Ein Volk am Drücker
Die Wirtschaft boomt in China. Besonders die Games-Branche. Doch westliche Spielepublisher müssen draußen bleiben – denn das Reich der Mitte hat auch in Sachen Videospiele seine ganz eigenen Regeln
„Ich kann ihnen nicht helfen“, wehrt die Frau vom deutsch-chinesischen Kulturverein am Telefon ab. Sie ist Chinesin. „Na ja“, fügt sie dann nach einer kurzen Pause hinzu, sie könne es ja eigentlich doch, aber so funktioniere das nicht. „Ich mache ihnen einen Vorschlag. Ich habe ja auch meine Kosten.“ Dann bietet sie an: „Sie überweisen mir 3000 Euro, und ich beantworte alle ihre Fragen.“ Sie meint das ernst. Die Frau ist das Fleisch gewordene Beispiel dafür, dass in China manches anders läuft als im Rest der Welt. Auch das Spielen am Computer unterscheidet sich wesentlich vom Daddeln in Europa und den USA. Es ist exzessiver, ökonomisch völlig anders organisiert und immer irgendwie auch politisch - und manchmal sind es kleinste Details, die bestimmen, ob ein westliches Spiel Erfolg in China hat Den chinesischen Markt zu erobern ist nicht leicht, aber äußerst lohnend. Denn in China wird viel gespielt. Bis zu 2,5 Millionen Chinesen sind spiel- und internetsüchtig, glaubt Tao Ran, der Leiter von Pekings erster Klinik für Spielsüchtige. „Die Kinder verbringen jeden Tag mit Spielen. Sie leiden an Depression, an Nervosität, Angstzuständen und Panikgefühlen. Sie haben Schlafstörungen und Probleme, mit anderen zu interagieren.“ Die Klinik ist seit ihrer Eröffnung im Januar ausgebucht, mit eher unkonventionellen Methoden wie Elektroschocks wird versucht, den Patienten die Spielsucht auszutreiben. Aufgeschreckt von allzu vielen Negativmeldungen hat die chinesische Regierung eine Reihe von Verordnungen erlassen, um den Spieltrieb ihrer Untertanen in kontrollierte Bahnen zu lenken. So dürfen Menschen unter 18 Jahren keine Spiele mehr spielen, in denen man die Charaktere anderer Spieler umbringen kann. Zudem ist es verboten, Internetcafés in der Nähe von Schulen und Kindergärten zu betreiben. Etwa hundert Millionen Chinesen sind mittlerweile online, meist sind es Jugendliche. China stellt nach den USA die zweitgrößte Internetgemeinde der Welt. Die New Yorker Marktforschungsgruppe Game Trust schätzt sogar, dass in zehn Jahren drei Viertel des gesamten Web in chinesischer Sprache sein werden. Das ist insofern von Bedeutung, als die Zahl der Internetnutzer entscheidend für die chinesische Videospielindustrie ist. Die derzeit 200 Anbieter von Spielen leben nämlich nicht vom Verkauf von Game-CDs, die exzessive Raubkopiererei macht das unmöglich. Geld verdienen sie vielmehr mit den Registrierungen für Online-Spiele. Im vergangenen Jahr sollen chinesische Daddler knapp 500 Millionen Dollar für Online-Gaming ausgegeben haben, andere Schätzungen sprechen von 800 Millionen. Laut einer Untersuchung der Universität von Peking spielt ein Viertel aller chinesischen User regelmäßig, 23 Prozent davon bis zu sechs Stunden täglich. Und sieben Prozent haben schon mal zwanzig Stunden am Stück gespielt. Um derart exzessives Spielen in Zukunft zu verhindern, hat das Pekinger Kulturministerium den Wirkungsgrad von Videospielen in drei Kategorien eingeteilt: „gesund“, „ermüdend“ und „ungesund“. Betreiber von Online-Spielen müssen sich verpflichten, nach drei Stunden Spiel die Erfahrungspunkte und Belohnungen zu reduzieren, die ein Charakter erreichen kann. Nach fünf Stunden ist eine Verbesserung überhaupt nicht mehr möglich. Erst nach fünf Stunden Pause gilt man als ausgeruht und darf weiterspielen. Allerdings hängt die Einstufung in „gesund“ und „ungesund“ nicht nur von der Dauer des Spiels ab. Es kommt auch auf die Art des Spiels an. E-Sport etwa gilt als „gesund“, da der Wettkampfcharakter der Spiele junge Chinesen auf den Ernst des Wirtschaftslebens vorbereite, wie es im zuständigen Ministerium heißt. Kriegsspiele dagegen sind in der Regel „ungesund“, es sei denn, man kämpft für die richtige Seite, die chinesische. Während so etwa das westliche Kriegsspiel „Hearts Of Iron“ verboten wurde, weil es Tibet und die Mandschurei als unabhängige Nationen führt, hat die chinesische Firma Power Net zusammen mit der kommunistischen Jugendliga Chinas ein Spiel namens „Antijapanischer Krieg“ entwickelt. Die Spieler können entscheidende Schlachten des Krieges von 1937 bis 1945 nachspielen, um so das Nationalgefühl zu fördern, wie die Jugendorganisation mitteilte. Spiele chinesischer Entwickler, in denen es etwa um den Koreakrieg, das chinesische Mittelalter oder die Kriege mit Japan geht, haben eins gemeinsam: Der Spieler kann nur die Rolle der chinesischen Militärführung übernehmen, nicht die des Feindes. Weitere patriotische Abenteuer sind in Vorbereitung: Gerade entwickelt werden Spiele über den Entdecker Zheng He, der 72 Jahre vor Christoph Kolumbus nach Amerika fuhr, über Li Shinzen, einen Arzt aus der Ming-Dynastie, der durch das ganze Land reiste, um seltene Pflanzen zu sammeln und Menschen damit zu heilen, und über den Arbeiter Lei Feng, eine kommunistische Ikone, die sich zum Ruhme Chinas im Nordosten des Landes totgearbeitet hat, im Wortsinn, um den kalten Landesteil infrastrukturell zu erschließen. „Wir hoffen“, fasst Huang Hu von der Entwicklerfirma Nestease zusammen, „unsere Spiele tragen dazu bei, dass die Spieler unser schönes Heimatland und seine Kultur neu entdecken.“ Natürlich seien Computerspiele ein Teil der Erziehung, und man wolle bei der Ausbildung der Kinder helfen. „Sie müssen verstehen“, merkt er an, „wenn Spiele aus Korea, Japan oder USA kommen, dann ist das eine Schande für China. Für uns fühlt sich das an wie eine Invasion.“ Damit bei der Rückeroberung des Riesenmarktes auch nichts schief geht, setzt Peking auf eine Mischung aus wirtschaftlicher Unterstützung der eigenen Firmen und Unterdrückung der ausländischen Produkte. So braucht das Reich der Mitte in den nächsten Jahren nach eigenen Angaben 600 000 neue Programmierer, um im Kampf um den eigenen Markt gegen ausländische Konkurrenten, vor allem aus Südkorea, bestehen zu können. Knapp zwei Milliarden Dollar wird die chinesische Regierung in den nächsten fünf Jahren bereitstellen, um deren Ausbildung zu fördern. Im vergangenen Jahr wurde erstmals eine Messe für Computerspiele organisiert, um den boomenden Markt zu unterstützen. Die „China Digital Entertainment Expo & Conference“, genannt Chinajoy, soll dem Austausch von staatlichen Stellen, Konsumenten und Programmierern dienen und zweimal im Jahr stattfinden. Der chinesische Sportverband hat E-Sport offiziell als Sportart anerkannt. Es gibt sogar unbestätigte Gerüchte, nach denen E-Sport Demonstrationswettbewerb der Olympischen Spiele in Peking werden soll. Einige Wettkämpfe werden mittlerweile landesweit im Fernsehen übertragen. Andererseits werden unliebsame westliche Produkte kurzerhand verboten. Durchsichtiges Hauptargument dafür ist das Schutzbedürfnis der Jugend. Achtzig Prozent aller Spiele kämen aus dem Ausland, daher seien sie mit Gewalt und Pornografie durchsetzt, heißt es im Kulturministerium in Peking. Zudem förderten manche Spiele die Internetsucht mehr als andere. Natürlich ist es gerechtfertigt manche Spiele zu verbieten, findet auch Zhang Xinjian, leitender Beamter im Kulturministerium. „Spieler von Online-Games sind in den allermeisten Fällen jünger als 35 Jahre. Diese Leute sind besonders anfällig gegenüber negativen Einflüssen wie Pornografie oder Gewalt.“ Manchen Spielen dürfe man darum die offizielle Lizenz, die jedes in China gespielte Spiel benötigt, nicht erteilen. „Die Spieler müssen geführt werden.“ Internetcafés, die unlizensierte Spiele anbieten, werden einfach geschlossen. So sollen in den letzten sechs Monaten etwa 20 000 Cafés dicht gemacht worden sein. Westliche Schätzungen gehen von einer Armee von 50 000 Internetpolizisten aus, die das Netz in China frei halten sollen von unerwünschten Inhalten. Dazu gehören nicht nur Spiele, sondern auch Artikel amerikanischer Zeitungen über Demokratie und Menschenrechte. Aus Sorge um den chinesischen Markt hat sich etwa Microsoft verpflichtet, in seinem kürzlich gestarteten Weblog Wörter wie „Freiheit“ zu sperren. Auch so ist es zu erklären, dass mehr als die Hälfte aller Spieler in China Fantasyrollenspiele oder Sportspiele zu ihren Favoriten zählt. Je weniger Politik, desto besser. „Am besten, man lässt die Finger von der Politik“, rät etwa auch Zhang Ye vom Spielehersteller Game Vision. Der chinesischen Regierung geht es bei der Unterstützung und „Lenkung“ der Spieleindustrie allerdings nicht nur um Absicherung ihrer Diktatur, es geht auch ums Geschäft. Die Branche wächst noch schneller als die übrige Wirtschaft. Während letztere 2004 um 9,4 Prozent nach oben schoss, expandierte die Spieleindustrie um fünfzig Prozent. Wie im Jahr zuvor. Und im Jahr davor. Shanda Interactive Entertainment, der größte Hersteller von Spielen in China, ist an der New Yorker Börse gelistet. Sein Kurs hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt, genauso wie der Gewinn. „Der amerikanische Traum wandert nach China“, sagt Edward Zhe Huang, Geschäftsführer von Shanda, und meint den Dotcom-Boom der Neunziger. So sorgte erst im August der Börsengang der chinesischen Suchmaschine Baidu für Kurssprünge von 353 Prozent am ersten Handelstag. Eigentlich ein Paradies für alle Hersteller von Spielen, aber nicht nur die Raubkopieschwemme und der politische Druck machen den Markteintritt von etablierten Konsolenherstellern wie Nintendo oder Microsoft schwierig. Oft sind es nur eben jene kulturellen Kleinigkeiten: Im vergangenen Jahr versuchte Sony das Spiel „Everquest“ in China zu einem Erfolg zu machen. Das Management war optimistisch, vielleicht werde das sogar ein Selbstläufer, hieß es. „Everquest“ ist das erfolgreichste Online-Spiel der USA, es war einer der größten Flops in China. Warum? Weil viele Chinesen starke Raucher sind. John Needham, Finanzchef von Sony Online Entertainment, erklärt den Fehler: „Wir haben unsere Lektion gelernt. Du musst die Benutzeroberfläche so gestalten, dass der Spieler mit der einen Hand die Maus halten kann und mit der anderen die Kippe.“ Text: Phillip Kohlhöfer