Frauenrunde
Männer spielen Computer, Frauen sind davon genervt. So weit das Klischee. Tatsächlich stellen Frauen rund ein Drittel der deutschen Videospielgemeinde dar. Nur: Warum sieht man sie nie? Wir haben vier Spielerinnen um Antwort gebeten
Ein verregneter Samstagnachmittag in Hamburg. Vier Frauen sitzen um einen Tisch im Konferenzraum unserer Redaktion. Aus Berlin, Potsdam, Hannover und Hamburg sind sie gekommen, um mit uns übers Videospielen zu sprechen. Svenja Honselmann, 21, ist Mitglied im „Counterstrike“-Clan „Deutschlands Kranke Horde“, kurz „DKH“. Katja Rosengart, 27, gehört ebenfalls dem Clan an. Außerdem betreut sie www.zockerweibchen.de, die größte europäische Community für spielende Frauen. Susanne Eichner, 29, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam. Sie schreibt gerade ihre Dissertation zum Thema Rezeptionsästhetik bei Computerspielen. Und Sonja Müller, 27. Sie ist freie Journalistin und hat einen ausgeprägten Hang zu Videospielen. GEE: In der öffentlichen Wahrnehmung sind weibliche Spieler nicht wirklich existent. Es gibt nur das Klischee vom männlichen Spieler. Gerade bei einem Spiel wie „Counterstrike“ rechnet wohl keiner damit, dass er sich mit einer Frau duelliert, wenn er online geht. Katja: Stimmt. Wenn ich im Internet spiele, werde ich wegen meiner hohen Stimme oft erst mal für einen dreizehnjährigen Jungen gehalten. Da kriege ich dann auch schon mal ein „Hau ab!“ um die Ohren geschmissen. Aber sobald ich sage, dass ich eine Frau bin, sind die Reaktionen eher positiv. Svenja: Es kommen jedoch auch Sprüche wie: „Ich kann ja nicht auf Frauen schießen, deswegen bin ich auch so schlecht.“ Aber eigentlich wird man ganz gut aufgenommen. Nur im Chat kommen manchmal ganz schön dreiste Kommentare. Das ist natürlich nicht so toll. Und wenn man dann auf LAN-Partys oder auf Events auftaucht, sind alle auf einmal ganz schüchtern. Susanne: Wie viele Frauen sind denn so im Schnitt auf LAN-Partys? Svenja: Unterschiedlich. Das hängt immer von der Größe der LAN-Party ab. Vor drei Jahren war ich allein – mit ungefähr 150 Männern. Katja: Jetzt gerade auf der Northcom waren es etwa 25 Frauen. Der Rest der 2018 Teilnehmer waren männlich. Svenja: Wir gehen nächste Woche auf eine LAN-Party, da gibt es so eine Aktion „Ladys@Play“. Da haben sich bisher 25 Frauen angemeldet. GEE: Das sind ja nicht gerade viele. Susanne: Es gibt die Theorie von der unsichtbaren Spielerin. Was bedeutet: Sobald das Spielfeld öffentlich ist, zum Beispiel auf einer LAN-Party, fällt der Prozentsatz der Spielerinnen total ab. In den USA wird der Anteil der Spielerinnen auf fast 50 Prozent geschätzt. Und hier in Europa soll der Prozentsatz an Frauen, die spielen, je nach Studie, bei etwa 30 Prozent liegen. GEE: Warum schrumpft dann auf LAN-Partys der Frauenanteil auf ein Prozent? Svenja: Vielleicht haben die Frauen Angst zu versagen, wenn sie auf LAN unter so vielen Männern sind. GEE: Mal nebenbei: Wo schläft man eigentlich als einzige Frau unter 150 Männern? Svenja: Die meisten Jungs schlafen gar nicht oder mal kurz für zwei Stunden auf der Tastatur. Es gibt auch Schlafräume, aber die sind meistens ziemlich ekelhaft. Alle dicht an dicht auf dem Boden in einem Raum ohne Fenster. Ich nehme einfach meine Isomatte, lege sie über drei Stühle und penne im Schlafsack. Katja: Ich glaube, viele Frauen gehen einfach deshalb nicht zu LAN-Partys, weil sie schlichtweg keinen eigenen Computer haben. Es haben anscheinend noch immer mehr Männer als Frauen einen eigenen Computer. Sonja: Das glaube ich nicht. Es gibt doch mittlerweile in jedem Haushalt einen Computer. Svenja: Aber ein Mädchen kann ja nicht ein ganzes Wochenende den PC seines Vaters mit auf eine LAN-Party nehmen. Sonja: Stimmt. In ganz vielen Familien ist es doch so: Mädchen kriegen Barbiepuppen, Jungs einen PC. Svenja: Ich glaube auch, dass Erziehung viel damit zu tun hat, dass Mädchen spielen. Immer wenn ich an meinem Computer sitze und spiele, sagt meine Mutter: „Mädchen dürfen keine Ballerspiele spielen.“ Susanne: Im Ernst? Sie sagt nicht: Ballerspiele sind gefährlich, und man soll die nicht spielen, sondern: Mädchen sollen keine Ballerspiele spielen? Svenja: Ja. Susanne: Und wie ist das bei euren Freundinnen? Finden die auch doof, dass ihr Computer spielt? Katja: Meine beste Freundin hasst mich dafür. Ihr Freund ist auch ein Spieler, und immer wenn sie etwas mit ihm unternehmen will, sitzt er vor dem Computer. Und dann hat ihre beste Freundin auch noch Verständnis dafür. GEE: Sonja, du hast mir erzählt, das dein Freund auch ein Hardcore-Spieler ist. Wie sieht denn euer gemeinsames Privatleben so aus? Sonja: Wir spielen viel zusammen, allerdings selten gegeneinander. Er spielt dann nämlich am liebsten Sportspiele, und ich kann auf keinen Fall mehr als einen Charakter zur Zeit koordinieren. Deshalb spielen wir vor allem abwechselnd. Ich bin ein bisschen grobmotorischer als Sven. Bei „Billy Hedger“ beispielsweise mach ich immer die Gegner platt, und wenn es darum geht, auf einen kleinen Absatz zu springen, erledigt Sven das. GEE: Wie sieht denn für eine Frau das perfekte Spiel aus? Katja: Ich glaube, da gibt es nichts Frauenspezifisches. Das hängt immer davon ab, worauf man gerade Lust hat. Sonja: Ich sehe das auch so, merke aber auch, dass ich Spiele anders wahrnehme als mein Freund. Gerade was atmosphärische Dinge betrifft. Vielleicht liegt es daran, dass er viel mehr spielt als ich. Er ist ganz schön abgebrüht, ich erschrecke mich bei Spielen unglaublich oft. Mein schlimmstes Erlebnis war, als ich „Resident Evil“ über einen Beamer, zwei mal drei Meter groß an die Wand geworfen, gespielt habe. Danach habe ich drei Nächte nicht geschlafen, weil ich Angstträume hatte. Aber ich glaube nicht, dass irgendetwas in Spielen für Frauen verändert oder ausgebaut werden muss. Es gibt ja eine große Vielfalt an Spielen. Da ist bestimmt für jede was dabei. Susanne: Es gibt aber auch Spiele, die bei Umfragen unter Frauen ganz schlecht abschneiden. „Dead Or Alive Beach Volleyball“ zum Beispiel. Sonja: Das ist ja auch ein total langweiliges Spiel. Trotzdem ist es in allen Videospiel-Rezensionen ganz gut weggekommen, weil die Mädels große Möpse haben. Das Spiel ist doch offensichtlich schlecht, und trotzdem hieß es in allen Magazinen nur: „Super, Cybermäuse!“ Da kannst du dir auch eine Playboy-DVD kaufen. Dieses Sex-Ding nervt mich auch bei Lara Croft am meisten. Ich finde „Tomb Raider“ wirklich großartig – aber muss es denn immer diese Von-hinten-auf-den-Arsch-Einstellung sein? Susanne: Wenn sie krabbelt – das ist ganz schlimm. Sonja: Wenn du also fragst, wie das perfekte Spiel aussieht, dann sag ich: „Tomb Raider“ ohne Arschkamera. Bei „Dead Or Alive Beach Volleyball“ denke ich dagegen nur: „Das ist ein Scheißspiel für verklemmte Tittenglotzer.“ Für die gibt es ja auch diese neckischen Zwischensequenzen, wo du von Steinchen zu Steinchen hüpfen musst und alles schön mitschwingt. So was kann ich als Spiel eh nicht ernst nehmen. Aber bei einem so guten Spiel wie „Tomb Raider“ ärgert es mich einfach, wenn die Protagonistin wie ein billiges Pin-up inszeniert wird. GEE: Wahrscheinlich sind viele Männer einfach zu feige, sich ein Sexmagazin zu kaufen und denken: „,Dead Or Alive Beach Volleyball‘ ist ein Videospiel, das geht dann schon klar.“ Deinem Lara-Croft-Superknackarsch-Argument muss ich allerdings entgegenhalten, dass ich auch keine schmalschultrigen Typen, also mich, auf dem Bildschirm sehe, wenn ich spiele. Das sind immer nur absolut durchtrainierte Typen. Sonja: Aber du hast nicht permanent eine Arsch- oder Sixpack-Cam. Und dann nimm die Cheats, wo plötzlich jemand nackt rumsteht. GEE: Stimmt, das gibt es bei Männern nie. Sonja: Eben. Die Leute, die das programmieren, müssen doch genauso nerdy sein wie die Typen, die geil darauf sind, die Cheats rauszufinden. Oder sie sind einfach sehr berechnend und kennen ihre Zielgruppe genau. Susanne: Ich glaube eher, dass sie ihre Zielgruppe da nicht kennen. Gerade bei Spielen wie „Tomb Raider“ ist es abzusehen, dass es ein großes Potenzial an Spielerinnen gibt. Und solche Cheats stoßen Frauen doch total ab. Umgekehrt ist es genauso bescheuert, wenn manche Hersteller krampfhaft versuchen, Weiblichkeit in die Spiele zu integrieren. Das Spielprinzip bleibt dasselbe, nur die Hauptfigur wird ein bisschen süßer gemacht. Und davon versprechen sich die Hersteller dann ganz viel. Letzten Endes werden da doch die gleichen Klischees weitergegeben wie bei den Spielen, in denen wir hünenhafte Männer als Helden und zarte Frauen als Opfer haben. Sonja: Früher gab’s diese Unterschiede doch noch nicht, oder? Susanne: Da gab es uns noch nicht als Spieler. Sonja: Na ja, Gianna Sisters auf dem C64 … GEE: … und es gab „Pacman“ für Frauen. Sonja: War das nicht das mit der roten Schleife? GEE: Ja. Wie hieß das Spiel denn noch mal? Susanne: „Pacbabe“ wahrscheinlich. (Die weibliche Version von „Pacman“ hieß in Wirklichkeit natürlich „Ms. Pacman“, Anm. d. Red.) GEE: Jetzt wirst du unfair. Das war doch von den Herstellern total nett gemeint. Susanne: In einer älteren Studie wurde versucht zu erklären, warum Pacman bei Frauen so erfolgreich war. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es dem natürlichen Bedürfnis der Frau entspräche, Ordnung zu schaffen. Diese Theorie hat sich beschämend lange gehalten. GEE: Nicht weil sie da endlich mal so viel essen können, wie sie wollen. Susanne: Das wäre eine schönere Erklärung. GEE: Glaubt ihr eigentlich, dass es einen speziell weiblichen Blick auf Videospiele gibt? Vielleicht sogar eine Situation, wo euer Blickwinkel für Verwunderung gesorgt hat? Svenja: Oft weiß ich bei „Counterstrike“ schon vor meinen Teamkollegen, wo sich Gegner verstecken. Die anderen aus meinen Clan sagen dann oft: Dein weiblicher Instinkt hat uns geholfen zu gewinnen. Susanne: Aus feministisch-wissenschaftlicher Perspektive muss man so eine Aussage kritisch betrachten. Mit dieser Äußerung wird dir nämlich etwas abgesprochen. Du bist nicht so gut, dass du das einfach kannst oder weißt, sondern das ist dann die weibliche Intuition. Es ist quasi nicht mehr deine eigene Fähigkeit, sondern etwas Diffuses. Wie eine höhere Macht. Sonja: Wenn ich jemanden in „Mortal Kombat“ so richtig platt mache, und der würde mir dann sagen: Das war deine weibliche Intuition. Dann sag ich dem: Komm her, ich geb dir weibliche Intuition. Literaturtipps: „Level Up – Digital Games Research Conference“, herausgegeben von Marinka Copier und Joost Raessens, zu bestellen auf www.gamesconference.org. Sowie der Aufsatz „Killing Like A Girl: Gendered Gaming And Girl Gamer’s Visibility“ von Jo Bryce und Jason Rutter, den man sich auf www.digiplay.org.uk/media/cgdc.pdf runterladen kann. Webseite: www.zockerweibchen.de Text: Benjamin Maack, Fotos: Simone Scardovelli
Die gesamten Beiträge der „Level Up“-Konferenz 2003 finden sich auch als PDF auf digra.org:
http://www.digra.org/dl/order_by_author?publication=Level%20Up%20Conference%20Proceedings
(wie übringes auch alle anderen Beiträge zu den digra-Konferenzen von 2002-2009).