Jeri Superstar
Auch die verwöhnte Generation XP weiß die tollkühnen Kisten der 80er Jahre zu schätzen. Und sorgt mit allerlei Hard- und Software für deren Fortbestand. Galionsfigur dieser – an skurilen Typen nicht gerade armen – Szene ist ausgerechnet eine Frau: Jeri Ellsworth
Es muss ein seltsames Gefühl gewesen sein, als Highschool-Abbrecherin die heiligen Hallen der Stanford-Universität zu betreten. Doch Jeri Ellsworth hatte sich nicht verlaufen. Sie sollte vor der zukünftigen Elite einen Vortrag halten. Und die war zahlreich erschienen. Kein Wunder: Die Frau ist Kult. Schließlich hat sie mehr oder weniger im Alleingang und ohne formale Ausbildung den Nachfolger (C-One) sowie eine Spielzeugversion (C64 DTV) des legendären Commodore 64 entwickelt. Und damit endgültig bewiesen, dass die klassischen Homecomputer auch heute noch rocken: Denn die gesamte Erstauflage des C64 DTV, immerhin 250 000 Stück, war über den amerikanischen Teleshopping-Senders QVC innerhalb eines Monats ausverkauft. Sieht so aus, als wäre die Liebe zu einstelligen Taktraten, grobkörniger Grafik und schrillen Synthesizer-Klängen nicht nur etwas für grenzwertige Nerds. Nun stand sie etwas verloren in diesem Hörsaal, nestelte an ihrem Shirt herum und trat von einem Bein aufs andere. Und dann fing sie an zu erzählen. Von ihrer einsamen Kindheit in einem abgelegenen Dorf in Oregon, von ihrem Außenseiterdasein an der Schule, vom Müllcontainertieftauchen beim lokalen Elektronikmarkt. Nur so kam sie an die begehrten Bauteile, die sie, wenn das Taschengeld knapp wurde, für kleines Geld an ähnlich gepolte Mitschüler verkaufte. Ja, mit solchen Geschichten bricht man ganz schnell das Eis – auch wenn Stanford-Studenten zumeist aus Familien stammen, die 30 000 Dollar Studiengebühren im Jahr berappen können und Müllcontainer nur aus Erzählungen der puertoricanischen Hausangestellten kennen. Doch von so einer träumen sie alle. Einer Frau, die nicht kichert, wenn der Freund vom „Hartlöten“ spricht. Einer, die sich das Telefon einfach selbst bastelt, als ihr Vater diese Anschaffung verweigert. Die sich an der Schule Respekt verschaffen will und deshalb Sandbahn-Rennwagen zusammenschweißt (für 900 Dollar pro Chassis) – und selbst Rennen fährt. Die eine kleine Computerladenkette betreibt, nachdem ihr das Trophäen-Sammeln auf den Dirt-Tracks der USA zu langweilig wird. Und die trotz aller Erfolge fast schüchtern daherkommt und aussieht, als könne sie auch mal was Nettes kochen. Jeri Ellsworth ist ohne Zweifel der Star einer neuen Generation von Garagenbastlern, die keinen Reinraum brauchen, um kleine Elektronikwunder zu vollbringen. Und die an den tollkühnen Kisten der 80er Jahre hängen und dem inflationären Gebrauch von Gigahertz und –bytes den Kampf angesagt haben. Stattdessen werden von dieser Szene fleißig Neuauflagen alter Spiele programmiert (www.remakes.org), Fortsetzungen geschrieben (www.zak2.de) und enorme Datenbanken gepflegt (www.the-underdogs.org). Andere vereinfachen mit ihren Entwicklungssystemen die Produktion von altmodischen Abenteuerspielen (www.adventuregamestudio.co.uk). Oder produzieren mit Atari-Optik und -Tönen ein Preis gekröntes Musikvideo für MTV (www.goldenshower.gs) und veröffentlichen CDs mit C64-Musik (www.c64audio.com). Besonders beliebt und weit verbreitet sind Emulatoren – die einen modernen PC in Nullkommanichts in eine Nullkommaneun-Megahertz Kindheitserinnerung verwandeln. Damit man damit auch etwas anfangen kann und es nicht nur bei wohlbekannten Begrüßungen wie „64K RAM SYSTEM 38911 BASIC BYTES FREE“ bleibt, haben unermüdliche IT-Archäologen nahezu jedes Programm von den gästehandtuchgroßen Floppy-Disks gekratzt und ins Internet gestellt. Selbstverständlich nicht nur die des Commodore 64. Ob Amiga, Apple, Atari, Schneider, Spectrum oder MSX – selbst für Exoten gibt es eine Software-Auswahl, von der man in der guten, alten Zeit nur träumen konnte. Um den Retro-Trip abzurunden, steckt sich mancher sogar den Original-Soundchip des C64 in den PC: Die HardSID-Quatro-Karte macht’s möglich (www.hardsid.com). Doch wer in der Szene etwas auf sich hält, schwelgt nicht auf einem modernen System in Erinnerungen, sondern benutzt gleich die Original-Hardware. Nachteil: Diskettenlaufwerke im Schuhkartonformat und minutenlange Ladezeiten. Vorteil: Man hat dank der üppig dimensionierten Netzteile eine Fußbodenheizung – und einen prima Grund für ein paar Wochen im Bastelkeller zu verschwinden. So wie die Tschechen Tomas Pribyl und Josef Soucek, die mit dem IDE64 einen Festplattencontroller für den Commodore 64 entwickelten, der auch CD-ROM-Laufwerke und CompactFlash-Karten verdaut (www.volny.cz/dundera). Oder die Schweden Peter Eliasson und Adam Dunkels, die laut „Guinness Buch der Rekorde“ den meistverkauften Computer aller Zeiten nach 25 Jahren netzwerkfähig machten. Ihre „Final Ethernet Cartridge“ erlaubt es, mit dem C64 auch per DSL ins Internet zu gehen (www.dunkels.com/adam/tfe/) und LAN-Partys der besonderen Art zu veranstalten. Fast unnötig zu erwähnen, dass die beiden darüber einen kleinen C64-Webserver betreiben. Wer das nachmachen will, muss selbst löten oder bei Jens Schönfeld einkaufen: Der Aachener ist eine Autorität unter den Commodore-Jüngern, half Jeri bei der Entwicklung des technisch anspruchsvollen „C-One“ und bietet auf seiner Seite www.jschoenfeld.com unter anderem das Retro-Replay- und das MMC64-Modul an, die beide mit Ethernet-Erweiterungen ausgestattet werden können. Auch der Amerikaner Maurice Randall versorgt die Commodore-Fans seit Jahren mit Old-School-Hardware; seine „SuperCPU“ beschert dem Rechner 20 Megahertz und steuert bis zu 16 Megabyte Arbeitsspeicher an (www.cmdweb.de). Doch der Star der Vintage-Computerszene ist unbestritten Jeri Ellsworth, sie schaffte es bis in die renommierte „New York Times“. Klar, das liegt auch daran, dass sie optisch deutlich besser rüberkommt als die oft genug ziemlich grottenolmigen Besucher von Retro-Computing-Events. Aber sie hat eben auch etwas geschafft, wovon Commodore-Anhänger seit Jahren nur zu träumen wagten: Einen kompletten C64 auf einen einzigen Chip zu packen, ihn in einen Competition-Pro-Joystick zu stecken und für 30 Dollar zu verkaufen – und ihn so ins 21. Jahrhundert zu retten. Einen Rechner, dessen Herz gerade mal 940 000-mal pro Sekunde schlägt – und 0,9 Megahertz waren schon vor 20 Jahren nicht gerade viel. Zu wenig, um mehr als 16 Farben zu erzeugen, aber genug, um die Gestaltung von Schülerzeitungen zu revolutionieren, Millionen von Menschen in Amazonasabenteuer zu verwickeln und zusammen mit einem Akustikkoppler für dreistellige Telefonrechnungen zu sorgen. Kein Wunder, dass Jeri am Brotkasten hängt, und ihn durch die Entwicklung ihres Chips für die Ewigkeit konservieren wollte. „Als mein Commodore kaputt war, saß ich vor dem Weißrauschen des Fernsehers, bis mir die Augen brannten,“ erzählt Jeri Ellsworth und wirkt für ein paar Sekundenbruchteile richtig traurig, „denn ich hatte nun nichts mehr, womit ich mich beschäftigen konnte“. Ganz unschuldig an dem Malheur war sie natürlich nicht. Schließlich hatte die damals Achtjährige den Expansionsport mit rostigen Nägeln malträtiert, weil sie dachte, „die Spiele würden nur durch die Hardware erzeugt und dass ich mit etwas Fummelei meine eigenen erschaffen könnte.“ Überhaupt nahm sie damals alles auseinander, was ihr in die Finger kam. Offenbar keine schlechte Schule: „Ich lernte viel mehr, wenn etwas schief ging, als aus geglückten Experimenten.“ Ihr allein erziehender Vater versuchte der schleichenden Haushaltsauflösung durch seine Tochter pragmatisch entgegenzuwirken: Auf seiner Tankstelle stand „Jeri’s Box“ – ein Kasten, in den die Kunden ihren Elektroschrott werfen konnten, damit die Kleine etwas zum Spielen hat. Und als sie ihre viel versprechende Karriere als Rennfahrerin und Chassis-Konstrukteurin aufgab, um sich als PC-Händlerin zu versuchen, gewährte der Vater natürlich Asyl – wenn das Geld ob der geringen Gewinnspannen mal wieder nicht für eine warme Mahlzeit reichte. Die harten Zeiten dürften jetzt allerdings vorbei sein. Als der Hersteller des C64 DTV - wie bereits eine britische und eine kanadische Firma zuvor - Bedenken bezüglich der Finanzierung äußerte und abzuspringen drohte, ließ Jeri sich kurzerhand auf einen Spezialdeal ein: Geringes Honorar, dafür eine ordentliche Beteiligung an den Verkaufserlösen. Wäre das Gerät gefloppt, hätte sie monatelang umsonst gearbeitet. Doch dann kam ja bekanntlich der amerikanische Teleshoppingkanal QVC. Und nun kann sie im Hörsaal freudestrahlend die Anekdote zum Besten geben, in der sie ein etwas unangenehmer Ex-Arbeitgeber förmlich anbettelte, wieder in seinem Computerladen zu arbeiten. Und sie erwidern konnte: „Ich fürchte, sie können sich mich gar nicht mehr leisten“. Damit das so bleibt, erteilt GEE jetzt den Kaufbefehl: Ab 24. August ist die PAL-Version des C64 DTV in Deutschland auf dem Markt. Und besser kann man 25 Euro nicht anlegen, Ehrenwort. Text: Christian Ströh
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