Kriegsanleihen
In de letzten 30 Jahren widmete sich eine ganze Armada von Videospielen dem Thema Krieg. Vor allem WW2 diente dabei bevorzugt als Kulisse für simple Shooter mit dünner Aussage. Nun wurde die Taktik gleich in doppelter Hinsicht geändert: In immer mehr Spielen ist Vietnam das virtuelle Schlachtfeld und Simulation das neue Zauberwort.Wird damit vielleicht endlich eine andere Stufe der historischen Auseinandersetzung mit dem Krieg angestrebt? Oder kann Spiel gar nicht Krieg sein? Und welche Rolle spielt die US Army in dieser Schlacht am Bildschirm? Ein Blick hinter die Kampflinien
Ein Flugfeld irgendwo im Nahen Osten. Die Sonne steht hoch am Himmel. Team Alpha und Team Beta, bestehend aus jeweils vier Soldaten der US Army, sind in Bereitschaft gegangen, um den Flugplatz zu sichern. Vereinzelte Gegner haben sich im Hangar und in den Gebäuden rund um den Tower verschanzt. Team Alpha rückt vor und bezieht hinter einem großen Container Stellung. Team Beta rückt nach und will gerade unter der Leitung seines Teamleaders den Hangar stürmen, als Maschinengewehrfeuer in ihre Richtung bellt. Zuerst wird der Grenadier getroffen, dann geht auch der Scharfschütze blutend zu Boden. Ein Soldat verletzt, ein weiterer tot. Die Mission schon ist nach wenigen Minuten gescheitert. Rückzug. Was wie die Schilderung aktueller Ereignisse aus Nasarija, Falludscha, Mosul oder Bagdad klingt, sind Szenen aus dem ersten Level von „Full Spectrum Warrior“, einem taktischen Kriegstruppensimulator für Xbox und PC. Der Unterschied zwischen realen und digitalen Kriegsbildern ist dabei nur schwer auszumachen. Die Qualität der Simulation hat ein ganz neue Stufe erreicht. Zog 1980 in Spielen wie „Battlezone“ noch einfachste Vektorgrafik einen tiefen Graben zwischen Realität und Fiktion, bilden mittlerweile Spiele wie „Full Spectrum Warrior“ den Krieg auf der Heimkonsole physikalisch und optisch korrekt ab. Überraschend ist das nicht. Immer mehr Spiele, die sich mit dem Thema „bewaffneter Konflikt“ auseinandersetzen, werden in Zusammenarbeit mit der Institution entwickelt, die mit der Materie vertraut ist wie niemand sonst: der US Army. Während sich für die meisten Firmen diese Zusammenarbeit darauf beschränkt, den Realitätsgehalt des eigenen Spiels von Spezialisten der Armee ungefähr abgleichen zu lassen, wurde „Full Spectrum Warrior“ eigens von der Army in Auftrag gegeben. Mitte der neunziger Jahre ließ die ihre Soldaten noch mit einer Spezialversion von „Doom“ den Finger am Abzug trainieren. Heute entsprechen die Spielprinzipien, die Waffen und die taktischen Manöver von „Full Spectrum Warrior“ genau dem Arsenal und der Doktrin der US Army. Doch kann Krieg oder die Vorbereitung darauf wirklich ein Spiel sein? Und was sind abseits von Umsatzzahlen die Beweggründe für immer mehr Firmen, sich der Kriegsthematik anzunehmen? Spricht man mit Greg Borrud, Produktionsdirektor beim amerikanischen Entwickler Pandemic, ergibt sich bezüglich „Full Spectrum Warrior“ ein eher nüchternes Bild. Für ihn ist diese Simulation eine Auftragsarbeit, die man professionell, aber emotionslos abwickelt. „Im Jahr 2000 nahm das Institute Of Creative Technologies (ICT) Kontakt zu uns auf. Dieses Unternehmen arbeitet für die US-Armee und suchte eine Möglichkeit, Soldaten in ihrer abendlichen Freizeit spielerisch mit den Trainingsmethoden der Army vertraut zu machen.“ Schon zu Entwicklungsbeginn Anfang 2002 stand der Kampf in Städten und kleinen Orten im Vordergrund. Eine kommerzielle Vermarktung des Spiels war dagegen ursprünglich nicht geplant. Ein Kriegsspiel, bei dem es primär darum geht, Schusswechsel zu vermeiden, hätte wohl bei den meisten Produktmanagern der Game-Industrie nur ein Kopfschütteln geerntet. Es ist schon paradox, dass erst durch die Finanzierung einer Armee-Tochterfirma ein Spiel auf den Markt kommt, das sich des Themas Krieg auf einer eher unspektakulären, ruhigen, nüchternen Ebene annimmt. Eben der einer Simulation. Dabei hätten andere Firmen sich schon längst dieses Spielprinzips bedienen können. Denn inhaltliche Grundlage von „Full Spectrum Warrior“ ist das offizielle „Field Manual“ der US-Army, mit dem acht verschiedene Verfahrensweisen für Konfliktsituationen trainiert werden. Dieses Handbuch unterliegt keinerlei Geheimhaltung und ist als Download auf der Website der US Army erhältlich. Doch schon bei oberflächlicher Betrachtung des Spielprinzips von „Full Spectrum Warrior“ fällt auf, dass zwischen dem offiziellen Army-Ziel der Konfliktvermeidung und dem Wunsch vieler Spieler nach einfacher, möglichst unablässiger Action eine riesige Lücke klafft. Krieg hat keine Regeln, Spiele müssen sie haben, damit der Spieler nicht irgendwann genervt sein Pad aus der Hand legt. Und so mussten die Entwickler bei Pandemic für die Verkaufsversion von „Full Spectrum Warrior“ eine ganz eigene Art von „Spielspaß“ definieren. „In einem Spiel rufen bestimmte Handlungen immer bestimmte Ergebnisse hervor. Jede Form von Zufall würde dieses System stören und beim Spieler Frust auslösen. Ein Querschläger oder eine Waffe mit Ladehemmung würden vom normalen Spieler als unfair empfunden“ So verwundert es auch nicht, dass viele Kriegsspiele ihren Fokus nur auf einen Aspekt des Krieges beschränken: zielen und schießen. Und in diesem Punkt unterscheidet sich „Full Spectrum Warrior“ trotz des martialischen Titels eindeutig von seinen Genrekollegen: Genau wie im echten Krieg geht es darum, im richtigen Moment aus der Schusslinie zu verschwinden. Der Gebrauch von Waffen ist eher sekundär, stattdessen gilt es, sich selbst und seine Teamkollegen so zu positionieren, dass möglichst wenige Verluste zu befürchten sind. Um diese Problematik zu verdeutlichen, bedienten sich die Entwickler von Pandemic eines grafischen Effekts: Am Controller aktiviert man den „fog of war“, der mit einer Unschärfe auf dem Bildschirm klar macht, welche Blickwinkel der Soldaten den jeweiligen Einsatzort nicht abdecken. Schon in der Trainingsmission wird diese essenzielle Grundaufgabe den Soldaten mit markigen Worten eingetrichtert. „Train hard now and live long later!“ Trotzdem gibt Greg Borrud zu, dass im Vergleich zur Armeevariante der kommerzielle Titel an vielen Stellen anders funktioniert. „In der Armeeversion wurden in den Kampfablauf auch diverse selbst gemachte Bomben, so genannte Improvised Explosive Devices (IEDs), eingebaut. Soldaten üben, diese rechtzeitig zu erkennen und sie durch bestimmte Techniken zu entschärfen. Für das Retail-Spiel wäre dies zu komplex und technisch gewesen. Auch sonst mussten wir den Realismus herunterschrauben: Wenn eine Rauchgranate in der Realität drei Minuten braucht, um einen Straßenzug vollkommen zu vernebeln, hätte dies in einem normalen Spiel nur Langeweile erzeugt.“ Doch nicht nur die taktisch-technische Realität wird in den meisten Kriegsspielen unterschlagen. Auch die Auseinandersetzung mit dem Inhalt ist in der Regel eher eindimensionaler Natur. David Bowry, seines Zeichens Game Director bei der Firma Guerilla Games, gibt offen zu, dass für die Wahl einer Kriegsthematik wie dem Vietnamszenario bei ihrem neuen First-Person-Shooter „Shellshock: Nam 67“ in erster Linie kommerzielle Argumente im Vordergrund standen. „Unsere Entscheidung für die Kriegsthematik wurde maßgeblich von der wachsenden Popularität von Kriegsspielen beeinflusst. Hinzu kam, dass das Genre unseren Designideen und unserer Grafikengine entsprach. Da jedoch der Markt mit Spielen vor der Kulisse des Zweiten Weltkriegs mehr als gesättigt ist, haben wir uns für Vietnam und den sehr gut dokumentierten Kriegsverlauf entschieden. Auch die Fortschritte in der Grafikleistung heutiger Engines erleichterte die Entscheidung für ein Spiel, das in einer Dschungelatmosphäre angesiedelt ist.“ Betrachtet man diesen Punkt ganz abgeklärt, dann ist diese Argumentation durchaus nachvollziehbar. Während das in der Zeit des Pazifikkrieges angesiedelte „Medal Of Honour: Rising Sun“ in den Levels mit Tropenvegetation immer noch unrealistisch aussah, bewegen sich Bambuspflanzen und Reisgräser in „Shellshock: Nam 67“ so, wie man es von TV-Dokumentationen und Dutzenden Kriegsfilmen à la „Platoon“, „Apocalype Now“ oder „Der schmale Grad“ kennt. Doch kann man ein Kriegsszenario wie den Vietnamkonflikt mit mehr als 2,5 Millionen Toten nur wählen, weil die Optik einladend erscheint? Zumal sich gerade der Vietnamkrieg als Schauplatz wunderbar dazu eignet, die in den meisten Kriegsspielen betriebene Schwarzweißmalerei durch einen tieferen Angang des Themas zu ersetzen. Denn selbst in den USA gilt der Vietnamkonflikt als unehrenhafter Krieg. Ein einfaches Feindbild wie bei den bösen Nazis und guten Alliierten des Zweiten Weltkriegs lässt sich in einem Spiel zur Vietnamthematik nur mit extrem vielen Brettern vor dem Kopf durchbringen. Doch das weiß dann zum Glück auch David Bowry und sieht darin gleichzeitig eine Chance für das Spiel. „Wir wollen Krieg als das zeigen, was er wirklich war und ist: die Hölle. Und wir wollten diese Hölle aus der Perspektive eines Soldaten erlebbar machen. Deswegen wird man in ,Shellshock: Nam 67‘ auch sehen, was die Gewalt im Krieg auf beiden Seiten angerichtet hat. So zeigen wir Folterszenen durch Amerikaner genauso wie die Wirkung von Bodenfallen der Vietcong. Und dies passiert nicht, damit das Spiel möglichst kontrovers rüberkommt. Dies entspricht lediglich dokumentierten Tatsachen.“ Es war die „Medal Of Honour“-Serie, die diese enge Anlehnung von Kriegsspielen an historische Ereignisse marktreif machte. Und „Call Of Duty“ perfektionierte diesen Ansatz durch eine fast schon cineastische Inszenierung und schuf dadurch eine atmosphärische Dichte, wie es noch nie zuvor ein anderer WW2-Titel geschafft hatte. Dies brachte dem Spiel von der Fachpresse weltweit rund 70 „Game Of The Year“-Awards ein. Die Fortsetzung „Call Of Duty: United Offensive“ mit Levels wie der Landung auf Sizilien kommt noch dieses Jahr in die Läden. Auch andere Kriegsspiele entwickelten sich in den zurückliegenden zwei Jahren zu kommerziellen Erfolgsgeschichten: „Battlefield: 1942“ vom dänischen Entwickler Digital Illusions avancierte zu einem der populärsten PC-Onlinetitel überhaupt, und noch Ende dieses Jahres wird mit „Battlefield: Modern Combat“ die moderne Kriegsführung am PC und auf der PS2 eingeleitet. Die erprobte Spielmechanik wurde – dem Trend folgend – mit „Battlefield: Vietnam“ erst jüngst in asiatische Gefilde verfrachtet. Doch besonders bei diesem Spiel fällt auf, dass das Setting Vietnam nur als möglichst aufmerksamkeitsträchtige Kulisse dient. Die bis zu 25 Mitspieler kämpfen wie im Sandkasten lediglich um die Eroberung von Fahnen und Stützpunkten. Warum und wo ist egal, lediglich das Wie interessiert. Auch die Auswahl der Kriegsparteien wird abseits von unterschiedlicher technischer Ausrüstung und Bewaffnung inhaltlich nicht weiter hinterfragt. Und wenn Panzer, Jeeps und Motorroller dann noch einen Radiosender empfangen, in dem Lieder wie Edwin Starrs Antikriegshymne „War“ laufen, gleitet das Fähnchen-Kriegsspiel endgültig ins Absurde ab. Mehr Substanz wird man wohl auch vom kommenden Shooter „Man Of Valor“ nicht erwarten dürfen, der die Tet-Offensive als Schauplatz wählt und dem Spieler die Möglichkeit gibt, auch die Rolle der Guerilla einzunehmen. Die durch den ersten Teil der „Medal Of Honor“-Serie bekannt gewordene Entwicklerfirma 2015 machte sich leider nicht die Mühe, diese „andere Seite“ in einen inhaltlichen Kontext zu setzen. Das einzige, was sich beim Seitenwechsel ändert, sind die Texturen der Gegner, und übrig bleibt nur stumpfe Shooter-Action. Aber: Wie muss ein Spiel denn nun aufgebaut sein, damit man es – wie Filme oder Bücher zum Thema Krieg – ernst nimmt und ihm gleichzeitig noch zugesteht, ein Spiel zu sein? Bei „Full Spectrum Warrior“ entschloss sich Pandemic zusammen mit der US-Army, den „Authentic Mode“ der Originalversion dann doch noch in der Verkaufsversion einzubringen. In dieser fehlen alle eingeblendeten Zusatzinformationen über Gegner. Die Speicherpunkte befinden sich nur am Levelende. Doch können derartige Mechanismen allein genügen, um dem Spieler einen Eindruck von der Erfahrung Krieg zu vermitteln? Einen Ansatz mit geradezu beängstigender Aktualität wählte die US-Firma Kuma Reality Games. Sie bietet verschiedene PC-Spiellevel als Download an, die schon beinahe Nachrichtencharakter haben. So wurde zum Beispiel die Gefangennahme von Saddam Hussein versoftet. Dabei war es für die Firma fast enttäuschend, dass bei der Verhaftung kein einziger Schuss fiel. Welchen Einfluss solche Spiele auf die Meinungsbildung in den USA haben können, zeigt das wohl konsequenteste Beispiel eines Kriegsspiels. In einer Umfrage der Marketingfirma „I To I Research“ zum Bild der US-Armee unter einer Auswahl amerikanischer Jugendlicher ergab sich, dass 40 Prozent einen guten Eindruck aufgrund der jüngsten Aktionen in Afghanistan und Irak haben. Weitere 30 Prozent begründeten ihr positives Bild der Armee aber mit „America’s Army“, einem PC-Spiel, das seit Mitte 2002 direkt über die Website als kostenloser PC-Download angeboten und Anfang 2005 über Ubisoft auch auf Konsolen Einzug halten wird. Ähnlich wie bei „Full Spectrum Warrior“ verschwimmt bei „America’s Army“ die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Wie ein Rekrut wird man in wochenlangem Training geknechtet, bis man endlich in den „richtigen“ Krieg ziehen darf. Bleibt die Frage, welche Entwicklung das Genre in Zukunft nehmen wird. Beziehungsweise wie die Spielefirmen mit der Verantwortung umgehen, dass sie ihre Kriegsspiele vor immer realistischeren Hintergründen stattfinden lassen können. Kommende Titel könnten dem Spieler Einblicke in einen Kriegskonflikt gewähren, die Filme und Bücher nicht bieten können; höhere Grafikleistung und größere Speichermedien wären dann nicht mehr nur Selbstzweck. Und eins ist klar: Auch jenseits von Fadenkreuz und Marketing-Reißbrett sollten die Hersteller Verantwortung für ihre Themenwahl übernehmen. Kimme und Korn allein reichen einfach nicht mehr aus. Text: Gregor Wildermann