Schlechter Schnitt
So gut wie jeder hat sich schon über die einfallslose Videospielumsetzung eines Kinofilms geärgert. Und so manch einer verließ resigniert den Kinosaal,weil er von der Verfilmung seines Lieblingsgames schmerzhaft enttäuscht wurde. Trotzdem reißt die Flut an Umsetzungen in beide Richtungen nicht ab. Und besser werden sie auch nicht. Warum nur?
Los Angeles in nicht allzu ferner Zukunft. Die Veranstaltung im Kodak Theater ist genau durchgeplant. Gerade erst hat der Preisträger für den besten Filmschnitt seinen Oscar in Empfang genommen, da muss er schon wieder das Feld räumen. Angelina Jolie und Milla Jovovich betreten die Bühne. „Und die diesjährigen Nominierungen für das beste Videospiel zum Film lauten …“ Zählt man die Filmumsetzungen von Videospielen und die Versoftungen erfolgreicher Kinofilme der letzten Jahre zusammen und wirft einen kurzen Blick auf die aktuellen Projekte beider Gattungen, wirkt die Vision eines Filmgame-Oscars gar nicht so abwegig. Fest steht: Die beiden Medien nähern sich einander unaufhaltsam an. Zumindest die Motivation der Filmindustrie liegt bei dieser Entwicklung klar auf der Hand. Denn trotz aller Mehreinnahmen durch die Zweitvermarktung von Filmen auf DVDs gehen die Einnahmen der großen Filmfirmen an den Kinokassen immer weiter zurück. Währenddessen lassen die Publisher von Videospielen keine Gelegenheit aus zu erwähnen, dass sie mit ihren Spielen mittlerweile mehr Umsatz machen als Hollywood mit seinen Kino-Blockbustern. Und finanzielle Tatsachen konnte man auch in der Traumfabrik noch nie ignoireren. Dabei ist die Kollaboration der beiden Medien beileibe keine neue Mode. Doch bis vor wenigen Jahren war der Austausch noch ziemlich einseitig. Seit dem Boom von Heimcomputern und Konsolen in den Achtzigern gehört das Videospiel zur Kinofilm-Franchise-Produktpalette wie Stofftier, Actionfigur und Kaffeebecher. Allerdings kam den Filmgames damals lange keine besonders große Aufmerksamkeit zu. Howard Scott Warshaw (siehe Interview Seite 49) arbeitete Anfang der Achtziger bei Atari und entwickelte 1983 unter anderem das Spiel zum Film „E.T.“ – dem bis dato größten Flop der Filmstoffversoftung. Bis heute halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Atari fünf Milionen Cartridges in der Wüste von Nevada verscharren musste, weil der Absatz so schleppend war. Der Entwicklungsprozess des Spiels sah laut Warshaw folgendermaßen aus: „Ich hatte fünf Wochen Zeit für die Entwicklung. Als ich mich damals mit Steven Spielberg traf, um mit ihm meine Ideen für eine Spielumsetzung zu besprechen, sagte er nur: ,Können wir nicht so etwas wie ,Pac-Man‘ machen?‘“ Das Aufwendigste an dem Spiel war dann, laut Warshaw, letzten Endes der Startbildschirm. Doch auch bei hochwertigeren Filmversoftungen war es zur damaligen Zeit noch schwierig, den Kinozuschauer für das Spiel zum Film zu begeistern – was schon angesichts der technischen Standards jener Tage kaum verwundert. Denn wie sollte jemand die kantigen 2D-Bilder auf dem Schirm seines Heimcomputers mit den aufwendigen Fantasiewelten im Kino gleichschalten können? Der Unterschied zwischen dem Bild auf der Leinwand und dem Pixelhaufen aus der TV-Röhre war einfach zu groß. Zumindest in dieser Hinsicht vertragen sich Spiel und Film heute viel besser. Dank stetig verbesserter technischer Möglichkeiten nähern sich die Spiele visuell mehr und mehr den Filmgeschichten an. Klar. Denn in beiden Bereichen wird inzwischen mit ähnlichen Mitteln gearbeitet. Wie im Entwicklungsstudio übernimmt auch am Filmset immer öfter ein Rechner die Kreation der Kulissen. Und Techniken wie Motion-Capturing, ein Verfahren zum Einspeisen von Bewegungsabläufen in den Computer, gehören schon lange zum Handwerkszeug beider Branchen. Dabei garantiert gute Technik nicht automatisch gute Unterhaltung, wie Verfilmungen von Videospielen lange Jahre hindurch bewiesen. Denn auch wenn die Grafik gut aussah, war das Ergebnis immer dürftig. Das erste Spiel, das die zweifelhafte Ehre hatte, für die Leinwand aufbereitet zu werden, war „Super Mario Bros.“. Doch selbst die eingefleischtesten Fans erkannten ihren Helden nicht wieder. Die Verfilmung hatte von dem smarten Klempner und seinem Kompagnon, mit dem man sich Stunde um Stunde, Level um Level vorgekämpft hatte, um Prinzessin Peach zu retten, nichts übrig gelassen als einen schäbigen Witz. Mitte der neunziger Jahre folgten dann „Mortal Kombat“ und „Street Fighter“. Und auch wenn diese ihrer Fangemeinde nicht so weh taten wie „Super Mario Bros.“ der ihrigen – sie waren ebenso flach und floppten ebenso gnadenlos an der Kinokasse. Und selbst ambitionierte Projekte wie der 100 Millionen Dollar schwere Animationsfilm „Final Fantasy – The Spirit Within“ von 2001 schossen meilenweit am angepeilten Einspielergebnis vorbei. Die Story hatte einerseits zu wenig mit der Spielserie gemein, um die Fans zu begeistern, und war andererseits zu abgedreht, um den durchschnittlichen Kinogänger in den Vorführsaal zu locken. Erst „Tomb Raider“ (2001) und „Resident Evil“ (2002) sowie die jeweiligen Fortsetzungen schafften es, mit der Verfilmung der Videospiele Erfolge an der Kasse zu verbuchen. Allerdings hatte wohl eher die gut gebaute Starbesetzung die Massen angesprochen – und weniger die Tatsache, dass beide Filme ihren Vorbildern wirklich gerecht wurden. Eine der Vorlage entsprechende Gameverfilmung stellt immer eine ganze Reihe schwieriger Herausforderungen an das Filmstudio. Wie eine Game-Verfilmung aussehen muss, wenn die Kinokassen klingeln sollen, entscheidet sich schon an der Ausrichtung ihrer Vorlage. Spiele, bei denen es in erster Linie um Action oder Spaß geht, um das Abrufen der richtigen Tastenkombo zum richtigen Zeitpunkt, beziehen ihre Faszination aus den Gefühlen, die der Spieler mit ihnen verbindet. Zum Beispiel „Street Fighter“ oder „Mortal Kombat“: Welcher Gegner war am härtesten? Wie oder wann habe ich ihn geknackt? Wer von meinen Freunden war mein stärkster Rivale? Diese ganz privaten Gefühle kann kein Film reproduzieren. Jede Verfilmung läuft Gefahr, zu einer schlechten Kopie realer Emotionen zu verkommen. Vor einem ähnlichen Problem steht auch die Verfilmung von „Doom“, bei der nach drei Jahren Planungszeit gerade mal Regisseur und Hauptdarsteller benannt sind. ID-Software-Geschäftsführer Todd Hollenshead versichert zwar in jedem Interview eifrig, dass „diese Filmumsetzung echte ,Doom‘-Fans nicht enttäuschen wird“. Aber wie soll ein Film einem Game gerecht werden, in dem 90 Prozent der Spielzeit geballert wird? Er kann es nicht. Die Funktionsweisen von Filmen und Videospiele sind einfach zu verschieden. Regisseur John Woo (Interview rechts) bringt das Problem auf den Punkt: „Mit einem Film habe ich den Kinozuschauer in der Hand. Beim Spiel dagegen liegt die Kontrolle beim Publikum.“ Doch auch wenn ein Film niemals das Erlebnis eines Spielers beim Spielen ersetzen und ein Spiel niemals die Illusion eines Films erzeugen kann, weil die Rolle des Zuschauers nicht die gleiche ist – sie können sich ergänzen. John Carmack, der Entwickler von „Doom“, sagte einmal: „Mit der Story in einem Videospiel verhält es sich wie mit der Story in einem Porno. Man erwartet, dass sie da ist, aber sie ist nicht wichtig.“ Und so könnte der Film dort anfangen, wo das Spiel aufhört. Könnte dem Spieler Geschichten über den Space-Marine aus „Doom“ erzählen, den er Level für Level durch brenzlige Situationen lenkt. Geschichten, die ein Spiel trotz aller High-End-Grafik nie wird erzählen können. Vor allem, weil echte Schauspieler überzeugender sind als jeder Videospielcharakter – egal wie gut dieser animiert ist. Ganz abgesehen davon, dass man, außer in den Cut-Scenes, ohnehin nur die Pranken und die Knarre des virtuellen Alter Ego sieht. Aber auch, weil man ein Spiel spielen und nicht gucken will. Das hat „Metal Gear Solid 2“ mit seinen Zwischensequenzen in Spielfilmlänge überzeugend vorgeführt. Andersherum können Videospiele den Kinozuschauer die im Film gezeigte Welt auf eine Art erleben lassen, wie sie nicht in neunzig Minuten gepresst werden kann. Die Geschehnisse auf der Leinwand wären dann ein Fantasieanreger für die nächste Spielerunde, die im Kino entwickelte Beziehung zum Protagonisten ein emotionales Update für die Beziehung zum Spielcharakter, den man zu Hause lenkt. Wie beim Strategiespiel „Herr der Ringe: Schlacht um Mittelerde“. Noch ganz aufgewühlt vom Schlachtengetümmel im Film kann der Spieler hier selbst zum Feldherrn werden und so die Strategien im Film nachspielen. Oder eben ganz eigene Wege finden, Mittelerde zu retten oder zu knechten. Doch bislang, so sieht es leider aus, hat sich noch niemand ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wie man die beiden Unterhaltungsmedien wirklich fruchtbar miteinander verbinden könnte. Für die Führungskräfte in den Chefetagen der Produktionsfirmen steckt in der Entscheidung für das Produkt „Videospiel zum Film“ nicht mehr Herzblut als beispielsweise in der Entscheidung für die „Kaffeetasse zum Film“. Es ist ein Franchise, ein simples Rechenspiel. Wenn fünf Milionen Menschen ins Kino gehen, sind vielleicht eine Milionen von ihnen Videospieler, bei denen man das Spiel zum Film problemlos an den Mann bringen kann. Und dabei läuft es, wie die vielen schlechten Spiele zum Film zeigen, in der Regel wie schon 1983 bei „E.T.“. Es geht nicht darum, Wege zu finden, die eine Kunstform in die andere zu übersetzen, sondern möglichst günstig und pünktlich zur Veröffentlichung des Films das dazugehörige Game in den Ladenregalen zu haben. Und auch andersherum regiert vor allem der Rubel. Für die heute meist börsennotierten Spielefirmen sind die Lizenzen ihrer Spiele vor allem ein wertvolles Handelsobjekt. Das Ritual in der Vergabe von Filmlizenzen läuft eigentlich immer gleich ab: Wahlweise in den Wochen vor großen Spielemessen oder bei Release einer Spielfortsetzung gibt es eine Pressemitteilung über das Interesse an den Filmrechten oder im besten Fall die Ankündigung einer Optionsvergabe an ein Filmstudio. Damit verbunden ist dann allerdings nur der Auftrag an einen Drehbuchschreiber, der aus der Geschichte des Videospiels ein erstes Skript schustert. Die Optionen auf die Geschichte verfallen jedoch nach einen festgelegten Zeitraum, und für die Filmfirmen entstehen keine weiteren Verpflichtungen. Die Spiele werden damit zu einer Marktware, und Gerüchte über Filmprojekte sind an der Börse willkommene Kurstreiber. Momentan hängt ein Haufen bekannter Spiele in dieser Optionswarteschleife: „Soul Calibur" (Anthem Pictures), „Dead Or Alive“ und „Driver“ (Impact Pictures), „Deus Ex“ (Columbia Pictures), „Fear Effect“ (Paramount Pictures), „Crazy Taxi“ sowie „Shinobi“ (Mindfire Entertainment), „Eternal Darkness“ (Hypnotic), „Perfect Dark“ (Fireworks Entertainment), „Tekken“ und „Onimusha“ (Gaga Communications). Um nur einige zu nennen. Kein Wunder, dass Kyle Cooper, berühmt für seine Filmvorspänne („Sieben“, „Dawn Of Dead“; siehe Interview Seite 50) und gerade dabei, den Vorspann zu „MGS3 – Snake Eater“ zu gestalten, diese Entwicklung skeptisch betrachtet: „Ich sehe es nicht gern, wenn aus Filmen irgendwann Spiele werden.“ Doch es gibt auch Beispiele für Firmen, bei denen nicht die Finanzen im Vordergrund stehen, sondern der Traum von einer konsistenten Fantasiewelt, in der sich Spiel und Film ergänzen. Ausgerechnet Schauspieler Vin Diesel erbrachte mit seinen Tigon Studios und „Chronicles Of Riddick” den Beweis dafür, wie man die richtige Schnittmenge zwischen Spiel und Film finden kann. Statt den Spieler einfach stumpf den Plot des gleichnamigen Blockbusters nachdaddeln zu lassen, eröffnet das Game ein weiteres Kapitel der Chroniken dieses Kriegers. Ein zukunftsträchtiges Konzept, bei dem der Fanartikel, nur nebenbei gesagt, besser ausfiel als der Film. Dass die Rechenschieberei der Film- und Entwicklungsstudiobosse auch gehörig danebengehen kann, zeigte sich im Übrigen sehr deutlich am Beispiel von „Catwoman“. Denn leider ist der Erfolg eines Filmspiel nicht nur von der eigenen Qualität abhängig, sondern auch von der des Films. In Fachzeitschriften bekam das Spiel „Catwoman“ durchaus gute Wertungen. Doch der grottenschlechte und absolut erfolglose Film riss das Spiel unweigerlich mit in den Absatzzahlen-Abgrund. Bis auf weiteres bleiben Spiele zum Film und Filme zum Spiel also ein Glücksspiel, bei dem es in erster Linie um Gewinnmaximierung geht. Und dabei stehen zwei ganz sicher nicht auf der Gewinnerseite: Fan und Vorlage. Text: Alexander Geyer, Gregor Wildermann