Breit aufgestellt
Der dritte Tei der der "Midnight Club"-Rennserie trägt den Zusatz "Dub Edition" im Namen. Mit Reggae hat das Spiel aber nichts zu tun, schon eher mit HipHop, wie wir bei unseren Nachforschungen in San Francisco erfahren haben
Noch ist die Arena im Cow Palace in San Francisco leer. Lediglich einige Techniker schrauben an einer Konzertbühne rum. Später werden hier namhafte DJs und MCs 9000 Gästen einheizen. Doch gerade ist noch Soundcheck. Schwere HipHop-Beats dröhnen durch die unbesetzten Ränge, dringen mit Macht durch den ganzen Gebäudekomplex. Normalerweise werden im Cow Palace Waffen- und Computermessen ausgetragen. Doch an diesem Wochenende gastiert hier die Dub Superseries Show, der Wanderzirkus der neuesten amerikanischen Tunerkultur. In einer der vielen unterirdischen Lagerhallen des Cow Palace sind die Bässe nur noch ein entferntes Wummern, das mühelos übertönt wird vom Konzert unzähliger, übersteuerter Autostereoanlagen. Inmitten des infernalischen Lärms arbeitet eine mexikanische Familie konzentriert daran, ihren Honda Accord möglichst auffällig zu präsentieren. Während die Frau, mit Lappen und Politur bewaffnet, den Chromfelgen das letzte Finish verpasst, geht der Mann ums Auto und öffnet die Türen, die Heckklappe und die Motorhaube. Damit man auch all die Details sehen kann, in die er so viel Zeit und Geld gesteckt hat. Den Chrom im Motorraum, das Airbrush auf Luftfilter und Tankdeckel, die fluoreszierenden Instrumententafeln. Währenddessen legen die beiden Kinder kleine Spiegel unter den Wagen. So kommt die blaue Unterbodenbeleuchtung besser zur Geltung. Der Wagen, der früher mal eine langweilige Familienkutsche war, ist geschmückt wie ein Christbaum. Ein paar Meter weiter steht der Cadillac Escalade von Shaquille O’Neal, dem ehemaligen Center der L.A. Lakers. Verglichen mit anderen Exponaten der Show erscheint der Luxusgeländewagen des Basketball-Superstars fast schon unauffällig, von den riesigen Chromfelgen einmal abgesehen. Ein Custom-Kühlergrill und getönte Scheiben, das war’s. Vor dem Auto steht ein kleines Schild, so ähnlich wie die Verkaufsschilder in einem Autohaus. Dort kann man lesen, was die dezenten Extras gekostet haben. 15000 Dollar die Stereoanlage inklusive der kofferraumfüllenden Bassbox, 25000 die Felgen. Ding! – willkommen in der obersten Etage des Dub-Tuning. Neben Shaq’s Karosse stehen noch andere verwaiste Autos von Celebrities. Rapper Snoop Dogg’s perlweißer Chrysler 300C, der Mercedes S 500 seines Kollegen Xzibit und der Lamborghini Murcielago des ehemaligen New-York-Knicks-Spielers Latrell Sprewell. Diese Wagen werden vom „Dub Magazine“, dem Veranstalter der Dub Superseries, bei jedem Stopp der Tour aufgestellt. Sie sind ein Publikumsmagnet und gleichzeitig die Essenz der Dubkultur. Denn Dub hat nichts mit den schnauzbarttragenden Vorortschraubern zu tun, die sich sonst in Tuning-Magazinen präsentieren – ihre Geschmacksverirrungen auf vier Rädern inklusive. Dub, das ist Glamour. Auto runter, Celebrity-Faktor rauf. Snoop Dogg, Warren G, Nigo, Eminem, Paul Tracy, Xzibit, LL Cool J – von den Seiten des „Dub Magazine“ grinst einem die HipHop-Prominenz der USA geschlossen entgegen. „Ridin’ on Dubs“, wissen fleißige HipHop-Hörer, ist schon lange eine gängige Zeile in Rap-Songs, die Luxuskarossen mit unglaublich großen Felgen längst Dauergäste in den entsprechenden Videos. Und auch wenn mittlerweile einige Sportler und Modedesigner vom Dub-Fieber angesteckt wurden, das Gros der dubbeschuhten Karrossen wird von Rappern gelenkt. „Dubkultur und HipHop gehörten schon immer zusammen“, erklärt Haythem Haddan, Creative Director des „Dub Magazine“ und Berater von Rockstar San Diego für das neue „Midnight Club“-Spiel. Dabei hat er Mühe, sich gegen die Beats von Usher’s „Yeah!“ durchzusetzen, die von der Arena aus an den dünnen Pappwänden des Cow Palace rütteln. „Durch die Rapvideos wird Dubkultur auf der ganzen Welt bekannt“, sagt er. Aber muss man ein reicher Rapper sein, um an der Dubkultur teilhaben zu können? Und ist die Welt überhaupt schon reif dafür? „Im Grunde genommen“, wiegelt Haythem ab, „kannst du mit einem VW Jetta ankommen, dem spießigsten Auto, das es gibt – wenn du 20-Zoll-Felgen draufziehst, sage ich: Willkommen im Club.“ Genau. Die Felgen. Um sie dreht sich alles. Sie sind der kleinste gemeinsame Nenner, das Band, das den mexikanischen Familienvater und den millionenschweren Basketballstar verbindet. „20s“,„22s“,„24s“,„26s“, so geht der Sprachcode der Dubkultur. Je größer der Durchmesser der Felgen, in amerikanischen Zoll gemessen, desto besser. Warum der Hummer H2 die Ikone der Dubkultur ist, kann Haythem schnell aufklären: „Es ist das einzige Auto, bei dem eine 28-Zoll-Felge in den Radkasten passt.“ 28 Zoll sind 71 Zentimeter Durchmesser, die Hummer-Felge damit ungefähr so groß wie das Holzrad einer mittelalterlichen Fürstenkutsche. Und der daraufgezogene Reifen ist fast ebenso dünn wie das Stahlband, das auf derartige Holzräder gespannt wurde. 28 Zoll, das ist die magische Zahl für alle Dub-Tuner. Sie stellt die Schallgrenze dar, mehr geht nicht. Doch Dub sind nicht nur große Felgen. „Bei den meisten anderen Tuner-Kulturen geht es vor allem um die Performance. Darum, möglichst viel Leistung aus den Motoren herauszukitzeln. Das ist bei Dub total unwichtig. Es geht nur um eins: die Show“, präzisiert Haythem dann noch mal die Definition von Dub. Ein Blick durch die Motorräume der ausgestellten Autos bestätigt das. Zwar gibt es hier mal eine Lachgaseinsprizung und dort mal einen Sportauspuff, aber bei den meisten Autos sitzt die Leistung hinten, im Kofferraum. Eine Stereoanlage, so scheint es, ist erst dann angemessen dimensioniert, wenn nicht nur die Membranen der Lautsprecher, sondern das ganze Auto vibriert. Das hässliche Geräusch scheppernder Blechteile und klappernder Scheiben scheint dabei niemanden zu stören, im Gegenteil – es gehört zum guten Ton. Doch auch das Auge darf nicht zu kurz kommen. Genauso angesagt wie eine markerschütternde Beschallung sind Multimediasysteme, inklusive Spielkonsole. Auch hier gilt: je mehr, desto besser. Und plötzlich wird klar, warum so gern SUVs, also große Geländewagen, gedubbt werden. Sie haben viele Sitze, und in viele Sitze kann man viele TFT-Displays einbauen. Ob es die Dubkultur jemals nach Deutschland schaffen wird, ist fraglich. Dabei waren es ausgerechnet deutsche Tuner, die in den USA an der vordersten Dub-front kämpften. „AC Schnitzer, Oettinger und Lorinser waren die ersten Firmen überhaupt, die Body-Kits für Luxuswagen wie BMW oder Mercedes angeboten haben“, sagt Haythem. Es klingt irgendwie lustig, wie er die Namen der deutschen Tuner ausspricht. „Äissi Sniddser.“ Es mag seltsam erscheinen, dass diese Tuning-Firmen ihr Heil erst jenseits des Atlantiks finden. Doch beim eigenen Klischeeschubladen-Check wird schnell klar, warum. Modifizierte Edelkarossen werden in Deutschland gedanklich immer in der gleichen Gegend abgestellt: dem Rotlichtviertel. Autotuning ist hierzulande prollig, wer zeigt, was er hat, wird sofort als unterbelichteter Geldadel abgekanzelt. Das ist in den USA anders. Wer mit einem getunten Rolls-Royce, BMW, Mercedes, Bentley oder italienischen Sportwagen Marke Ferrari oder Lamborghini um die Ecke biegen kann, erntet Beifall und keine gerümpften Nasen. Kein Wunder also, dass die Leute Schlange stehen, um im „Dub Magazine“ gefeiert zu werden. „Wer 50000 Dollar in sein Auto steckt, will das den Leuten auch zeigen“, beschreibt Haythan die Beziehung zwischen seinem Magazin und den darin gefeierten Stars. Die größte Hürde der Dubkultur auf dem Weg nach Deutschland ist also noch nicht einmal die Bürokratie. Denn die meisten Modifikationen, einschließlich 28 Zoll großer Felgen, würden sogar vom TÜV ihren Segen bekommen. Ein bisschen Geld, viel Geduld und noch mehr Hartnäckigkeit vorausgesetzt. Nein, es ist die richtige Einstellung, die hier in Deutschland fehlt. Das Bedürfnis, anerkennend zu nicken, wenn ein Quartett riesiger Chromfelgen vorbeifährt, und nicht verächtlich den Kopf zu schütteln. Nur so ist es möglich, dass ein aufgetakeltes Vernunftauto einer Einwandererfamilie neben dem Luxusgefährt eines Superstars steht. Denn auch wenn Shaquille O’Neal dem Cow Palace keinen Besuch abgestattet hat: Wäre er dort gewesen, hätten er und der mexikanische Familienvater einander garantiert erhobene Daumen gezeigt. Text: Michail Hengstenberg