Damals in den 64ern
8-Bit beißen nicht. Wie ein Siliziumhaustier die Wohnzimmer als erster echter Heimcomputerim Alleingang missionierte
Computer waren unheimlich. Der ins Psychopathische abgleitende „HAL“ aus „2001“ mit seinem hypnotischen roten Kameraauge, die zum Gebet an sie verleitende „Mutter“ aus den „Alien“-Filmen, der manische Spieler aus „Wargames“: Sie alle waren Überfiguren, vor denen wir Menschen auf die Knie sinken mussten, um uns ihrem Denken zu ergeben. Computer waren nicht alltäglich. Man brauchte sie, um den dritten Weltkrieg zu führen, fürs Apollo-Mondprogramm oder aber um die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest zu finden. Computer waren Science-Fiction. Sie sahen alle aus wie von Ken Adams designt, dessen War-Rooms, Labore und Vulkankrater-Raketenbasen in den James-Bond-Filmen alle diese weißen Schrankwände mit den großen Magnetbändern, den endlosen Papierstreifen und den vielen bunten Knöpfen hatten. Dass Captain Kirk Werbung für den VIC-20 – den älteren Bruder des C64 – machte, war also nur folgerichtig. Er klopfte an mit einem dem Tricorder, Phaser oder sogar Warp-Antrieb ebenbürtigen Stück Technik und erzählte, dass das, was gestern noch unmöglich schien, jetzt schon Wirklichkeit war: „a full fledged expandable color computer“. Allerdings hatte er sich aus seinem gelben „Star Trek“-Pullover gepellt und in einen Anzug gezwängt, war zu William Shatner geworden und faselte davon, wie billig dieses Gerät doch sei und wie viel Spaß das Spielen mit ihm mache. Als ob es sich nicht um eine Weltverschwörungs-maschine handeln würde, sondern um einen neuen Toaster. Was jetzt in den Haushalten stand, erinnerte nicht mehr an Science-Fiction. Im Gegenteil. Vor uns stand ein karamellbrauner Block mit abgerundeten Kanten, auf dem sich eine Menge ins Schokoladige hineinspielende, knubbelige Tasten befanden. Darauf prangte ein hoffnungsfroher Regenbogen, das alte Zeichen der Versöhnung Gottes mit den Menschen, an dessen Ende kein sinnloser Topf mit Gold stand, sondern eine cocktailkirschfarbene Leuchtdiode, die uns anzeigte, dass alles lief. Aus der unheimlichen, die Welt lenkenden Überfigur war ein lustiger kleiner Bursche geworden, der es sich auf dem Couchtisch bequem gemacht hatte. Im Dezember 1982 wurde der Commodore 64 in Amerika vorgestellt, im Juni 1983 kam er nach Deutschland. Wie kein anderes Modell vor und nach ihm hat der „Brotkasten“, wie er von seinen Besitzern genannt wurde, die Kultur in, um und mit dem Computer geprägt. Innerhalb des ersten Jahres wurden 4 Millionen Geräte verkauft, bis zur Produktionseinstellung im Jahr 1993 insgesamt 22 Millionen weltweit. Mehr Geräte desselben Typs hat niemals eine andere Computerfirma geschafft. Und überboten werden kann sie wohl auch nicht, weil die Modelle heutzutage viel zu schnell veralten und ersetzt werden. Deutschland war hierbei weltweit der wichtigste Markt. Der größte Teil der 22 Millionen C64s ist hier verkauft worden. Commodore hatte seinen Hauptsitz für die Bürocomputerfabrikation in Frankfurt. Ein bis zwei Generationen der Bundesrepublik sind mit diesem Kasten in die Welt hineingewachsen, in der sie jetzt Bankkaufleute, Online-Redakteure, Werbedesigner, Computerspielprogrammierer oder Netzwerkadministratoren sind. Es sind also nicht nur Golf, Playmobil-Piratenschiff oder Bonanza-Rad, die als Symbol für die heute Dreißigjährigen stehen können, sondern auch dieser „Volkscomputer“ mit seinem bügeleisengroßen und ebenso schweren Netzteil, das – so gingen die Legenden – auch mal so heiß werden konnte, dass es sich in den Synthetikteppich des Kinderzimmers schmorte. Mit seiner schuhschachtelgroßen Diskettenstation, die ihren empfindlichen Lesekopf nicht sanft per Lichtschranke zur Grundposition manövrierte, sondern ihn maschinengewehrsalvenartig so lange gegen den Anschlag fahren ließ, bis er mit einiger Wahrscheinlichkeit richtig positioniert sein musste. Mit seiner schmutzig-weißen Datasette, die in enervierendem Gefiepe sinnvolle Befehlsketten erkannte und uns mit ihrem frei liegenden Erdungskabel auch mal einen Schlag versetzte. So erzählen diese Menschen dann auch mit verklärtem Gesichtsausdruck von dieser Zeit, als sie sich mit den Tücken von 64K Ram und freien 38911 Basic Bytes herumschlugen. Als Commodore noch zwischen Science-Fiction und Jugendzimmerschreibtisch vermitteln musste und den gesamten Umgang mit der Technik kurzerhand zu einem Spiel erklärte. „Wie landet man sicher auf Jupiter und in der nächsten Klasse?“, fragte die Werbung und gab die Antwort, die dann als Kaufgrund dienen konnte: mit einem Commodore-Computer. „Er macht Musik. Spielt Jupiter-Landung und Schach. Er unterrichtet aber auch; Mathe, Physik und Biologie. Er verwaltet die Schallplattensammlung und ’s Taschengeld. Und macht sogar die Schularbeiten. Ein faszinierendes Ding. Ein echter Computer, den man spielend beherrscht.“ Nicht für das Leben computern wir, sondern fürs Spielen Treffender hätte es Commodore nicht ausdrücken können. Der Computer wurde spielend beherrscht. So wie Napster innerhalb weniger Wochen im Winter 2000 alle zu Dealern mit Daten im weltweiten Netz machte, so stiftete der C64 in den Monaten zwischen Weihnachten 1983 und Konfirmation 1984 eine große Gemeinschaft der Spieler. Um die Eltern zu beruhigen, hatte man sie zwar auch einen Seikosha- oder OKI-Neunnadeldrucker kaufen lassen, der in angeblicher „Near Letter Quality“ kreischend die mit Vizawrite zusammengestümperten Hausaufgaben auf das grün gestreifte Endlospapier mit amerikanischen Maßen tätowierte. Aber die eigentlichen Aufgaben lagen ganz woanders. Es ging darum, mit Hubschraubern durch Bergwerke zu fliegen, auf einem Stein-Einrad über Baumstämme zu hüpfen, Melodien mit seinem Ghettoblaster aufzufangen, auf eine Pyramide zu rennen und sich unter Speeren zu ducken, eine Weltraumhandelsroute zwischen Tausenden von Planeten aufzubauen oder Dinosauriereier mit einer Zeitmaschine aus der Vergangenheit zu holen. Das hieß dann Fort Apocalypse, Quest For Tires, Ghettoblaster, Aztec Challenge, Elite oder Dino Eggs und war das neue Street-Credibility-Wissen. Wurden wenige Monate vorher noch Panini-Bilder vom Europapokal-der-Landesmeister-Sieger HSV als die heißeste Ware des Pausenhofs betrachtet, so machten nun Verbatim- oder Elephant-5-1/4-Zoll-Disketten mit den indizierten „Beachhead“ oder „Castle Wolfenstein“ die Runde – beides Strich- und Blockgrafiklangweiler, die wegen ihres Kriegs- beziehungsweise Nazi-Aufhängers aber für Aufregung sorgten. Und so wie man vorher mit blauem oder rotem Schweißband seine Zugehörigkeit zu einer Fußballclub-Peergroup demonstrierte, bildeten sich schnell neue Fraktionen heraus, die den Joystickkrieg der achtziger Jahre austrugen. Auf der einen Seite die Nerds, die sich an den ominösen „Mikroschaltern“ des Competition Pro ergötzten – gern auch an der transparenten Version, die den Blick auf die Platine im Inneren ermöglichte. Auf der anderen Seite die Prolls, deren Fetisch die Griffmulden und der Dauerfeuerschalter des Quickshot II waren. Zu Gruppenspielen erschien man dann auch wie Tom Cruise in „Die Farbe des Geldes“ mit seinem einzigartigen, zusammenschraubbaren Billard-Queue. Für geringere Aufgaben nahm man Gebrauchsjoysticks, Sonderangebote von Commodore oder so, aber wenn es dann ernst wurde, wickelte man den in 23 Finalrunden ungeschlagenen Siegerjoystick aus der Tasche. Und auch wenn die Spiele größtenteils hanebüchen waren, wenn die Joystick-, Disketten- oder sonstige Peripherie-Kriege lächerlich waren, es zeigte doch eines: Die Beschäftigung mit dem Computer war eine Herausforderung. Ein Wettkampf, eine Entdeckungsreise, ein Aufspüren von Möglichkeiten, eine Schatzsuche. Irgendwann in der Zukunft jedenfalls. Selbst wenn man keinerlei technische Fähigkeiten hatte, so musste man sich dennoch bereit halten und die Zeit vertreiben in einer Art elektronischem Wartezimmer. Irgendwann würde die Welt dann rufen, zu was auch immer. Dass es Webdesign, Datenbankverwaltung, Online-Redaktion sein würde, war noch nicht abzusehen. Der C64 war die Grundausbildung, die auch bei der Bundeswehr hauptsächlich aus Rumhängen, Bier trinken, Lkw-Führerschein-Machen und gelegentlichem Drill besteht. So galt vor dem C64: bereit halten, Schießübungen machen, die Maschinerie verinnerlichen, sich mit der neuesten Technik vertraut machen und gelegentlich Theorievorträge über sich ergehen lassen. Das Ganze motiviert durch Spielgeschichten, schließlich wurden die Soldaten ja auch mit Märchen von hoch gerüsteten Ostblockarmeen bei der Stange gehalten. Spiele waren Ausbildung zur Computerexistenz. Auf der blauen Pappschachtel, in der sich das Styroporfutteral mit dem C64 befand, was an die Chemie- oder Physik-Experimentierkästen von Kosmos erinnerte, stand dann auch „Der vielseitige MicroComputer für Beruf und Ausbildung!“. Und vier Fotos zeigten die Lebensbereiche, die er abdeckte. Ein solariumsgebräunter Lehrer saß mit seinen fünf Schülern hinter einem Fernseher, auf dem ein Koordinatensystem mit Pyramide zu sehen war, das wohl von dem C64 erzeugt worden war, auf den er zeigte, von dem allerdings keinerlei Fernseh- und Stromkabel abgingen. Wahrscheinlich lachte die ganze Gruppe deshalb so herzlich. An der Tafel stand eines der wichtigen Computerbenutzungsgebote: „Remember to press return after typing your answer.“ Auf dem nächsten Bild schaute eine blonde Frau lächelnd etwa 20 Zentimeter links an einem Fernseher vorbei, auf dem eine dreidimensionale Balkengrafiklandschaft zu sehen war. In ihrer Verwirrung wollte sie gleichzeitig die F3- und die F7-Taste sowie Space drücken, was aber alles nichts genützt hätte, weil auch ihr C64 nicht eingestöpselt war. Ein kleiner Buibkopftopf und eine Tasse Kaffee ergänzten dieses Homeworking-Idyll. Schwer hatte es auch der Minipli-Oberlippenbartträger im Ingenieurskittel, der neben einem Haufen Oszilloskopen auch einen Fernseher hatte, auf dem es wild rauf- und runterzuckte, obwohl er doch keine Verbindung zum Fernseher hatte. Und was der Chef auf dem letzten Bild dachte, als er zärtlich seinen C64 streichelte und seiner jungen blonden Sekretärin irgendetwas zu diktieren vorgab, gehörte wohl nicht in den Bereich EDV-Training. Gerade das letzte Beispiel zeigt aber, woran die Nostalgiker wirklich zurückdenken. Nicht an überragende Technik, mit der man Mandelbrotgrafiken berechnen und Radioaktivität messen konnte, auch nicht an unübertroffene Spiele, denen die heutigen an Originalität und Qualität nicht gleichkämen, sondern daran, dass Computer damals zu einem Haustier geworden waren, das man genauso beiläufig kraulte wie den Hund beim Fernsehen. Genau das war das Kalkül von Jack Tramiel, dem Chef von Commodore Business Machines, als er im Jahr 1976 die Idee hatte, den Leuten statt Taschenrechnern nun einen richtigen Computer zu verkaufen. „PET“ stand in großen, serifenlosen Lettern auf dem Gerät, das er entwickeln ließ. Das stand für „Personal Electric Transactor“, aber der Verweis auf das „Pet“, das Haustier, war gewollt. Ganz einlösen konnte dieses Gerät sein Versprechen aber nicht, der Science-Fiction-Gehalt war noch zu groß. Das Ding sah aus wie die weiße Ausgabe von Darth Vaders Schutzhelm, mit einem blauen Sichtschutz und Lebenserhaltungssystem auf dem Brustschild. Oder wie eine exklusive Registrierkasse mit einem etwas vergrößerten Display. Typisches Siebziger-Jahre-Design eben. Das größere Manko war aber das beschränkte Angebot an Software. Haustiere wollen gefüttert werden, erst dann tollen sie herum und erfreuen uns durch ihr drolliges Verhalten. Tramiel hielt an seinem Konzept fest und hatte schließlich doch noch Erfolg. Die braune Knuddeltastatur des C64 passte nicht nur farblich zu den Sperrholzeinrichtungen der Kinderzimmer, sie bot auch genug Software, um sich ihren festen Platz in der Familiengemeinschaft zu sichern. Wenn später von unserer Zeit als den Jahren der „Siliziumrevolution“ gesprochen werden wird, dann sind es nicht nur Apple-Gründer Steve Jobs, Microsoft-Chef Bill Gates und IBM-PC-Entwickler Don Estridge, denen Pionierruhm gebührt, sondern vor allem Jack Tramiel. Sein Computer-als-Haustier-Konzept verkleinerte Mikroelektronik tatsächlich auf Haushaltsgröße und befreite sie von ihren riesenhaften Verkleidungen als professionelle Datenverarbeitungssysteme oder High-Tech-Werkzeuge für Spezialisten. Eine Maschine, die ein Haustier sein wollte, war so harmlos, dass man sich vorstellen konnte, sie in die Wohnung zu lassen. Die Verkäufer konnten nun auf die in der Elektronikabteilung unschlüssig vor der Regalen stehenden Kunden zugehen und sagen: „Der tut nichts, der will bloß spielen!“ Der Hersteller konnte mit Gartenzwergen für das Gerät werben und dem Kleingärtner eine Verwaltung von Pflanzzeiten und ein Archiv für seine Vereinszeitung anbieten. In den Computerzeitschriften erschienen Programme zum Abtippen, mit denen man die automatische Bewässerung der Zimmerpflanzen während des Urlaubs steuern konnte. Computerprogramme waren harmlos und machten Spaß, da wurden keine Raketenflugbahnen mehr berechnet und Atomkraftwerke gesteuert. Das war der allerkleinste Alltag, der mit einem Mikrochip versehen wurde. Alle besaßen einen Computer, ohne dass sie es merkten. Es war Lifestyle, keine Technik. Was sind Computer heute? Eigentlich das, was neben dem Windows steht und diesen nervig-lauten Lüfter hat. Diese hässlichen grauen CD-Rom-Laufwerkhalter, an die auch noch Drucker, Tastatur und Maus gebunden sind, sodass man sie nicht problemlos auf dem Schreibtisch platzieren kann. Über Design machen wir uns höchstens beim I-Mac oder beim Vaio-Notebook mal Gedanken, aber ansonsten ist es ein Wohnungsfaktor wie Steckdose, Heizkörper oder Rollladenkasten. Wir schauen inzwischen völlig durch die Maschine hindurch und nehmen nur noch die Benutzeroberfläche des Betriebssystems wahr. Die Hardware ist völlig verinnerlicht, zum limbischen System geschrumpft. So wie wir nicht über Laufen, Atmen und Verdauen nachdenken müssen, sondern uns stattdessen hochgeistiger Beschäftigung hingeben können, so wie wir nur noch auf die Qualen des „Wer wird Millionär?”-Kandidaten achten und nicht mehr auf das Gehäuse, innerhalb dessen es stattfindet, so wie wir beim Autofahren nicht mehr an Kupplungsschleifpunkte oder fünfte Gänge denken, sondern an den Rübentrecker vor uns, so ist der Computer inzwischen gegeben und nicht mehr der Rede wert. Haustiere werden für Kinder empfohlen, um Verantwortungsbewusstsein und Sozialverhalten zu trainieren. Außerdem geben sie emotionale Stabilität in Zeiten hormoneller Verwirrung. Genau das leistete der C64. Als Moore’s Law, nach dem sich die Prozessorleistung alle 18 Monate verdoppelt, noch für Schwindelgefühle sorgte, als man innerhalb eines Augenblicks vom Regierungsgroßrechner zum Pentium-III-Prozessor hüpfte und sich auf 8, 16, 32, 64 Bit einstellen musste, da gab es dieses Haustier, das lustige Töne machte, das immer spielen wollte und manchmal auch richtig zubeißen konnte, um zu zeigen, dass Bindung an andere nichts Schlimmes ist. Auch wenn durch ihre Adern Elektronen fließen. Text: Mathias Mertens, Fotos: Benne Ochs