kong“, der auf einem Baugerüst stand und Fässer schmiss, sollte das richtige Spiel sein, um die Space-Shooter-süchtigen Jugendlichen zu gewinnen? Wenn wenigstens ein paar fiese Geister dabei gewesen wären, so wie bei „Pac-Man“, dann hätte man mit irgendeiner geschickten Airbrush-Grafik das Ganze als spannende Action verkaufen können. So war es aber einfach nur albern. Nintendo hatte jetzt endgültig den Verstand verloren. Einer der Vertreter war so wütend auf die Firma, dass er fristlos kündigte, und sich nach einer zukunftsträchtigeren Position umsah. Den anderen blieb nichts anderes übrig, als das Spiel unterzubringen, wo es doch nun schon einmal da war. Sie rechneten aber mit einem noch größeren Flop als bei „Radarscope“. Nun, ein Flop ist es wirklich nicht geworden. Im ersten Jahr verkauften sich allein in Amerika 65000 Automaten, was einen Gesamtumsatz von 100 Millionen Dollar bedeutete. Taito machte ein beeindruckendes Angebot, „Donkey Kong“ von Nintendo zu kaufen, was allerdings abgelehnt wurde. Neben dem eigenen Vertrieb vergab man noch Lizenzen an Coleco und Atari, die selbst sehr gut davon existieren konnten. Selbst einer Riesenschar von Produktpiraten sicherte „Donkey Kong“ ihre Existenz, mit geschätzten 50 Prozent aller weltweit verkauften „Donkey Kong“-Artikel. Eine Klage von MCA Universal, in deren Verleih der Film „King Kong“ aus den dreißiger Jahren war, auf Copyright-Verletzung, wurde in allen Instanzen bis zum Supreme Court abgeschmettert. Vorführungen von Meisterspielern im Gerichtssaal überzeugten die Richter, dass Donkey Kong ein völlig eigenständiges Produkt künstlerischer Ausdruckskraft war. Genau dieser Aspekt ist „Donkey Kongs“ Bedeutung für das Medium Computerspiele, und darin lag auch sein Erfolg begründet. Nachdem alle Regeln für das Medium festgelegt, alle Grundelemente eingeführt und durchprobiert, alle Möglichkeiten entdeckt worden waren, benutzte mit Shigeru Miyamoto zum ersten Mal jemand das Medium, um sich damit auszudrücken. So wie in früheren Zeiten Menschen ihre Sehnsucht nach der Kindheit in Romanform gestalteten oder Mitte des 20. Jahrhunderts den Film als Mittel gewählt hatten, ihre Schaffenskrisen oder erotischen Fantasien zu verarbeiten, so konnte jetzt das Computerspiel zu ähnlichen Zwecken benutzt werden. „Donkey Kong“ hatte einen eigenen Stil und eine eigene Sicht der Dinge. Außerdem bot es keine Alternativwelt wie „Space Invaders“ oder „Pac-Man“ an, in denen man Alternativaufgaben lösen musste, sondern es nahm Elemente der Realität auf, um ihre versteckten Möglichkeiten, ihre Geheimnisse zu offenbaren. Nichts ist langweiliger als ein Baugerüst? Falsch! Denn dorthin könnte ein Gorilla unser Mädchen verschleppt haben. Metallfässer stehen einfach nur herum und enthalten so öde Sachen wie Altöl oder Terpentin? Wieder falsch! Wenn sie auf uns zurollen, werden sie zu gefährlichen Hindernissen, und wenn sie explodieren, entstehen Riesenamöben oder Flammenwesen, die uns jagen. Wenn es das Merkmal von Literatur ist, uns ganz eigene Sichtweisen auf die Welt, in der wir leben, zu präsentieren, dann war „Donkey Kong“ das erste literarische Computerspiel. Es erzählte eine Geschichte, und zwar nicht mithilfe der obligatorischen Hintergrundstory auf der Packung, sondern während man spielte. Allerdings erzählte es mehr von der Welt als Raum und nicht so sehr von den Menschen in dieser Welt, wie es Bücher tun. Das ist ein Unterschied zwischen Computerspiel und Literatur. Romane beschreiben, wie Menschen sich fühlen, wenn sie auf ihr bisheriges Leben zurückschauen und daraus für ihr weiteres Leben Konsequenzen ziehen wollen. Computerspiele beschreiben die Möglichkeiten, die sich jeden Moment ergeben und die man genau dann nutzen muss. Man kann nicht darüber nachdenken, sondern muss handeln. So oft und so viel es geht. Alles kann Möglichkeiten bieten, alles muss erforscht werden, es muss immer weitergehen, es gibt keine Pause. Unser Leben geht ja auch weiter, egal ob ich im Moment auf dem Sofa vorm Fernseher das Gefühl habe, alles stünde still. „Donkey Kong“ war zwar noch ein reinrassiges Arcade-Spiel, es feierte aber auch Triumphe in den kleinen Game-&-Watch-Geräten von Nintendo und in Gestalt unzähliger Lizenzprodukte für Heimvideospielgeräte. Das war alles nur eine Vorbereitung auf das wahre Schicksal, das uns erwartete: Computer. So wie Märchen eine verfremdete Version der Wirklichkeit darstellen, die dadurch umso eindringlicher wirkt, so erzählte uns „Donkey Kong“ von einer Welt, in der alles möglich ist, in der wir mit einigen Handgriffen Meister über das Chaos sein könnten. Einer Welt, die mit dem Computer Realität werden würde. Jemand wie Shigeru Miyamoto konnte Computer dazu benutzen, seine eigene Welt zu erschaffen, warum sollten wir das nicht auch können? Durch solche Spiele bekamen Computer das Image von Zauberkästen. Auch wenn wir noch nicht genau wussten, wie wir tatsächlich die Welt damit verändern können, saßen wir doch fasziniert davor und tippten kleine „Peek und Poke“-Programme ab, um einen „Sägezahn“-Ton über den Fernsehlautsprecher zu erzeugen oder ein Geräusch entstehen zu lassen, als fiele ein Tennisball in ein leeres Metallfass. Es war egal, dass wir die Maschinensprachbefehle nicht verstanden, trotzdem hatten wir diesen Kasten dazu gebracht, unseren Fernseher ganz andere Sachen machen zu lassen. Die Welt würde eines Tages uns gehören, und dann würde sie genauso verrückt werden wie in „Donkey Kong“. Und nur wir würden uns auch dann noch in ihr zurechtfinden. Der Star war nun nicht mehr eine gelbe Scheibe, die Punkte fressen konnte, sondern die Maschine selbst. Das Spiel war nur eine Erzählung von den Möglichkeiten, die sich mit solchen Kästen bieten. Nintendo hatte das zunächst nicht verstanden. Sie dachten, der Titelheld ihres Spieles wäre der Garant für den Erfolg, und schickten ihn in mäßige Fortsetzungen wie „Donkey Kong Jr.“ und Ähnlichem. Aber er war ein One-Hit-Wonder und so verschwand er irgendwann wieder in der Versenkung, um dann in den späten neunziger Jahren ein Comeback zu versuchen. Der kleine Zimmermann aber fühlte sich von seinen Arbeitgebern schlecht behandelt und kehrte dem ganzen Business erst einmal den Rücken zu. Er nannte sich nach einem Lagerarbeiter von Nintendo America „Mario“, ließ sich zum Klempner umschulen und machte mit seinem Bruder Luigi eine eigene Firma auf, die Wasserleitungen von Schildkröten säuberte und später, als es schlechter lief, Torten in Lastwagen verlud. Den Durchbruch als Star hatte er allerdings, als er Shigeru Miyamoto als Ghostwriter engagierte, um seine Erlebnisse in einem seltsamen Land zu veröffentlichen. Ihm zu Ehren wurde diese Welt aus Riesenpilzen und frei schwebenden Ziegelsteinen sogar „Super Mario Land“ genannt. Doch das ist eine andere Geschichte. Text: Mathias Mertens, Tobias O. Meißner
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von Volker Hansch / Februar 10th, 2006 /

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