Im Teleshop
Ob Deodorants oder Mobiltelefone, Kaugummis oder Organizer – in Spielen wie "Splinter Cell" pflastern Produkte des täglichen Bedarfs den Weg des Helden. Und das ist erst der Anfang. "Advergaming" lautet das Zauberwort
Ja, die Achtziger waren ganz schön crazy: Am 20. November 1989 erhielt Sega Enterprises Post von Philipp Morris. Anwälte des Tabakkonzerns hatten entdeckt, dass Sega in seinen „Super Monaco GP“- Spielautomaten eigenmächtig Marlboro-Werbung platzierte - und forderten eine sofortige Entfernung. Nachdem das bis Ende Februar 1991 noch nicht vollkommen geschehen war - in New York und Chicago fand man noch unveränderte Versionen des Spiels -, reichte man Klage ein. Gratiswerbung? Für Zigaretten? In einem Medium mit jugendlicher Zielgruppe? Davon träumen die Zigarettenjungs heute höchstens, während sie unter ihren Schreibtischen vor milliardenschweren Sammelklagen in Deckung gehen. Fragt sich, warum die Spielejungs so etwas machen, wenn Werbeeinnahmen offensichtlich nicht der Grund sind. Ganz einfach: Es geht um Realismus. Anfang vergangenen Jahres belegte das Marktforschungsinstitut TNS Emnid mit einer Studie, dass Product-Placement in Computer- und Videospielen die Akzeptanz erhöht. Und zwar auf beiden Seiten: Markenprodukte erhöhen die Wirklichkeitsnähe der Spiele und steigern gleichzeitig die eigene Glaubwürdigkeit. Jeder zweite Befragte empfindet Spielsoftware als realistischer, wenn echte Produkte in das Spiel integriert wurden. Umgekehrt waren immerhin 20 Prozent der Befragten Marken sympathisch, die in Spielen auftauchen. Da dürfte sich so mancher Werbetreibende die Augen reiben: Während die klassische Werbung bestenfalls als notwendiges Übel geduldet wird, die Fernbedienung zum Wegzappen immer in Reichweite liegt und Werbeblocker zur Grundausstattung der meisten Browser gehören, sind Markenartikel in diesem Medium ein hoch willkommener Realitätsbeweis, der aus einer sterilen Spielwelt etwas „Echtes“ macht. In den neunziger Jahren bezahlten die Spielehersteller sogar dafür, dass sie mit großen Namen ihren immer perfekter darstellbaren Kunstwelten zusätzliche Authentizität verleihen durften. So überwies Sony damals umgerechnet mehrere zehntausend Euro an Honda, damit die Spieler nicht mit Fantasie-Rennwagen vorlieb nehmen mussten. Andersherum wurden den Spieleherstellern höchstens ein paar Scheine zugesteckt, wenn sie bereit waren, das gesamte Gameplay dem Werbezweck unterzuordnen: „McDonald's Treasure Land Adventure“ und „Mick And Mack As The Global Gladiators“ (ebenfalls ein McDonald's-Spiel), „Cool Spot“ für den Brausehersteller 7-Up oder Machwerke wie „Stoppt den Calippo-Fresser“ waren das Ergebnis. Doch dann kam der Videospielboom. Allein die beiden Playstation- Modelle verkauften sich mittlerweile fast 190 Millionen Mal. Und die Zielgruppe wuchs nicht nur quantitativ: Aus pickeligen Schulkindern wurden kaufkräftige Erwachsene, von 50 Millionen „Sims“-Käufern ist fast die Hälfte weiblich. Das macht Mut und veranlasste Electronic Arts, mal einen Pepsi-Automaten als neues „Sims“-Objekt auf seiner Homepage zum Download anzubieten. Vielleicht könnte man ja … Tatsächlich, es funktionierte: Rund eine Million Menschen nahmen das Gratisangebot dankend an. Fortan schenke EA diesem Bereich verstärkt Aufmerksamkeit - und der erste Millionendeal ließ nicht lange auf sich warten. Für die Mitwirkung in „Sims Online“ zahlten McDonald's und Intel 2002 bereitwillig zwei Millionen Dollar. Das bescherte den „Sims“ nicht nur ein paar Markenzeichen, sondern ermöglicht dem Spieler auch, im Game neue Produkte zu erwerben und im Falle der Hamburgerkette auch selbst eine Filiale zu eröffnen und - virtuelles - Geld zu verdienen. Und die realitätsstiftende Wirkung von Markennamen wird immer wichtiger: „Man benutzt heutzutage keine Papiertücher, man benutzt Kleenex“, so Segas ehemaliger Marketing-Manager Mike Fischer, „und auch in einem Videospiel will man nicht zu irgendeinem Hähnchengrill fahren, sondern zu Kentucky Fried Chicken.“ So ist es kein Wunder, dass Sam Fisher im wahrsten Wortsinn Schleichwerbung für Wrigley's Airwave und Nokia macht, einen Palm- Taschencomputer benutzt und Axe nicht nur für die Körperhygiene verwendet, sondern bei Bedarf auch im Nahkampf. Das ist Realismus pur, wer das Deo kennt, weiß warum. In „Die Hard: Nakatomi Plaza“ werden fleißig Zippo-Feuerzeuge und Motorola-Handys benutzt, Ubisofts „Surf Riders“ beinhaltet Werbung für G-Shock-Uhren und „Mr. Zog's Sex Wax“. Activision lässt den Helden von „True Crime: Streets Of LA“ exklusiv von Puma einkleiden und hat mit dem Label Quiksilver einen Deal, der sich über mehrere Titel erstreckt. Noch weiter geht das Online-Rollenspiel „There“, in dem der Spieler seinem Alter Ego Outfits von Levi's und Nike kaufen kann - aber nur gegen harte US-Dollar. Und Segas „Super Monkey Ball“ knüpfte ganz gekonnt an die weniger glorreichen Calippo-Zeiten an: Der Spieler steuert auf dem Gamecube putzige Affen durch einen Hindernisparcours und sammelt Bananen ein. Nicht irgendwelche, sondern die der „Dole Food Company“, dem Weltmarktführer in Sachen Südfrüchte - auf jeder der digitalen Bananen klebte das Logo der Firma. Im Gegenzug versah Dole sein reales Obst, zumindest in Japan, mit „Super Monkey Ball“-Etiketten. Inzwischen zieht manche Firma schon Geld aus der klassischen Werbung ab, um in das neue Medium zu investieren - so soll der Autohersteller Chrysler bereits zehn Prozent seines Werbebudgets in Games versenken. Die Prognose des auf interaktive Medien spezialisierten Marktforschungsinstitutes „DFC Intelligence“ ist entsprechend rosig: Die Ausgaben für Product-Placement in Spielen sollen von aktuell 200 Millionen auf eine Milliarde Dollar im Jahr 2008 steigen. Die Vorteile für die Werbekunden sind klar: Die Kosten sind überschaubar, die Zielgruppe weder zu alt noch zu jung. Und weggezappt wird auch nicht. Im Gegenteil: Während Fernsehzuschauer sich eher berieseln lassen und somit höchstens für besonders clevere Werbung empfänglich sind, ist der Konsolenkrieger hoch konzentriert bei der Sache. Wer zuerst blinzelt, hat verloren. Und wer so aufmerksam vor dem Bildschirm sitzt, wird sich auch Werbebotschaften stärker einprägen. Wenn man nun noch die Interaktivität addiert, die eine „Axe“- Dose zum Lebensretter mutieren lässt und eine völlig neue Konsumenten- Produkt-Bindung ermöglicht, sowie die grafischen Möglichkeiten der nächsten Konsolengeneration bedenkt, tun einem die Fernsehsender beinahe schon Leid. Aber es kommt noch schlimmer für RTL & Co: Laut Erick Hachenburg, General Manager von EA.com, sind „Spiele für junge Leute das, was Fernsehen für die vorangegangenen Generationen war“. Und die Methoden zur Ermittlung der TV-Zuschauerzahlen sind vergleichsweise antiquiert - und fehleranfällig: Mal erreichte ein Testbild Traumquoten, mal registrierte das Marktforschungsinstitut GfK beim Kulturkanal Arte um 13 Uhr Zehntausende von Zuschauern - obwohl Arte gar nicht auf Sendung war. Oder ein Computerfehler sorgt dafür, dass über mehrere Wochen in weiten Teilen der Testhaushalte nur die Sender RTL, RTL2 und das schwedische TV3 registriert wurden. Die Agenturen vertrauten den falschen Zahlen und buchten großzügig Werbezeiten bei RTL2. Der Schadenersatz ging in die Millionen. Vor allem dürfte sich der eine oder andere fragen, warum man denn den vollen Preis für ein Spiel bezahlen soll, das so viel Werbung enthält. Zumindest diesbezüglich hat „Anarchy Online“ schon mal Fakten geschaffen. Das Online-Rollenspiel schloss Anfang des Jahres ein Geschäft mit dem US-Unternehmen Massive Incorporated ab, das dafür sorgt, dass es zumindest bis zum 1. Januar 2006 eine werbefinanzierte und für den Spieler vollkommen kostenlose Version des Spiels gibt (www.anarchy-online.de). Massive gilt als Pionier der neuen Werbeform und konnte sich die Zusammenarbeit mit Coca-Cola, Honda, Intel, Nestlé, Paramount Pictures, T-Mobile, Universal Music Group und einigen anderen Firmen sichern, deren Produkte nun in onlinefähigen Spielen platziert werden. Auch vonseiten der Publisher wird Massive unterstützt: Zehn holte man bisher ins Boot, neben Funcom („Anarchy Online“) auch Ubisoft („Splinter Cell: Chaos Theory“), Vivendi Universal Games („World Of Warcraft“), Atari, Legacy Interactive, Take-Two Software und Codemasters. Rund 40 Spiele sollen nun bis Ende des Jahres dem Massive-Netzwerk angeschlossen werden und von deren Servern fleißig Werbung übermitteln. Ob dadurch die Preise für Spiele auf breiter Front sinken, ist unwahrscheinlich. Eher dürfte die neue Einnahmequelle dazu genutzt werden, die steigenden Entwicklungskosten abzufedern. Denn hier bleibt der Trend zur Multimillioneninvestition ungebrochen: Zwischen drei und zehn Millionen Dollar kostet inzwischen die Produktion eines Top- Games, Tendenz steigend. „Mit jeder neuen Konsole stiegen die Entwicklungskosten um 50 Prozent“, so Peter Dille, weltweiter Marketingchef beim Spielepublisher THQ, „und wir gehen davon aus, dass das auch bei der kommenden Generation so sein wird.“ Aber immerhin: Die Zeiten, in denen Konzerne andere Konzerne verklagen, weil die Gratiswerbung in einem Autorennspiel für sie machen und Publisher dafür bezahlen, dass Firmen Product-Placement in ihren Spielen betreiben - diese verrückten Zeiten sind ein für allemal vorbei. Im Online-Zeitalter ist das natürlich besonders peinlich. Denn mit jedem Besuch im Internet hinterlassen wir zahllose Informationen über uns und unser Konsumverhalten, die mit einer Meisterhaftigkeit ausgewertet werden können, dass selbst Volkszählungen dagegen wirken wie ein Kneipen-Smalltalk mit zwei Promille. Von GfK-Messungen per Fernbedienung ganz zu schweigen. Durch die ständige Überwachung der Datenströme und deren Analyse sind natürlich auch speziell auf Spieler zugeschnittene Werbebotschaften möglich - zumindest, wenn der Computer beziehungsweise die Spielkonsole ab und zu online ist. Und die nächste Gerätegeneration setzt voll auf dieses Feature. Schon jetzt gibt es eine Menge Material auszuwerten: „Die demografischen Daten von Spielern sorgen dafür, dass das Interesse von Sponsoren beständig wächst“, freute sich Hachenburg bereits 2002, kurz nachdem er Intel und McDonald's in die „Sims“- Welt integriert hatte. Dank der Netzwerkfähigkeit modernen Spielgeräts können die so ermittelten Daten sofort in personalisierte Werbebotschaften umgesetzt und dem Empfänger zugestellt werden. Wer bisher in Spielen warb, musste sich mit statischen, unpersönlichen Mitteln zufrieden geben - mit Plakatwänden, Bandenwerbung, Product Placement oder bestenfalls einer eigenen Filiale im virtuellen Raum. Nun sind auch dynamische, personalisierte Werbeinhalte denkbar, die live in das Spielgeschehen eingeblendet werden. Wer bei Schlecker.de immer die Familienpackung Fisherman's Friend bestellt, muss sich also nicht wundern, wenn ihm die neue Geschmacksrichtung beim nächsten virtuellen Feldzug von einer Plakatwand anlacht. Auf den Banden des Fußballstadions erscheinen plötzlich nur noch Firmen, die man dufte findet. Und einer 12-Jährigen werden natürlich nicht Mariacron und Ernte 23 schmackhaft gemacht, sondern Softdrinks und Haribo- Konfekt. Hoffentlich. Denn schließlich wäre es peinlich, wenn der große Bruder ein Spiel erwirbt und die kleine Schwester dann mit „seinen“, eventuell wenig kindgerechten, Werbeeinblendungen konfrontiert wird. Aber ob die Kleine sich über die Angebote der zahlungskräftigen und wild entschlossenen Klingeltonmafia mehr freuen würde? Wer weiß. Text: Christian Ströh, Illustration: ITF Grafik Design
Ui, genau diese Info über Splinter Cell hatte ich gesucht.