Cheatwetter

Cheatwetter

Computer sind unbestechlich, die virtuelle Welt unverrückbar. Von wegen! Man muss nur den richtigen Code kennen

„Hoch, hoch, runter, runter, links, rechts, links, rechts, B, A, Start“: der „Konami-Code“. Drückte man zu Zeiten des Nintendo Entertainment Systems diese Tastenkombination auf seinem Joypad, konnte mit diesem Cheat in vielen Konami-Spielen eine geheime Option aktiviert werden. Zum ersten Mal konnte die Knopf-Kombi 1985 in „Gradius“ verwendet werden und bescherte dem Spieler alle erhältlichen Powerups. Populär wurde der Code 1988 mit der NES-Version des Sidescrollers „Contra“, da das Spiel ohne kaum zu schaffen war – aus mickrigen drei wurden dreißig Leben. Die Bezeichnung Cheat (englisch Betrug, Mogelei) kommt dabei nicht von ungefähr. Denn mit einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Spiel und einem ehrenhaften Sieg darüber hat das Spielen mit Cheat nichts zu tun. Trotzdem kommt heute kaum noch ein Game in die Läden, bei dem man sich nicht mithilfe spezieller Codes unendliche Munition, Hunderte von Leben, oder Unverwundbarkeit verschaffen könnte. Paradox? Nein, reiner Pragmatismus. Denn die meisten dieser so genannten God-Modes verdankt Otto Normalspieler der Tatsache, dass die Spiele während der Entwicklung und vor der Veröffentlichung intensiv getestet werden müssen. Um den Testern das Leben zu erleichtern und sicher zu stellen, dass sie auch wirklich jeden Winkel des Spiels erreichen, werden die Cheats als Hilfen eingebaut. Während bei Automatenspielen penibel darauf geachtet wird, diese Hilfen vor der Veröffentlichung wieder zu entfernen, werden die Schummler bei Spielen für den Hausgebrauch oftmals im Spiel gelassen. Doch neben diesem Pragmatismus haben sich Cheats schon lange zu einer Spielerei zwischen Entwicklern und Zockern entwickelt, einem kreativem Nebenkriegsschauplatz, der mit der Essenzialität vergangener Tage nichts mehr zu tun hat. So zeigt auch der Konami-Code in einigen aktuellen Spielen noch Wirkung: Am Anfang von „Metal Gear Solid: Snake Eater“ eingegeben (Achtung – B und A durch Quadrat und Dreieck ersetzen!), bewirkt der Code, dass während des Intro-Movies die Namen der Intro-Movie-Macher angezeigt werden. Da der Spieler hierbei aber keinen unfairen Vorteil erhält, spricht man auch von einem „Easter Egg“ oder „Secret“. Einem Phänomen, dessen Geburtsstunde sich im Gegensatz zu der des gewöhnlichen Cheats ganz genau bestimmen lässt: 1978 veröffentlichte Atari unter dem Titel „Adventure“ das erste Action-Adventure der Welt, für die Atari2600-Konsole. Was die Chefetage nicht wusste: Programmierer Warren Robinett hatte etwas ins Spiel geschummelt. Wer in einem bestimmten Raum einen pixelgroßen Punkt aufnahm, konnte damit durch eine sonst verschlossene Tür gehen und bekam dort die Worte „Created By Warren Robinett“ zu sehen. „Damals gab Atari seinen Spieleprogrammierern keinen Credit. Auf den Verpackungen stand einfach ,Adventure by Atari‘. Obwohl die Spiele damals komplett von Einzelpersonen geschrieben wurden. Für mich war der versteckte Raum eine Möglichkeit, meine Arbeit zu signieren, so wie ein Künster seine Bilder unterschreibt“, erklärt Robinett. Seitdem wurden in Videospielen mehr Sachen versteckt als gefunden. Geheime Gänge, versteckte Minispiele, alternative Spielfiguren oder komplett neue Spielvarianten. Dinge eben, von denen in keinem Handbuch die Rede ist. Auch in normalen Computerprogrammen finden sich übrigens „Easter Eggs“. In der trockenen Tabellenkalkulation „Excel 97“ war ein Flugsimulator versteckt, im ansonsten seriösen Layoutprogramm „QuarkXPress“ ein kleines Alien, das markierte Textkästen per Laser ins Jenseits befördert. Meistens werden solche Extras und Überraschungen durch Tastenkombinationen, das Eingeben spezieller Namen in der Highscoreliste oder durch Speichern unter bestimmten Begriffen ausgelöst. Kurioserweise gilt das auch als „cheating“, obwohl sich der Spieler dadurch gar keinen Vorteil erschummelt. So war es in „Wipeout 2097“ nicht wirklich hilfreich, seine Gleiter in Hai, Ufo, Schnecke, Schwein oder Biene zu verwandeln – aber eine lustige Abwechslung. Und „Tekken 2“ ist im First-Person-Wireframe-Modus eigentlich gar nicht spielbar – aber es sah verdammt gut aus. Ein wahrer Hort verrückter Spielveränderungen ist das kürzlich erschienene Gangster-Epos „GTA: San Andreas“. Dort lässt sich die virtuelle Welt mit verschiedenen Cheats komplett aus den Angeln heben: Autos können fliegen, die Zeit bleibt stehen, oder CJ schlägt Gegner mit einem Mega-Punch bis zum nächsten Block. Sogar ein Sandsturm lässt sich per Button-Cheat heraufbeschwören. Für die Programmierer ist es nicht schwer, solche Spielereien einzubauen. Meistens müssen sie nur einige Parameter in der Game-Engine verändern, die dann durch Drücken einer bestimmten Tastenkombi aktiviert werden. So gibt es zum Beispiel für die Zusammensetzung der Bevölkerung in „GTA“ eine Formel. Werden deren Werte geändert, ändert sich auch das Fußvolk. Gibt man „X, X, runter, R2, L2, Kreis, R1, Kreis, Quadrat“ ein, laufen plötzlich nur noch Ninjas durch die Straßen. Für die Game-Designer ein netter Gag – für die Spieler eine aufregende Entdeckung. Robinetts Raum wurde seines Wissens nach von einem 15-jährigen Jungen entdeckt. Per Zufall. Sehr viel überlegter geht es „Edisoncarter“ an, der seinen richtigen Namen nicht preisgeben möchte. Der „GTA“-Fan aus den USA entwickelte eine Software für den PC, die mit Hochgeschwindigkeit Knopf-Kombinationen durchs Kabel seines Controllers in die PS2 jagt. Wann immer die Software anschlägt und eine Veränderung in den gespeicherten Spieldaten anzeigt, ist es an ihm, den Code einzugeben und herauszufinden was er überhaupt anrichtet. „Das ist mein Lieblinspart. Es ist wie Verstecken spielen, denn ich weiß ja nur, dass der Cheat etwas verändert, aber nicht, was genau er verändert. Es gab diesen einen Cheat, den ,Taxi Bunny Hop & NOS‘, wo ich einfach nicht herausbekam, was anders ist. Ich habe den Cheat dann im im Internet veröffentlicht und jemand anderes fand heraus, dass auf einmal alle Taxis mit Lachgasenspritzung ausgerüstet waren und hüpfen konnten wie ein BMX-Bike.“ Zwanzig neue Cheats hat er so entdeckt. Auch den grandiosen „Cars Fly“-Cheat, der bewirkt, dass man mit den Autos höher und schneller als mit Flugzeugen fliegen kann. „Ungefähr 20 weitere soll es noch geben“, weiß Edisoncarter von einem anderen Cheat-Jäger, der sich in den Programmcode gehackt hat. Die Buttonkombinationen, die Edisoncarter mit seinem Setup herausfindet, aktivieren allerdings immer nur Dinge, die von den Programmierern bewusst eingebaut wurden. „Das ist gerade bei Konsolenspielen inzwischen zum Standard geworden“, weiß Uwe Beneke von Yager Development, „und wird von den Publishern auch aktiv verlangt. Die haben das als Werkzeug erkannt, um den Spielern einen Mehrwert zu bieten.“ Noch weiter als von Entwicklern und Publishern vorgesehen, werden Spiele mit Cheatmodulen wie „Action Replay“ oder „Game Shark“ manipuliert. Mit speziellen Codes, die über eine Benutzeroberfläche eingegeben werden, können Werte an jeder Stelle der Spieldaten geändert werden, zum Beispiel für die Lebensenergie. Mit viel Geduld lassen sich jedoch auch andere Werte herausfinden und verändern. Zum Beispiel der für den Wasserstand in San Andreas. Experten wie Edisoncarter können sich so sogar von Stadt zu Stadt oder in Häuser, die eigentlich gar keine Türen haben, beamen. Und auf dem PC geht noch mehr. Externe Programme, „Aimbots“, helfen dem Spieler beim Zielen auf Gegner, und „Wallhacks“ machen Wände durchsichtig. Da das dem Spieler bei Multiplayer-Games einen enormen unfairen Vorteil verschafft, passt „Betrug“ hier wirklich, ist zu Recht verpönt und wird von Betreibern der Multiplayer-Spielserver sogar mit Programmen wie „Punk Buster“ und „Cheating Death“ bekämpft. Einen Höhepunkt erreichte der Kampf gegen die virtuellen Betrüger 1992, als Nintendo gegen die Macher des Cheat-Moduls „Game Genie“ klagte: Es sei nicht zulässig, ihre Soft- und Hardware in dieser Weise zu manipulieren und verletze Nintendos Rechte als Copyright-Inhaber, klagte Big N. Das Gericht entschied seinerzeit zugunsten der Schummler und urteilte, dass Verbraucher und Firmen auch Copyright-geschützte Geräte nach eigenen Wünschen manipulieren und erweitern dürfen. Dabei werden Single-Player-Games durch Cheating meistens nur eins: langweilig. Manchmal allerdings auch schöner: „Ich habe den ,Sunny Weather Cheat‘ für ,Vice City‘ das ganze Spiel hindurch benutzt“, erzählt Edisoncarter. „Wenn ich schon in einer unechten Welt herumlaufe, will ich wenigstens gutes Wetter haben.“ Text: Moses Grohé
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von Volker Hansch / April 10th, 2005 /

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